Bauers DepeschenMontag, 10. Dezember 2007, 91. DepescheDAS ERSTE MAL . . . ist lange her - Eine Geschichte mit bedrohlichem Hintergrund Es war schwül, die Luft schneidend heiß, meine Haut brannte. Wenn ich atmete, hatte ich das Gefühl, Feuer zu schlucken. Ich liebe Feuerschlucker, wie ich das Varieté liebe, an diesem Tag aber hasste ich Feuerschlucker. Sie mussten verrückt sein, wenn sie sich Brennstoff in den Mund schütteten, ihn ausspuckten und anzündeten. Meine Lungen schmerzten, die vielen Zigaretten hatten sie längst zerstört. Als mir der Schweiß zum ersten Mal ausbrach, schaute ich zur Decke, als wartete ich auf eine Regenwolke. Beim zweiten Mal hob ich den rechten Arm und prüfte, ob ich unter der Achsel schon röche. Ich wäre, auch wenn es der Natur des Rituals widersprach, am liebsten allein gewesen, in mich gekehrt, abgeschirmt von Menschen. Ich wollte nicht, dass sie sieht, wie ich schwitze. Woher sollte ich wissen, wie mein Schweiß ankäme, wenn er andere Haut benetzte. Männerschweiß riecht anders als Frauenschweiß. "Man kann in dieser Bruchbude keinem trauen", sagte sie. Ich sah auf mein Handtuch. Ob es nicht besser sei, meinen Unterleib zu bedecken, wenigstens das Gemächt, wenn ich hier säße, unfähig, etwas zu sagen. Ich war neu hier. Total gehemmt. Was hätte ich sagen können. Ich schwitze nicht vor Angst, hätte ich lügen können, ich schwitze, weil es heiß ist und ich erkältet bin und krank vom Leben. "Wie lange denn noch", sagte sie. Mein Gott, dachte ich, du musst etwas sagen, es gibt nichts Peinlicheres, als auf dein Gemächt zu starren, ihr nicht ein einziges Mal in die Augen zu schauen oder ein Kompliment zu machen. Du bist nicht am Ende, redete ich mir ein, reiß dich zusammen, du bist ein Mann in guten Jahren. Lade sie auf einen Drink ein, sag ihr, es täte uns gut, einen Drink zu nehmen, wenn das Ganze hier endlich vorbei sei. "Früher gab es hier noch Männer", sagte sie. Die Uhr lief, und sie lief gegen mich, das wusste ich. Hin und wieder holte ich tief Atem, nur um anzudeuten, es ginge mir nicht gut, die Hitze. Wahrscheinlich habe hier seit einer Ewigkeit, wollte ich ihr sagen, niemand mehr gelüftet. Nimm es mir nicht übel, wollte ich ihr sagen, sei mir nicht böse, das ist heute nicht mein Tag, das geht vorbei, alles wird gut. Was, um Gottes willen, hätte ich sagen sollen. Dass ich in New York in der Oper gewesen sei, in Marseille in der Fremdenlegion oder in Cannstatt beim VfB. Ein paar Worte, damit sie nicht hörte, wie der Schweiß tropfte. Wenn ich redete, würde ich nicht länger auf mein Gemächt starren, womöglich könnte sie übersehen, in welchem Zustand es war. Am liebsten wäre ich weggerannt. "Sie könnten sich ruhig mal wieder rasieren", sagte sie. Sie begann, sich zu streicheln, den Hals, die Schultern. Wenn sie mit den Händen die Haut ihres Körpers rieb, konnte ich hören, wie ihre Haut ölig schmatzte. Ich hatte Angst, ihr zuzuschauen, auch wenn es sie nicht zu stören schien, wenn ich ihr zuschaute, wie sie sich betatschte, ihre Schenkel, ihre Waden, ihre Füße. Sie schien es zu genießen, wenn ich meinen Kopf für ein paar Sekunden nach links drehte, um sie zu beobachten, wie sie sich schmatzend massierte, erst mit einer, dann mit beiden Händen. Je länger sie sich massierte, desto öfter schaute sie auf die Uhr. "Tun Sie endlich was", sagte sie, "oder sind Sie kein Kerl." Ich spürte, wie der Schweiß durch mein Handtuch drang. Wenn ich aufstünde, könnte man die Pfütze sehen, wo ich gesessen hatte. Ich blieb sitzen, rührte mich nicht und schaute fassungslos zu, wie ihre Brüste sich gefährlich hoben, als sie mir zum ersten Mal in die Augen sah. Ich kannte nicht mal ihren Namen. "Mit mir können Sie", sagte sie - und kam nicht weiter. Jemand stieß krachend die Tür auf. „Sie können mich mal", sagte sie und leckte sich die aufgespritzten Lippen, "der verdammte Limonen-Aufguss kommt schon wieder viel zu spät." Dann stand sie auf und ging aus der Sauna. Das Holz, auf dem sie gesessen hatte, war noch feucht. P. S.: Seit vielen Jahren besuche ich regelmäßig das Mineralbad Berg in Stuttgart, eine zeitlos schöne Insel urbaner Lebenskultur. Im Mineralbad Berg gibt es keine gemischte Sauna – aber neuerdings Pläne, diesen wunderbaren Platz, der sich im Besitz der Stadt befindet, mit Hilfe privater Investoren umzubauen und einem Hotel anzugliedern. Wieder wäre eine Stuttgarter Oase des guten Geschmacks vernichtet. „Kontakt“ |
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