Bauers Depeschen


Mittwoch, 20. März 2013, 1075. Depesche



 

DAS LIED DES TAGES



FLANEURSALON IN DER RAMPE

Keine zwei Monate mehr, dann ist es so weit: Flaneursalon im Theater Rampe. Als kleine Geste zum bevorstehenden Abschied von Rampe-Intendantin Eva Hosemann, die das Theater im Zahnradbahnhof in der Filderstraße geprägt hat, machen wir am Freitag, 17. Mai, unser Familienfest. Der Entertainer Roland Baisch tritt mit seinem Sohn Sam auf, er singt Songs zur Gitarre, und unser Sänger/Songschreiber Zam Helga bringt seine Tochter Ella mit - auch sie eine hoch talentierte Sängerin. Ergänzt wird der Flaneursalon-Clan von dem fantastischen Rapper Toba Borke und seinem virtuosen Beatboxer Pheel. Beginn ist um 20 Uhr. INFOS UND VORVERKAUF



In den Stuttgarter Nachrichten findet man heute eine Seite über das Café Weiß. Als Ergänzung zu Uwe Bogens Text habe ich mich in meiner Kolumne "Joe Bauer in der Stadt" ein wenig mit Geschichte und ihren Orten beschäftigt:



FREMDER ORT IN NÄCHSTER NÄHE

Das Café Weiß ist ein Stuttgarter Originalschauplatz. Klein, nicht immer fein, aber echt. Solche Orte reizen die Menschen.

Es spiegelt auf komische Weise ein gestörtes Verhältnis zur Gegenwart, wenn sich das Stadtmuseum eine Bar einverleiben will, die noch gar nicht Geschichte ist. Ein Museum hätte sich zunächst einmal für den Erhalt stark machen müssen. Mancher Historien-Händler ist heute zwanghaft bestrebt, schon die Gegenwart als Vergangenheit einzumotten, bloß um nicht zu spät zu kommen. Auf dieses Delikt steht ja angeblich die Strafe des Lebens. Deshalb hat beispielsweise das Haus der Geschichte die Bauzaun-Botschaften der Protestbewegung gegen Stuttgart 21 öffentlich eingesargt, obwohl der Protest bis heute weitergeht.

Das Café Weiß erzählt uns etwas über die Stuttgarter Nachkriegsgeschichte, und ein paar Kapitel mehr. In den Sechzigern war die Bar ein wichtiger Schwulen-Treff. Bis 1969 hielt die Bundesrepublik an der Version des Paragrafen 175 fest, der den Nazis zur Bestrafung von Sex zwischen Männern und „widernatürlicher Unzucht mit Tieren“ gedient hatte. Das Gesetz, bereits 1871 eingeführt, wurde 1969 und 1973 in der Bundesrepublik überarbeitet – und erst 1994 abgeschafft. Bis dahin hat man Schwule als „175er“ beleidigt, und damit sollte sich befassen, wer heute die Debatte um die Gleichstellung der „Homo-Ehe“ verfolgt. Schon der Begriff „Homo“ birgt für einen Schwulen etwa so viel Respekt wie das Wort „Neger“ für einen Afroamerikaner.

Als der Paragraf 175 abgeschafft wurde, war das Café Weiß mehr als dreißig Jahre alt. Es wäre dumm, die Rotlicht-Bar heute als Hort der Humanität oder gar antisexistischer, antirassistischer Ideen zu verklären. Das wäre in der Tat diese Art Nostalgie, worüber die Fortschrittsapostel spotten, sobald ernsthaftes Geschichtsbewusstsein gefragt ist. Der Halbwelt war es nie an allzu großer Menschlichkeit gelegen, auch wenn Begriffe wie „Ehre“ und „Stil“ in der Banditen-Sprache mehr als Worthülsen waren.

Eine Bar wie das Café Weiß verkörpert die kleine Form einer Architektur, die uns psychologisch Brücken baut zu den Menschen, die vor uns da gewesen sind. Solche Plätze müssen erhalten werden, damit wir die Welt besser verstehen, nicht nur die kleine. Die Suche nach Identität, nach historischen Verbindungen in der gegenwärtige Digitalisierung und Globalisierung ist keineswegs rückwärtsgerichtet, hat mit Sehnsucht nach Wiederholung nichts zu tun. Es gibt, auch wenn ich das inflationäre Wort nicht mag, in unserer Internet-Existenz eine Lust auf „Authentizität“, auf das Abenteuer am fremden Ort in nächster Nähe.

Wer mit dem Barchef Heinz Weiß zur richtigen Zeit am richtigen Tisch saß, konnte einiges über die Altstadt erfahren. Wie in der Gegend, die heute vom Schwabenzentrum verunstaltet wird, ein schmuddeliges, von Strip, Rock’n’Roll und Alkohol befeuertes Bretterbudenviertel namens „Vereinigte Hüttenwerke“ entstehen konnte. Warum es möglich war, in einer konservativ regierten Stadt fast ungestört eine mondäne Bar zu betreiben, wo sich im einen Flügel Huren anboten und im anderen Schwule eine Heimat fanden. Wo es Tote gab wie den Selbstmörder, der sich an Silvester in der Bar erschoss, oder den Kellenr „Dicker Hans“, den ein Wegelagerer auf der Straße so schwer verletzte, dass er an den Spätfolgen starb. Das alles spielte sich ab in einer halbseiden, von einem großstädtischen sozialen Mix geprägten Subkultur, einem Milieu mit eigenem Jargon, eigenen Regeln.

Die Geschichten von damals kommen einem nicht merkwürdig vor, wenn man liest,wie urban Stuttgart vor den Nazis war, nach dem Ersten Weltkrieg. Welche Rolle die Kultur spielte, wie fortschrittlich die bildende Kunst, die Theater- und Cabaret-Bühnen waren, wie viele demokratische und rebellische Geister die Stadt prägten. Es war die Epoche der Deutschen Moderne – ein historischer Begriff, den die Fortschrittsbauer andauernd peinlich falsch verwenden, wenn sie ihre Konfektionsbuden als „Moderne“ und „Zukunft“ verkaufen.

Mit einer guten Bar lebt man wie mit einer guten Fernsehserie. Man hofft auf Überraschungen, auf Wendungen. Wie im Café Weiß, wo das Rotlicht erloschen und die Geschichte lebendig ist.



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