Bauers DepeschenDonnerstag, 29. September 2016, 1681. DepescheFLANEURSALON AUF DEM HOSPITALHOFPLATZ Am Freitag, 7. Oktober, gibt es auf dem Neuen Hospitalhofplatz ein Fest. Diese Veranstaltung unterstützen wir mit dem Flaneursalon. Mit dabei sind das Duo Steve Bimamisa (g) & Thabile (voc) sowie der Rapper Toba Borke und der Beatboxer Pheel. Beginn 17 Uhr. - Am 3. November ist der Flaneursalon im Esslinger Kabarett der Galgenstricke. Mit dem Kabarettisten Rolf Miller als Spezialgast - Musik: Loisach Marci, Anja Binder & Jens-Peter Abele. LIED DES TAGES Die aktuelle StN-Kolumne: AUF DER SUCHE NACH DEN GEISTERN Wer schon mal freiwillig ein paar Takte Punk gehört hat, weiß vermutlich, dass Sid Vicious, der Bassist der Sex Pistols, im Oktober 1978 seine Freundin Nancy Spungen im Zimmer # 100 des New Yorker Chelsea Hotel erstochen hat. Nach Drogenentzug im Knast und Zahlung einer Kaution starb der Rockstar im Februar 1979 im selben Zimmer an einer Überdosis Heroin. Der Bass taugt allerdings nur bedingt für die großen Todesmythen: Wie es sich für Freund Hein gehört, spielt beispielsweise der riesige, in einen blutroten Plastikumhang gehüllte Sensenmann vor einer Volksfest-Geisterbahn auf dem Wasen Violine. Womöglich war meine Begegnung mit dem Todesgeiger eine gute Einstimmung auf einen Besuch im Kammertheater – auch wenn sich die Inszenierung wenig um Abgründe und Himmelfahrten in New Yorks berühmtester Herberge kümmert. Das Kammertheater zeigt zurzeit „Chelsea Hotel“, „einen musikalischen Abend“ mit fast 20 Songs zum Tatort und einigen szenischen Motiven aus Sam Shepards „Cowboy Mouth“, einer „Warten auf Godot“-Variante im Rockstar-Milieu. Die etwas älteren Stuttgarter Theaterbesucher – also der Großteil des heutigen Publikums – erinnert sich an Shepards Drama „Fool for Love“ in den Achtzigern, der kurzen, aufregenden Intendanten-Ära Ivan Nagels. Arie Zinger inszenierte das Stück, ebenfalls im Kammertheater, unter dem Titel „Liebestoll“. – 1996 hatte ich erstmals Erzählungen von Sam Shepard („Spencer Tracy ist nicht tot“) in der Hand. Bis heute lese ich Texte dieses großen Schauspielers und Autors mit Freude – und erwähne diese Dinge nur als Beweis, wie ein kleiner Abend voller großer Songs eine Menge Gedanken und Erinnerungen abruft. Im echten Chelsea Hotel war ich erstmals in den Achtzigern, keine Ahnung mehr, in welchem Zustand. Viele Menschen haben sich in dieser Backstein- und Gusseisenkulisse den Rest gegeben. Von dem Dichter Dylan Thomas heißt es, im Alter von 39 Jahren habe er sich im Chelsea regelrecht zu Tode gesoffen: 1953, ausgerechnet am 9. November. Dass später in diesem Hotel jahrelang ein Dylan-Thomas-Verehrer namens Robert Zimmerman lebte, ist nur logisch; besser bekannt ist er als Bob Dylan. Da unsereins, rockmusikalisch, in die Siebziger hineinplumpste, ohne besonders viel davon mitzubekommen, gab und gibt es nicht nur beim Blick auf das Chelsea Hotel Nachholbedarf. Vor ein paar Jahren, auf dem Weg zu einer Retrospektive mit Werken von RobertMapplethorpe in Düsseldorf, las ich im Zug „Just Kids“, das 2012 erschienene Buch der einstigen Mapplethorpe-Muse Patti Smith: „Das Chelsea war ein Puppenhaus in der Twilight Zone mit Hunderten von Zimmern, von denen jedes ein eigenes kleines Universum barg. Ich durchwanderte seine Flure auf der Suche nach seinen Geistern, ob tot oder lebendig ...