Bauers DepeschenMittwoch, 19. August 2009, 367. Depesche![]() BETR.: SONNTAG ![]() ![]() Weil ich kurz mal verschwinden muss und keine Zeit habe, Depeschen zu schreiben, stimme ich Sie, werte Depeschen-Leser, schon mal auf den Sonntag ein. Ich empfehle auch die aktuelle StN-Kolumne ("Globaler Sturm", siehe Link unten). Erregendes Wochenende! ![]() ![]() MONTAGSSEX ![]() ![]() Die Kundgebung gegen Arbeitslosigkeit war zu Ende. Die letzten Demonstranten in der Mittagssonne trugen schwer an ihrer Gesinnung, als ich an einem Stand der evangelischen Kirche diese Kaffeetasse entdeckte. Die Tasse gefiel mir, vor allem der Aufdruck: "Gott sei Dank", war da zu lesen, "es ist Sonntag." ![]() Eigentlich diente die Tasse den Evangelen als Dekoration. Doch mit etwas Überredungskunst und einem Fünfer brachte ich sie in meinen Besitz. Ein Mann, dachte ich, kann nichts Besseres tun, als es sich morgens mit jedem Schluck einzutrichtern: Mann, du hast gottverdammtes Glück, heute ist nicht Sonntag. Deine Tasse lügt. ![]() Nicht jeder Tag, hat mich das Leben gelehrt, ist Sonntag, und wenn ich darüber nachdenke, bin ich froh, dass nicht jeder Tag in meinem Leben ein Sonntag war. Am Sonntag wollte ein Süßer mit Wencke Myhre segeln gehen. ![]() Der Sonntag weckt schreckliche Erinnerungen. In den Tagen meiner Kindheit setzten die Väter Hüte und die Frauen Sonntagsgesichter auf. Man konnte diese Menschen nicht lieben. Einziger Lichtblick war ein Song der großen Small Faces: Sie lassen mir keinen Platz für Partys, sie lassen mich nicht rocken, ich schließe die Augen und verschwinde von hier. . . träger Sonntagnachmittag. . . ![]() Das war präzise und Werktag. Sonntagnachmittage waren die Pest. ![]() In "Lazy Sunday" von den Small Faces taucht das schöne Wort Lumbago auf, es bedeutet Feiertagskrankheit, und spätestens als man mir neulich befahl, eine Kolumne zum Thema "Sonntag" zu liefern, war mir klar, dass diese Krankheit so wenig überwunden ist wie die Schweinegrippe. ![]() Was soll an einem Sonntag besonders sein? Es gibt das Montagsauto und den Montagssex. Gibt es auch das Sonntagsauto und den Sonntagssex? Ich kenne nur den Sonntagsfahrer, und der zeigt sich so oder so als Pfeife: Er behindert in jeder Lebenslage den Verkehr. ![]() Der Sonntag hat seinen Mythos verloren. Es schafft uns keinen Frieden mehr, wenn die Läden sonntags geschlossen haben. Eine Tankstelle, der Bahnhofsbazar, irgendein Saftladen hat immer geöffnet. Der Sonntag ist Betrug. Er ist der gleiche Wind- und Regen- und Blitz- und Donnerstag wie jeder andere Tag. Früher, ja früher, habe ich Gott manchmal gedankt, weil ich glaubte, der Sonntag sei der Feiertag des Herrn und der Pausentag des kleinen Mannes. Aber Sonntagsarbeit ist heute so normal wie die Aussicht, sonntags in eine Party zu geraten, deren Montagssex uns lehrt, warum Tanzverbot am Totensonntag nicht nur ein Segen für Pietisten ist. ![]() Ich kann Gott schon deshalb nicht für den Sonntag danken, weil danach der Montag kommt. Zwischendurch galt nicht der Sonntag als schlimmste Ausgeburt des Trübsinns, des Nichtstuns, des Durchhängens. Es war der Montag. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da sagte jeder Vergnügungsdirektor: O Mann, riskiere montags keine Veranstaltung, da kommt kein Schwanz, die sind alle tot vom Samstag vor dem Sonntag. ![]() Heute erregen sie sich sonntags an den Toten. Da glotzen sie die langweiligen Fang-den-Mörder-Filme mit ihrem sozialen Sonntagskirchenanspruch: "Tatort"-Partys verschandeln die Clubs und Kneipen unserer Städte, und ich wünschte, die Small Faces würden montags aus dem Grab singen: Ich schließe die Augen und verschwinde, ich lass mich nicht einsalzen von euch Dorfbullen. ![]() Vielleicht war alles mal anders, womöglich gab es mal einen Grund, morgens aufzustehen, die Augen zu schließen und zu singen: Gott sei Dank, es ist Sonntag. Vielleicht war es so, als der Künstler Andy Warhol und der Schriftsteller Truman Capote gemeinsam durch die Stadt spazierten. Sie haben ihren Dialog in dem Buch "Ein Sonntag in New York" verewigt, und mir ist, als sei damals sonntags die Welt in Ordnung gewesen. Auf dem Umschlag ist zu lesen: "Zwei amerikanische Megastars spazieren durch New York und unterhalten sich über Hunde Mörder Stars Mütter Drogen Sex Katzen Geschlechtsoperationen Eichhörnchen Schauspielerei Sonne Selbstmord Greta Garbo Parties Photographen Bankräuber Starkult TV-Serien Rolling Stones Montgomery Clift Gesichtsoperationen Journalisten Tennessee Williams." ![]() So ließe sich über den Sonntag reden. Ich habe nur diese gottverdammte Tasse im Schrank. ![]() ![]() Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten: ![]() www.stuttgarter-nachrichten.de/joebauer ![]() 1. MAHNUNG: Flaneursalon und Buchpräsentation am 22. Oktober - www.theaterhaus.com - Kartentelefon: (0711) 4 02 07 20 ![]() ![]() „Kontakt“ ![]() ![]() ![]() |
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