Bauers DepeschenMittwoch, 03. März 2010, 458. DepescheNÄCHSTER FLANEURSALON: Mittwoch, 24. März, 20 Uhr, Theater-Restaurant Friedenau, Stuttgart-Ostheim. Vorverkauf: 0711 / 2 62 69 24. Siehe "Termine". Friendly Fire: www.kessel.tv www.bittermann.edition-tiamat.de LESERSALON E-Mail- „Kontakt“ Die Homepage für die in der Depesche vom 27. Februar vorgestellte Aktion UNSERE STADT ist jetzt freigeschaltet: www.unsere-stadt.org (siehe auch LESERSALON) BETR.: EINE KURZE GESCHICHTE AUS MEINEM BUCH ("Schwaben, Schwafler, Ehrenmänner - Spazieren und vor die Hunde gehen in Stuttgart", Edition Tiamat, Berlin) DIE STIMME IN DER BAHN Am 6. Mai 2008 um neun Uhr abends, die Stuttgarter Außentemperatur betrug geschätzte 20 Grad Celsius, fuhr ich mit der Stadtbahn Linie 7 von der Waldau Richtung Charlottenplatz. Wer mit einem solchen Satz seine Kolumne startet, werden Sie sagen, sollte vier Wochen barfuß durch die Stadt gehen, um wieder Bodenhaftung zu kriegen. Neulich lief ich zügig wie ein Sportsmann durch den Stadtgarten. Kennen Sie den Stadtgarten? Der Stadtgarten ist die meistunterschätzte grüne Wiese der Stadt. Eine Oase erregender Ruhe. Gehen Sie mal hin, Keplerstraße, Universitätscampus, schauen Sie den Tulpen zu, wie sie stolz und farbenfroh blühen, wie die Studentinnen auf der Wiese. Mädchen unter 21 Jahren, lese ich in der Zeitung, werden immer gewalttätiger. Mädchen unter 21 Jahren sind doppelt so brutal wie vor zehn Jahren. Dies behauptet Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech, und er behauptet es im Mai, wenn im Stadtgarten die Tulpen blühen. Im Stadtgarten blühen viele Tulpen. Einem Mann, der sein Messer wie seine eigene Mutter liebt, kann es egal sein, wenn der Ministerpräsident am Muttertag den freien Tulpenverkauf verbietet. Herrn Oettinger kennen wir inzwischen: Er ist der Gärtner des Unheils. Jedes Mal aber, wenn sein Kollege Heribert Rech den Mund aufmacht, gibt es Alarm, wie wir ihn bisher nicht gekannt haben. Erst überwacht Herr Heribert das ganze Land mit Videos, als seien wir eine Discounter-Filiale. Dann bildet er libysche Polizisten aus, bis der Staatsanwalt kommt, und am Ende behauptet er, Schuld an der neuen Brutalität hätten Mädchen unter 21. Herr Heribert, gehen Sie mal in den Stadtgarten, schauen Sie den Tulpen und den Studentinnen beim Blühen zu. Die blühen in Freiheit, beschattet nur von Ihren Spitzelkameras. Wenn der Frühling kommt, denken die Menschen, es sei das Licht der Sonne, das ihre Stadt verändert. Das stimmt nicht. Es ist das saftige, satte Grün, das die Stadt verwandelt, und es ist so satt und saftig, dass Herrn Heriberts Polizisten heute lieber Blau als Grün tragen, bevor es im Stadtgarten zu Verwechslungen kommt. Ich wollte Ihnen erzählen, dass ich am 6. Mai 2008 um neun Uhr abends, als die geschätzte Außentemperatur 20 Grad Celsius betrug, mit der Stadtbahn Linie sieben von der Waldau zum Charlottenplatz fuhr. Am Olgaeck hörten die Gäste der überfüllten Bahn ohne Vorwarnung eine menschliche Stimme. Diese Stimme war männlich und dennoch so sanft, als wollte sie uns das Lied der Tulpen singen. Doch der Text ging anders: „Verehrte Fahrgäste“, teilte die Stimme mit, „aufgrund der Witterung ist an den Haltestellen mit Glatteis zu rechnen... Seien Sie vorsichtig... Der Streifendienst ist bereits im Einsatz." Die Gäste im Waggon verstummten. Ich suchte die Sitzreihen nach einem Komiker ab. Ein Komiker wäre mir aufgefallen. Ich sah aber nirgendwo einen Komiker. Es gab auch nichts zu lachen. Die Stuttgarter Kickers hatten gerade 1:2 gegen 1860 München II verloren. Dann lachten alle, und manche, die sich noch nie gesehen hatten, lachten sich an, als hätten sie schon immer zusammen gelacht. Diese Stimme war nicht live, sie kam aus dem Off, aus dem Nirgendwo. Diese Stimme war außerirdisch. Heute, da ich darüber nachdenke, gibt es nur eine Erklärung für diesen Zwischenfall: Ein Computer aus Heriberts Überwachungsmaschinenpark hatte durchgedreht. Viele Mädchen unter 21 saßen im Waggon, es roch nach Tulpen, und lachend fuhren wir weiter. KOMMENTAR |
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