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Samstag, 12. März 2016, 1602. Depesche



 



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FLANEURSALON LIVE - ACHTUNG!

Es gibt nur noch wenige Karten für den bevorstehenden FLANEURSALON: Wir treffen uns am Dienstag, 22. März, in der Friedenau in Ostheim. Mit den Musikern Stefan Hiss, Marie Louise & Zura Dzagnidze. Durch den Abend führt Michael Gaedt. Im schönen Wirtshaussaal der Friedenau werden ab 18 Uhr Essen & Getränke serviert. Ab 20 Uhr gibt es Lieder, Geschichten und andere Merkwürdigkeiten. Reservierungen: 0711/2626924.



Die aktuelle StN-Kolumne:



RAUS AUS DER HÖLLE

Es war März, und die Morgensonne bescherte uns trotz bevorstehender Landtagswahl ein wenig Frühlingshoffnung. An solchen Tagen kommt der Mensch auf seltsame Ideen. Unsereins ging hinaus in eine Gegend der Stadt, die man aus unerfindlichen Gründen „Europaviertel“ getauft hat.

Vor einem Einkaufsklotz mit eingebauten Luxuswohnungen, in weiten Kreisen der Bevölkerung als „Müllaneo“ bekannt, hat sich ein internationaler Begegnungsmarkt für junge Menschen gebildet. Daneben steht die Stadtbibliothek, sie dient weniger dem kulturellen Austausch denn als Wärmestube. Die streunenden Kinder des Konsums leiden oft an Kälte.

Der Vorhof der Bibliothek heißt Mailänder Platz, folgerichtig stürmte ich die Treppe zur internationalen Schnellfress-Etage der Shopping Mall hinauf. Kommst du nach Mailand, sei wie die Stuttgarter Mailänder, sagte ich mir und bestelle einen Burrito. Zwar bin ich ein Provinzler, versichere aber unserer global vernetzten Bevölkerung, dass Mexiko andere Burritos hervorgebracht hat als diese fade Teigwurst.

An besagtem Märztag hatten unsere Rathaus-Amigos wieder mal „Feinstaubalarm“ ausgerufen. Diesen Begriff haben wir wohl dem Umstand zu verdanken, dass das Wort „Luftschutzalarm“ hierzulande etwas negativ belegt ist. Worum es in Wahrheit geht, sagt uns ein Wahlkampfplakat mit der wichtigsten umweltpolitischen Forderung der FDP: „Investitionsklima-Schutz“.

Alarm herrscht überall vor der Wahl. Die CDU hat ein Video mit dem Titel „Raus aus der Grünen Hölle“ ins Netz gestellt. In ­diesem Horrordingsbums, „mit Reinhard Löffler“ (irgendein Politiker mit Schmuddelfilm-Ambitionen), sieht man Leute „aus vier Gesellschaftsgruppen“ am hellen Tag wie bekloppt durch den Wald rennen. In einer der Fluchtszenen wirft eine selten bescheuert aus der Wäsche guckende Frau im Talar ein brennendes Buch weg. Ist geil. Wäre auch ein Wunder, hätte sich die ­Symbolik brennender Bücher in Deutschland bis zur CDU herumgesprochen.

Raus aus Europas schillerndstem Viertel, in die Innenstadt. Vor dem Neuen Schloss stehen seit Tagen mehrere provisorisch hingepflanzte Neubauten. Leider dienen sich nicht als Flüchtlingsunterkünfte und damit als Anschauungsunterricht für die Regierungsherrschaften im Schloss. Es sind die „gläsernen Studios“ von ARD und ZDF. Solche Schaubuden braucht man beispielsweise für die „Elefantenrunde“, die „Dschungelcamp“-Version der öffentlich-rechtlichen Sender. Wir sehen darin die obersten Dickhäuter der Parteien auf dem Trampelpfad der TV-Propaganda.

Da ich schon gewählt habe und deshalb am Sonntag mein Wahllokal mit dem schönen Namen Hasenbergschule nicht aufsuchen muss, werde ich ein paar Tage auswärts Ferien machen. Seit immer mehr rechte und rechtsextremistische Anheizer in der Republik aufmarschieren, wird es ja immer schwieriger, sich seinem Alltagskram ohne schlechtem Gewissen zu widmen. Auch als Spaziergänger geht man mit einem anderen Blick auf die Stadt durch die ­Straßen, seit AfD-Populisten mit verlogenen Floskeln wie „Heimat“, „Werte“ und „Identität“ operieren und die hetzerische Parole gegen alles ihnen Fremde ausgeben: „Es reicht!“

Wir dürfen uns in dieser Situation nicht in die Enge treiben lassen. Es ist lebenswichtig, frei zu atmen – und in der Heimat etwas von der Welt zu sehen. Deshalb ein Ausflugstipp für Samstag und Sonntag: Immer an diesen Tagen hat das Schauwerk Sindelfingen geöffnet. Ein einzigartiges Privatmuseum mit selten großzügig gestalteten Räumen. Zurzeit ist in diesem Haus – neben der Sonderausstellung „Venusfalle“ – die Schau „I Like America“ zu sehen: über hundert Arbeiten von vierzig amerikanischen Künstlerinnen und Künstlern, die meisten mit New Yorker Identität. Darunter Alexander Calder, Dennis Hopper, Julian Schnabel, Robert Longo, Frank Stella, Jim Dine. Die Werke stammen aus der Sammlung von Christiane Schaufler-Münch und Peter Schaufler, dem im August 2015 verstorbenen Schauwerk-Gründer. Das Museum steht ein wenig versteckt im Industriegebiet, neben dem internationalen Kühlmaschinenbau-Unternehmen Bitzer, das der Mäzen Peter Schaufler einst geleitet hat. Man erreicht es leicht auch mit der S-Bahn Richtung Herrenberg, Ausstieg Goldberg. Von der Haltestelle sind es nur 500 Meter durch die Sindelfinger Eschenbrünnlestraße. Als ich neulich diesen Weg nahm, war er gesäumt von NPD-Plakaten, und ich wünschte mir eine dieser „Abhängpartys“, die junge Leute gelegentlich zum Schutz ihrer Heimat feiern.

Die Wahl ist bald vorbei, und mehr denn je brauchen wir eine gute Kultur, um dem wachsenden Ungeist zu widerstehen. Das Leben in der Stadt geht weiter, und ich muss noch eine Notiz aus dem Seelenleben des Kessels loswerden: Sound of Music, das weithin bekannte Musikhaus der lebenden Legende Hans R. Schweizer, zieht gerade um: von der Ecke Wilhelm-/Olgastraße in die Schwabstraße 33, Ecke Augustenstraße. Hans Schweizer ist seit Jahrzehnten der gute Geist der Stuttgarts Musikszene, ein unermüdlicher Freund und Helfer in allen Lagen. Als ich ihn neulich besuchte, stand er, leicht unrasiert, mitten in seiner Heimat: zwischen tausend Instrumentenkisten. Mitte kommender Woche ist sein neuer Laden im Westen geöffnet. Stärken wir uns mit dem guten Sound der Stadt im Kampf gegen die hässlichen Misstöne.



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