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Samstag, 02. April 2016, 1610. Depesche



ABSTIEGSKAMPF: Stuttgarter Kickers - VfB Stuttgart II 4:1



DAS BASIS-FEST

Freunde der Stuttgarter Altstadt und DGB-Leute veranstalten am Samstag, 16. April, das 1. BASIS-Fest. Das Basis ist ein kleines Beratungszentrum des DGB in den ehemaligen Räumen des legendären Café Schmälzle im Leonhardsviertel, Hauptstätter Straße 41. Das Fest ist als Tag der Begegnung und als kleine Hommage an die Altstadt gedacht. Es gibt gutes Essen, Getränke - und ein Programm. Michael Dikizeyeko & Steve Bimamisa spielen afrikanische Songs. Mitglieder des Vesperkirchen-Chors rahmenlos & frei singen ihre schönsten Lieder. DGB-Mitarbeiter stellen das Basis vor, unsereins liest Texte über die Altstadt vor. Der Fotograf Jim Zimmermann stellt Bilder aus. Alle sind herzlich willkommen. Das Basis-Fest beginnt um 16 Uhr. Eintritt frei.



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Die aktuelle StN-Kolumne:



HIRNSTÖSSE VON DER ANIMATÖSE

Es ist nicht das, was man streng genommen als „Interview“ versteht. Aber eigentlich doch. Das lateinisch-französische Kunstwort „Interview“ bedeutet: sich sehen, sich begegnen. Und das passiert einem schon mal beiläufig im Westen, am Hölderlinplatz, wo Christine Prayon zu Hause ist.

Ihren Namen spricht man französisch aus, Christine ohne das E am Ende; ihre Vorfahren stammen aus den belgischen Ardennen. Gelegentlich trifft man Madame Prayon am frühen Nachmittag in der italienischen Bar Vicino in der Traubenstraße, zur Mittagszeit ein Ameisenhaufen. Gegenüber Timi der Barbier, auf meinem Weg zur Bar Katharina Eberles französischer Spezialitätenladen Chez Ginette, in der Nähe des griechischen Gemüsemarkts. Nicht die schlechteste Ecke, weit weg vom sich ausbreitenden Primark-Geruch in der Stadt.

Christine Prayon, 1974 geboren, hat selten viel Zeit zum Plaudern. Ihr Sohn ist zweieinhalb Jahre alt und das Tour-Leben anstrengend. Oft sind sie zu dritt unterwegs: Mutter, Vater, Kind. Wie ehrbare Fahrensleute, und so viel anders ist der Alltag einer Kabarettistin nicht.

Am Mittwoch, 6. April, hat sie mal wieder ein Heimspiel: Mit ihrer Soloshow „Die Diplom-Animatöse“ tritt sie im Renitenztheater auf. Schon zwei Tage später werden irgendwo die Korken knallen: In der satirischen „Heute Show“ des ZDF gibt sie zum 50. Mal die Birte Schneider, eine für deutsche Verhältnisse radikale Frauenfigur.

Christine Prayon und Birte Schneider sind nicht identisch. Die Kabarettistin schloss 2000 an der Münchner Theaterakademie August Everding eine vierjährige Schauspielausbildung ab, und Birte Schneider ist eine Rolle, eine, für die sich ihre Darstellerin nicht verbiegen muss. Das ist nicht selbstverständlich im Fach Satire und Komik. Sie hat erlebt, dass man ihr nach öffentlich-rechtlichen Satire-Sendungen sagte: Das nächste Mal laden wir Sie nur noch ein, wenn uns Ihr Text passt. Fernsehen, sagt die Künstlerin, die auch schon in der ZDF-„Anstalt“ spielte, bedeutet so gut wieder immer: Kompromisse. Und da braucht es eine Haltung, die auch finanziell ans Eingemachte geht: In einer Sendung des konservativen Comedians und Fernsehlieblings Dieter Nuhr, sagt Christine, würde sie nicht auftreten. Lieber engagierte sie sich in der Vergangenheit bei Demos mit Polemiken und Parodien über die Arroganz der Mächtigen gegen Stuttgart 21.