“ Von ihrem Hotel geht die Autorin und Rocksängerin mit ihrem Lebenspartner oft in die Bar Max’s Kansas City, wo kommende Stars wie David Bowie, Iggy Pop und Velvet Underground auftreten. Beherrscht wird der Laden von Andy Warhol und seinem Personal, allesamt Mitglieder des Chelsea-Hotel-Klans. Als Stümper aus der Provinz ist mir Max’s Kansas City bis heute als eine der schwersten Pleiten meines Lebens in Erinnerung. Erstmals hörte ich von diesem Club von Hans-Jürgen Müller, dem 2009 verstorbenen Stuttgarter Galeristen. Als Pionier der Kunstszene hatte er schon 1965 New York besucht, wo ihm der Galerist Leo Castelli im Max’s ein Treffen mit dem Künstler Frank Stella arrangierte. „Frank Stella wirkte auf mich wie ein arbeitsscheuer Architekt“, notierte Müller später. „Die Brille steigerte die Intelligenz in seinem Gesicht gleichermaßen, wie sie damals durch zwei herausgeschlagene Vorderzähne wieder reduziert wurde. Sein Amerikanisch wickelte sich um die Zigarre, mit der er die Zahnlücke ausstopfte ...“ Stella erzählte oft, seine Schneidezähne habe er bei einem Dialog mit Gästen im Max’s verloren (als die Stuttgarter Staatsgalerie 1988 eine spektakuläre Stella-Ausstellung präsentierte, fehlten sie noch immer). Von Müllers Berichten angemacht, wollte ich bei meinem ersten NY-Besuch unbedingt ins Max’s Kansas City. Nach einer Taxifahrt zur richtigen Adresse stand ich zerstört vor einem Gemüseladen: Die Bar hatte für immer geschlossen. Im Stuttgarter „Chelsea Hotel“ setzen Regisseur Sébastien Jacobi und das Ensemble auf die erzählerische Kraft der Songs. Lässt man sie, in der erstklassigen Bearbeitung des Musikers Max Braun und der Schauspielerin/Sängerin/Projektinitiatorin Hanna Plaß, auf sich wirken, machen sie genügend neugierig auf die kosmischen Innereien des Hauses. Als Horrorhotel, Künstlerkommune und Wiege großer Erleuchtungen ist das Chelsea dagegen fast nur im Bühnenbild präsent. Zuletzt haben sich Investoren das Chelsea Hotel unter den Nagel gerissen. So wird nie wieder ein Mann wie der frühere Miteigentümer Stanley Bard an der Rezeption stehen, einen Künstler wegen Mietrückstands mit dem Rauswurf drohen und ihm wenig später 20 Dollar in die Hand drücken, weil der arme Kerl nichts mehr zu essen hat. Auch wenn meine Zeilen nicht einem einzigen Backstein des mehr als 130 Jahre alten Hauses historisch gerecht werden, so will ich doch keinesfalls Leonard Cohens unsterblichen Song „Chelsea Hotel # 2“ vergessen. 1974 veröffentlicht, schildert die Ballade poetisch einzigartig souverän die erotische Begegnung mit einer Frau. Erst 1985,15 Jahre nach ihrem Tod, gab Cohen ihren Namen preis: Es war die große Sängerin Janis Joplin, die ihn im ungemachten Hotelbett verwöhnt hatte. Keine Frage, dass auch dieser Song im Theater gesungen wird, begleitet nicht etwa von den Todesklängen der Geige, sondern von einem sehr gegenwärtig verzerrten Gitarrensound. |
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