Bauers DepeschenMittwoch, 25. Juli 2018, 1988. DepescheVORVERKAUF LÄUFT: 20 JAHRE JOE BAUERS FLANEURSALON Sonntag, 21. Oktober, 19 Uhr. Die Jubiläums-Show im Gustav-Siegle-Haus, wo alles anfing. Durch den Abend führt der Berliner Kabarettist Arnulf Rating. Auf der Bühne: Rolf Miller, Thabilé & Band mit Jens-Peter Abele, Roland Baisch & Michael Gaedt, Stefan Hiss, Toba & Pheel. Spezialgast: Nero Friktschn Feuerherdt. Mit der Buchvorstellung: „Im Staub von Stuttgart“. Eine Veranstaltung in Kooperation mit den Stuttgarter Philharmonikern und der Rosenau. KARTEN: EASY TICKET - Telefon: 0711 / 2 555 555 Hört die Signale! DAS LIED ZUM TAG StN-Kolumne vom 19. Juli 2018 CHAOS DER LÜSTE Weil ich mich neulich mit den neuen Barbieren in der Stadt beschäftigt habe, bin ich in etwas hineingeraten, das ich so nicht beabsichtigt hatte. Über Nacht zog das Thema Bart in meinem Hirn einen regelrechten „Sauschwanz“ hinter sich her – wenn ich mir dieses schöne Wort bei Herrn Mozart entlehnen darf. Der fleißige Tonsetzer und Liebhaber hat sich selbst so bezeichnet. Es ist Schicksal wie ein blutiger Schnitt mit der Klinge ins Kinn, dass ich heute in der nach dem Komponisten benannten Straße wohne. Beim Umzug von der Klopstockstraße im Westen in die Mozartstraße im Süden kann man nicht von einer Vollrasur im Leben sprechen. Überall in unserer Gemeinde geht es ähnlich unerheblich zu. Ein Freund aus Berlin hat mich gefragt, ob er sich den Wechsel von Klopstock zu Mozart als Auf- oder Abstieg vorstellen müsse. Ich hab gesagt, Dichter und Komponist, beide Kinder des 18. Jahrhunderts, hätten als Topstars ihrer Zeit gleich viel Erfolg bei Frauen gehabt. Ob die Zahl ihrer Groupies mit ihrer Glattrasur zu tun habe, könne ich nicht beurteilen. Ihr ebenfalls berühmter Zeitgenosse, der Womanizer Casanova hat gesagt: „Um das Gewicht der Barthaare, die ich verloren habe, hat mein Verstand zugenommen.“ Selbiges kann ich auch von mir behaupten, schon weil meine Stoppeln nicht mehr als die Schwanzfeder einer Bartmeise wiegen dürften. Aufgefallen ist mir, dass etliche Leute meiner digitalen Umgebung nach meiner Beschäftigung mit dem Gesichtshaar blitzschnell ihre Bildung mit dem Hinweis auf den „Barbier von Sevilla“ bewiesen. Wohnst du in der Mozartstraße, wo an einer Fassade die Büste des Genies samt einer Ansicht seiner Heimat Salzburg zu sehen ist, solltest du besagten Friseur kennen: „Le Barbier de Séville“ heißt der erste Teil von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais’ Figaro-Trilogie, Mozart hat aus dieser Komödie die Oper „Figaros Hochzeit“ gemacht. Da ich als Musikkritiker nichts tauge, überlasse ich die Exegese einem Herrn, der als Kind in Stuttgart gelebt und hier Bühnenerfahrung als Komparse gesammelt hat. Vor ein paar Jahren wurde ihm am Eugensplatz eine Säule mit nachträglich montiertem Bronze-Mops gewidmet. Der als Loriot berühmte Humorist hat einen „Kleinen Opernführer“ verfasst und Mozarts „Figaro“ gewürdigt: „In dem dreistündigen Eifersuchtsdrama wird zwar mehr gesungen, als bei ehelichen Auseinandersetzungen sonst üblich ist, aber im Grunde hat sich in diesem Punkt bis heute kaum was geändert. Nur macht man eben nicht jedes Mal eine Oper draus.“ Vor allem der letzte Satz ist beruhigend, schließlich weiß Loriot, wovon er redet: Er hat selbst Opern inszeniert, in Stuttgart 1986 „Martha“, in Ludwigsburg wenig später „Der Freischütz“. Vor dem 1905 erbauten Haus mit der Büste in meiner Straße blieb ich stehen, legte den Kopf andächtig in den Nacken wie ein Mann, der sich rasiert, und sagte: Wolferl, warst du je in Stuttgart? Die Antwort lautete Nein. Mozart hat diese Stadt nie betreten und sich mit einem Aufenthalt in Ludwigsburg begnügt. 1790, im Jahr vor seinem Tod, führte Stuttgarts herzogliches Hoftheater erstmals eine seiner Opern auf: „Figaros Hochzeit“. Seitdem ist Mozart auch bei uns eine große Nummer. Die heutige Stuttgarter Mozart-Gesellschaft wurde Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet, ihren Sitz hat sie in der Kernerstraße, einen Steinwurf entfernt von Loriots Mops. Da ich nach meinem jüngsten Barbierbesuch in der Oper als wichtigstem Podium der Haarschneidkunst gelandet bin, muss ich noch Gioacchino Rossinis „Der Barbier von Sevilla“ erwähnen. Schon weil ich keinesfalls Loriots Rezension des Figaro-Genres verschweigen darf: „Der Friseur nimmt als Handwerker eine Sonderstellung ein, denn sein Arbeitsbereich befindet sich – anders als beim Klempner – am Körper der Kundschaft. Der Gedanke an ausschweifende Vertraulichkeiten des Haarkünstlers beflügelte die Fantasien lüsterner Opernkomponisten.“ Der Humorist entdeckt ferner „ein Chaos libidinöser Zweideutigkeiten“ beim „überanstrengten Herren- und Damenfriseur“ in Rossinis Werk. Der Komponist wiederum ist laut Loriot „vor allem geschätzt als Vater des nach ihm benannten Rinderfilets auf Toast mit Gänseleber“, so dass wir davon ausgehen müssen, dass Rossini heute weltweit von Vegetarierin und Veganern boykottiert wird. Beide hier erwähnten Friseur-Stücke zählen zur Gattung der Opera buffa, der komischen Oper, die wir mit kakophonischem Sound, chaotischen Szenen und schrillen Balzgesängen zurzeit auch auf Stuttgarts herrschaftlichen Protzbühnen erleben: Politiker und andere Weltstadterfinder suchen einen Ort für den Interimsbau der Staatsoper. Unter dem Motto „Avanti Dilettanti“ spielen sich Missgunst-, Neid- und Eifersuchtsdramen ab, wie sie selbst dem libidinösen Chaos eines Figaro-Salons fremd sind. Zur Beruhigung möchte man den Herrschaften zurufen: Lasst euch einseifen! |
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