Bauers DepeschenMontag, 04. März 2013, 1066. DepescheNACHTRAG, DIENSTAGDie Bahn hat die zu erwartende Enscheidung gefällt. Bei etwas Klugheit handelt die Bürgerbewegung weniger stereotyp - nämlich zukunftsorientiert. Es gibt viel zu tun. FLAENURSALON LIVE Freitag, 17. Mai: Familien-Bande im THEATER RAMPE (Vorverkauf). Samstag, 6. Juli: Hafen-Picknick am Neckarufer. Montag, 4. November: "15 Jahre Flaneursalon" im THEATERHAUS (Vorverkauf). Erinnerung an einen großen Künstler: ein älterer Text, aktualisiert und ergänzt: KIPPI, STUTTGART SOUNDTRACK DES TAGES Berlin ehrt zurzeit mit einer großen Schau im Hamburger Bahnhof Martin Kippenberger. Am 25. Februar wäre er sechzig Jahre alt geworden. Bereits 2009 hat ihn das New Yorker Museum of Modern Art (MoMa) mit einer umfassenden Einzelausstellung „als einen der bedeutendsten und einflussreichsten Künstler unserer Zeit“ gewürdigt. Als wichtigste Stationen seines Schaffens gelten Berlin, Köln, Paris, Florenz, Wien und Los Angeles. Viel Zeit hat Martin Kippenberger allerdings in Stuttgart verbracht, und wie immer in solchen Fällen kann sich heute in der Stadt kaum einer mehr daran erinnern. Man müsste eine Straße nach ihm benennen. Im Sommer 1995, ich habe es nie vergessen, besuchte Martin Kippenberger den Paris Club am Rotebühlplatz; heute heißt der Laden Keller-Klub, eine gute Rockbühne. Der Künstler trug damals neben dem obligaten dunklen Anzug eine Doktoranden-Mütze und stellte, von dem Galeristen Achim Kubinski (damals Olgastraße, heute Berlin) am Keyboard begleitet, seine CD „Beuys Best“ vor. Kippenberger hatte seinen gewitzten Elektro-Song in drei Versionen als CD eingesungen. Titel: „Ja, ja, ja, nee, nee, nee“. Ich sehe ihn noch vor mir, den freundlichen Mann mit Charme und Charisma. Den umstehenden Besuchern schüttelte er die Hand. Seine Scheibe mit der Beuys-Persiflage steht heute in meinem Regal, und ich bin froh, dieses kleine Souvenir vom Meister aufbewahrt zu haben. Keine zwei Jahre nach dem Auftritt im Stuttgarter Paris Club war Kippi tot, gestorben am 7. März 1997 mit vierundvierzig Jahre. 2003 kürte man ihn posthum zu Deutschlands Vertreter für die Biennale in Venedig, und es war Zeit, seine Spur zurückzuverfolgen. Martin Kippenberger, am 25. Februar 1953 in Dortmund geboren, hat oft in Stuttgart gearbeitet und getrunken, vorzugsweise in den achtziger Jahren. Wenn er nachts in der Kneipe auftauchte, beispielsweise im Treff Fröhlich unter der Liederhalle, hing Kunst für uns nicht mehr im Museum. Dann saß Kunst an der Bar, und viele Unbefleckte wurden infiziert. Kippenberger war Maler, Bildhauer, Installationskünstler, Fotograf, Autor, Performer, Komiker, Zyniker. Ein Rastloser auf der Suche. Der legendäre Stuttgarter Galeristenpionier Hans-Jürgen Müller (1936 bis 2009) sah 1981 in Berlin neun großformatige Arbeiten, Kippenberger hatte sie von Gehilfen nach Vorlagen eines Kino-Illustrators malen lassen. Müller überredete ihn, wieder selbst zu malen, und Kippenberger kam nach Stuttgart. Müller führte mit Max Hetzler (heute Berlin) und Ursula Schurr eine Galerie in der Schwabstraße für die junge Avantgarde. Dort wurde Kippi mit Material und etwas Geld ausgestattet, er begann wieder zu malen (u. a. die Serie „Hans-Jesus M.“ – so nannte er Hans-Jürgen Müller). In Berlin hätte er dafür keine Zeit gefunden. Er war in dem berühmten Punk-Club SO 36 in Kreuzberg als Impresario engagiert, arbeitete mit Rockstars wie Iggy Pop und büßte viel von seinem geerbten Geld ein. Eines Nachts hätte er beinahe auch sein Gesicht verloren, als ihm ein Punk-Mädchen ihre Bierflasche über den Schädel zog. „Der ganze Kopf ist vernäht worden, es war alles offen“, notierte Kippenberger später. Als er nach dem Flaschenhieb blutend am Boden lag, sagte er zu den Punks: „Es wäre besser gewesen, die Mutter hätte euch Abitur machen lassen.