Bauers DepeschenMontag, 31. August 2009, 371. DepescheBETR.: Erinnerung ... ... an eine Geschichte, die im Sommer vor zehn Jahren zu Ende ging. AVRA GARBE, BAGGERFÜHRER Gerd Garbe aus Stuttgart, genannt Avra, war Baggerführer, ein verdammt guter Baggerführer. Er konnte mit seinem Bagger Kieselsteine von der Erde auflesen. Und Avra war The Lord of the dance. Es war der 3. Oktober 1987, als wir hinausfuhren nach Beilstein, südlich der Löwensteiner Berge, wo der Lemberger wächst. Am Abend war es kühl, zum Glück regnete es nicht. Sonst wäre eines der bewegendsten Ereignisse in der Geschichte der Musik ins Wasser gefallen. Es fand statt auf der fernen Wiese eines liberalen Schäfers, der seinen Schafen an diesem Tag freigegeben hatte, damit sie nicht verrückt würden wie die Menschen, die er erwartete. Die brachten ein Zirkuszelt mit und Zapfhähne, damit sie für die Nacht von Beilstein gerüstet waren mit menschlicher Wärme und kaltem Bier. Die Show war gründlich vorbereitet worden. Der Musiker Mani Neumeier, ein Erfinderkopf, der im Odenwald die Krautrock-Band Guru Guru leitete, hatte die Partitur auf Papier gezeichnet. Er nannte sein Werk, eine Idee des bluesbeseelten Stuttgarter Motorentüftlers Gegas Blessing, „Komposition für Bagger und Schlagzeug“. Zwar hatte man sich, am Ende der Hochglanzära der 80-er Jahre, längst mit den synthetischen Sounds von Popgenies wie Madonna und Prince angefreundet. Aber irgendwie fehlte noch die definitive Nummer großer Maschinenkunst. Auf dem Dach einer Hütte oder, so genau weiß ich es nicht mehr, im Geäst eines Baumes, hatte Luzifer Reffert mit seiner elektrischen Gitarre Position bezogen. Mani, der Trommler, hatte sein Schlagzeug auf der Schafwiese aufgebaut. Dann prasselte eine Ladung Kies über die Becken. Avra , der Baggerführer, machte Musik. Vor unseren Augen ging die erste Freiluftoper auf Beilsteiner Boden über die Bühne. Wir hörten die Hymnen der USA und der UdSSR, sahen Verfolgungsjagden. Avra und sein Bagger spielten den Drachen, Mani gab den Siegfried. Szenen einer Annäherung. Sowjetpräsident Gorbatschow probte damals Glasnost. Avra Garbe und Mani Neumeier hatten sich in Vladimir Goldblatt (Moskau) und Maniac Newman (New York) umgetauft und ihr Stück „Russisch-Amerikanische Freundschaft“ (RAF) genannt. Das war ein Beitrag zur Versöhnung der gespaltenen Welt, ein historischer Meilen- und Beilstein angesichts des drohenden Niedergangs des Kommunismus, den wir in der Nacht zum 4. Oktober 1987 voller politischer Verantwortung mit reichlich Wodka begossen. Zwei Jahre später sollte die Berliner Mauer fallen. Zwar ohne die Hilfe von Avras Bagger. Aber der Tag der Deutschen Einheit wurde zu Ehren des Konzerts für Bagger und Schlagzeug auf den 3. Oktober gelegt und ein Jahrzehnt danach die Beilsteiner Republik ausgerufen. Die Show auf der Schafweide ging mit einem furiosen Tanz der Freude zu Ende. Avra rammte den Schaufelarm seines Baggers in die Erde und ließ ihn zu Manis Trommeln Samba tanzen. Wir feierten das Debüt der ersten Ballerina in der Familiengeschichte des Baggers. Es wurde gefilmt und später in aller Welt gezeigt. Mani lebt heute glücklich und zufrieden im Odenwald. Er ist im Rentenalter. Avra zog sich bei einem Motorradunfall eine Wunde zu, die er drei Jahre lang nicht behandeln ließ. Während eines Urlaubs in Florida/USA wurde er ins Hospital gebracht. Die Ärzte wollten ihm das Bein amputieren. Es war zu spät. Der Baggerführer Avra Garbe starb am 3. Juli 1999 im Alter von 43 Jahren. Seine Urne wurde in Stuttgart-Feuerbach beigesetzt. REKLAME, VORVERKAUF LÄUFT: Joe Bauers Flaneursalon mit Buchpräsentation am Donnerstag, 22. Oktober, 20.15 Uhr: www.theaterhaus.com - Telefon: (0711) 4 02 07 20 Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten „Kontakt“ |
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