Es sei ihre Pflicht als Künstlerin, Position zu beziehen. „Das Kabarett ist dazu da, den Herrschenden die Hosen auszuziehen, und nicht, um das herrschende System mit Witzen zu stützen.“

Christine Prayon steht auf der Bühne für eine Idee. Diese Idee birgt ein Risiko. Sie hat nicht bedingungslos den großen Publikumserfolg im Auge, sie sagt, es sei für sie ein großer Erfolg, einen Teil des Publikums dazu zu bringen, sich über die Zukunft Gedanken zu machen – in der Gegenwart die Dinge zu erkennen, die verändert werden müssen. Die Utopie, sagt sie, sei in Vergessenheit geraten. Das Kabarett, auch das gegenwärtige mit seinem Anspruch auf Aufklärung, konzentriere sich zu oft auf das, was gerade läuft – nicht auf das, was sein könnte. Es erscheint ihr zu langweilig, sich über die Bedeutung einer grün-schwarzen Koalition auszulassen. Dadurch, sagt sie, verändert sich nichts, nur der Anstrich. Und Witze darüber sind so lächerlich wie die Posen entsprechender Politiker.

Wir sprechen über das älteste Problem des Kabaretts: Wie kann es gelingen, das Publikum nicht nur in seiner Meinung zu bestätigen? Den Leuten einen Denkanstoß zu geben, die Augen zu öffnen für eine neue Sichtweise der Verhältnisse, im Sinne des Künstlers Francis Picabia, dessen berühmter Satz in großen Lettern die Fassade der Stuttgarter Römerschule dekoriert: „Der Kopf ist rund, damit das Denken seine Richtung ändern kann.“

Darum, sagt Christine Prayon, muss es gehen: Das eigenständige Denken zu lernen, sich aus der Denkfaulheit zu lösen, die Sichtweise zu ändern. Es habe System, die Leute dumm zu halten, sagt sie: Es sei ja kaum möglich, das Wort „Kapitalismus“ zu gebrauchen, ohne in die Ecke der „Demokratiefeindlichkeit“ gestellt zu werden. Gerade jetzt sei es wichtig, über den Kapitalismus nachzudenken, ihn nicht zum Unwort zu erklären und so zu tun, als gäbe es keinen Zusammenhang zwischen dem gefährlichen Rechtsruck in Europa und den sozialen Ungerechtigkeiten, der Schere zwischen Arm und Reich. Die entscheidende Frage sei doch: Wie kann es anders und besser gehen? Warum werden Themen wie das „Bedingungslose Grundeinkommen für alle“ nicht intensiver diskutiert? Warum gilt die Utopie als Krankheit.

Christine Prayon gestaltet ihr Programm „Die Diplom-Animatöse“ – auch eine ironische Betrachtung der eigenen Kunst – von Auftritt zu Auftritt anders. Im Renitenztheater wird sie in einem Teil der Show aus Texten lesen, Prosastücke, die sie seit Jahren für ein Buch schreibt.

In der Bar Vicino ist der Mittagsansturm vorbei, die Gäste sind zur Arbeit zurückgekehrt. Unser Gespräch war ziemlich ernsthaft für ein Geplauder zwischen Tür und Angel. Diese Ernsthaftigkeit ist trügerisch, sagt nichts über das Leben auf der Bühne: Christine Prayon ist explosiv, sie hat den Mut zur Verwandlung, geht an die Grenzen einer fast glamourösen Selbsterniedrigung, wofür sich gute Komiker nicht zu schade sind. Und dann hat sie dieses Magier-Talent, die Bühnenpräsenz, die Leute mit gottgegebenem Charme einzuwickeln, bevor sie zu ihren Hirnstößen ansetzt. Irgendwie muss ja das Denken die Richtung ändern.

>> Für Christine Prayons Vorstellung am 6. April im Renitenztheater gibt es noch Karten - und zwar hier: RENITENZTHEATER



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