“ Dieses Ereignis dokumentierte Kippi mit einem Foto, es zeigt ihn, schwer angeschlagen mit Kopfverband, daneben die Zeile: „Dialog mit der Jugend“. Der Dialog mit der Jugend fand auch in Stuttgart statt. In der Olgastraße hatte Achim Kubinski eine Galerie für zeitgenössische Kunst. Kubinski dozierte in seinen – später von Joseph Kosuth gestalteten – Räumen gelegentlich über Kunst und viel öfter über Fußball. Eines Tages tauchte die Postkarte aus seiner Galerie auf: „Dialog mit der Jugend“. Auf dieser Karte waren die Uhrzeiten von Kippenbergers Ankunft am Abend und seines Abflugs am darauffolgenden Morgen auf dem Stuttgarter Flughafen eingetragen. Die Leute hielten die Karte für die Einladung zu einer Vernissage – und standen vor verschlossenen Türen. Kippenberger und der Galerist waren in der Nacht nach der Ankunft des Künstlers parlierend durch Stuttgarter Altstadt-Bars gezogen. Am Morgen flog Kippi nach Hause. Der Dialog mit der Jugend war beendet. Es gibt ein Bild von Kippenberger mit dem Titel „Kein Capri bei Nacht“. Zu Beginn der Achtziger, als der Künstler – unterstützt von dem Textilunternehmer Uli Knecht – in Stuttgart arbeitete, wurde in der Gutenbergstraße die Aktion „Capri bei Nacht“ angekündigt. Für dieses Unternehmen hatte sich Kippi auf dem Schrott einen blau lackierten Ford Capri besorgt. Er ließ ihn zerlegen und die Einzelteile als Skulptur an die Wand hängen. „Capri eben als das Land, als Auto. Später habe ich einen blauen Capri in Stücke geschnitten. Das war dann die ‚Blaue Lagune’“, so Kippenberger im Ausstellungskatalog „Tiefe Blicke“ (1985). Die Begeisterung über dieses Projekt war so groß, dass keiner bemerkte, als sich der Sohn des Schrotthändlers bei der Arbeit am Capri einen Daumen absägte. Wenig später, 1982, präsentierte Kippenberger im Stuttgarter Westen erneut eine Performance mit dem Titel „Capri bei Nacht“. Diesmal bemalte er in der Galerie Tanja Grunert ein Ford-Modell mit einer Mischung aus brauner Farbe und Haferflocken. Als die Besucher eintraten, war es stockdunkel. Dann leuchteten die Autoscheinwerfer auf. Capri bei Nacht. Es gab eine dritte Aktion in dieser Reihe, unter dem Titel "Tür bei Nacht" fand sie in bei dem Tübinger Frauenarztes Dr. Zivojin Dacic statt; dessen Frau Ingrid hatte in der Praxis eine Galerie. Kippi lag auf dem Gynäkologenstuhl, entblößte sein Gemächt und stellte die Selbstdiagnose: "Herr Doktor, Herr Doktor, ich habe drei Eier." Viel mehr weiß man heute darüber nicht mehr. Der Galerist Hetzler erinnert sich, der jugoslawische Frauenarzt habe über große Mengen Slibowitz verfügt. Unvergessen dagegen, wie der Künstler einen im Schwarzwald geschnitzten Frosch ans Kruzifix nageln ließ und damit einen Skandal auslöste. Sein Spruch zum Werk steht für die Ewigkeit: "Woran erkennt man den Unterschied zwischen Casanova und Jesus? Am Gesichtsausdruck beim Nageln." Kippi irritierte die Menschen mit seinen scheinbar improvisierten Clownerien. In Wahrheit arbeitete er wie ein Besessener. Er war ein feinfühliger, oft verzweifelter Mann, und er war ein Workaholic. Eine seiner "U-Bahn-Stationen" wollte er noch - sein letztes Stuttgart-Kapitel - in einer Basalt-Skulptur auf Mariposa, Hans-Jürgen Müllers Kulturpark auf Teneriffa, einrichten. Dazu kam es nicht mehr. Am 7. März 1997 starb er in Wien an Leberzirrhose. 2003 las ich auf der Titelseite der „Stuttgarter Zeitung“ die Ankündigung der Kippenberger-Ausstellung in der Tübinger Kunsthalle: „Wenn er nicht gesoffen hätte, dann könnt’ er heut’ noch leben . . .“ Richtig wäre: Wenn er nicht gelebt hätte, dann könnt’ er heut’ nicht tot sein. 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