Bauers Depeschen


Mittwoch, 22. August 2018, 1999. Depesche



 



20 JAHRE FLANEURSALON

Sonntag, 21. Oktober, 19 Uhr.

Die Jubiläums-Show im Gustav-Siegle-Haus, wo 1998 alles anfing. Durch den Abend führt der Berliner Kabarettist Arnulf Rating. Auf der Bühne: Rolf Miller, Thabilé & Band mit Jens-Peter Abele, Roland Baisch & Michael Gaedt, Stefan Hiss, Toba & Pheel. Spezialgast: Nero Friktschn Feuerherdt.

Mit der Buchvorstellung: „Im Staub von Stuttgart“.

Eine Veranstaltung in Kooperation mit den Stuttgarter Philharmonikern und der Rosenau.

KARTEN: EASY TICKET Telefon: 0711 / 2 555 555



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DAS LIED ZUM TAG



StN-Kolumne vom 16. August

FRITZCARRALDO

Nach kurzen Ferien an der Donau, weniger als ein Mückenstich in meinem Leben, spaziere ich wieder über die Baustellen meines Heimatkessels, allzeit bemüht, mich schnellstens wieder einzugliedern.

In unserer Stadt herrscht zurzeit eine unbegrenzte Sehnsucht nach grenzenloser Kunst. In allen Winkeln und Wirtshäusern diskutieren die Wichtigs aus Politik und Propaganda heftig über die epochale Herausforderung, ein neues Opernhaus zu errichten. Vergessen die niederschmetternde Nachricht, wonach immer mehr Kinder bei uns sich nicht im Fahrradsattel halten können. Fürs Treten und Buckeln fehlen ihnen Motorik und Balance, weil sie nur noch in den SUV-Panzern ihrer Eltern durch die Gegend jagen. Da bei uns auch immer weniger Kinder schwimmen können, seit es zu wenig Bäder und Unterricht gibt, sind wir nach dem Fiasko beim Fußball auch als Triathlon-Nation erledigt.

Diese Mängel im Fach Leibesübungen sind angesichts der Suche nach einem Ort für die Ersatzoper allerdings Peanuts. Die Wirren um den Bühnenbau, da bin ich mir sicher, werden die dramatische Wucht von Werner Herzogs „Fitzcarraldo“ noch bei Weitem übertreffen. Besagter Film schildert die Geschichte des besessenen Caruso-Verehrers Fitzcarraldo, der einen 150 Tonnen schweren Dampfer mit Kautschuk zur Finanzierung eines Opernhauses im Amazonas-Dschungel über einen Berg zwischen zwei Flussläufen schleppen lässt. Dieses Unternehmen mit dem passionierten ­Menschenschinder Klaus Kinski in der Hauptrolle erscheint mir beim Blick auf die Operationen des Schultes Fritz Kuhn zwischen Nesenbach und Neckar als eher leichte Übung.

Der Opernbau zu Stuttgart wird als „Fritzcarraldo“ in die Geschichte der großen Landeroberungen eingehen.

Für meine rasche Wiedereingliederung in den Kessel besuchte ich im Schlepptau meines Männervereins zur Erkundung städtischer Mittagstische das liebenswerte Bistro Regina in der Esslinger Straße; am Rand des Bohnenviertels speist man russische Gerichte. Bei Borschtsch-Suppe und den klassischen Teigtaschen mit Hackfleisch namens Pelmeni – vielleicht einst Lenins Lieblingsmaultaschen – fühlte ich mich sofort wieder heimisch. Wobei ich bis heute nicht weiß, was „heimisch“ genau bedeutet. Sicher ist nur: „Daheim sterben die Leut‘“ – wie uns ein weiterer schöner Film lehrt, in diesem Fall nicht mit Stoff vom Amazonas, sondern aus dem Allgäu.

Weil ich von Berufs wegen nicht nur durch die Stadt stiefle, um hin und wieder meinen Schuhmacher zu beschäftigen, mache ich mir unterwegs Gedanken. Und kommt mir keine Idee, helfen mir zuverlässig die Kreativen aus dem Marketingoffice. Das Stadtpalais – so heißt nicht eine Dorfdisco, sondern das neue Stadtmuseum – stellt in einer Broschüre mit dem heimeligen Titel „für Dich“ im Text über seine ständige Ausstellung „Stuttgarter Stadtgeschichten“ die entscheidenden Fragen unserer Zeit: „Was macht Stuttgart so besonders? Wie waren und sind die Stuttgarter denn nun? Und wie wird man eigentlich zum Stuttgarter?“

Auffällig ist, dies nebenbei, dass unser doch sehr hip und hop beseeltes Museum ungeachtet aller Genderkämpfe die meines Wissens durchaus existente „Stuttgarterin“ gar nicht zur Kenntnis nimmt. Entsprechend voll antiquiert und vom Macho formuliert, klingt die Frage, wie man „eigentlich zum Stuttgarter wird“? Als suche man in der Kriechspur unseres Heimat-Horsts namens Seehofer die Leitkultur fürs Kesselinnere, wo doch bis heute die Leitplankenkultur dominiert.

Unsereins ist kein echter Eingeborener, kein Bio-Stuttgarter mit Halbhöhenkoller, nur ein Reigschmeckter, der auch nach 42 Jahren Anwesenheit wie der Enkel eines türkischen Opas gefragt wird, wo er denn „wirklich“ herkomme. Im Gegensatz zum ­türkischen Enkel, der in Stuttgart geboren wurde, muss ich zugeben: Ich habe gut 60 Kilometer außerhalb des Kessels das trübe Licht der Welt erblickt. Werft mich den Völkischen zum Fraß vor.

Mein Handicap erschwert alle Assimilierungsbemühungen ungemein. Dabei habe ich weder Doppelpass noch die geringste Sehnsucht nach meinem einstigen Daheim, wo man auch bloß stirbt. Ich frage Sie, werte Leserschaft: Wie wird man „eigentlich zum Stuttgarter“? Das funktioniert ja nicht wie beim Hamburger, indem man dich als Fleischklops zwischen zwei Weckenhälften zwängt. Oder wie beim Berliner, wenn man dir Gsälz in den Hefeteig stopft.

Das Museum will herausfinden: „Wie waren und sind die Stuttgarter denn nun?“ Womöglich Menschen mit zwei Löchern in der Nase, einem unter der Nase und einem weiteren zwischen den Hinterbacken? Viele von ihnen benutzen vermutlich Wasser und Seife und essen Gemüsesuppe und Teigtaschen. Diese Gewohnheiten haben gereicht, die Spätzlepresse, den Leitz­Ordner und einen grünen Oberbürgermeister als Phantom der Oper zu erfinden. Ein paar haben sich in die ebenfalls im Kessel kreierte Klopapierrolle verliebt und saßen so lange auf der Brille, bis sie Stuttgart 21 ausgebrütet hatten. Da waren sie endlich Stuttgarter. Und wenn sie nicht gestorben sind, buddeln sie noch heute.

 

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