Bauers Depeschen


Samstag, 30. September 2017, 1853. Depesche

 

7 Jahre nach dem Schwarzen Donnerstag:

HEUTE DEMO AM BAHNHOF

Am 30. September jährt sich zum siebten Mal der Schwarze Donnerstag, die brutale Polizeiattacke auf die Demonstranten gegen Stuttgart 21 im Schlossgarten. Große Demo am heutigen Samstag ab 14 Uhr vor dem Hauptbahnhof. Es sprechen u. a. der Schriftsteller Jürgen Lodemann und unsereins. Angelika Linckh moderiert. Musik machen die Ska-Band No Sport und die Sängerin Ella Estrella Tischa.



JOE BAUERS FLANEURSALON live am Dienstag, 17. Oktober, im Club Four 42 in Untertürkheim. 20 Uhr. Mit Rolf Miller, Loisach Marci, Anja Binder. Letzte Reservierungen: EASY TICKET - ACHTUNG: Es gibt nicht mehr viele freie Plätze in Jürgen Heyls Industriekeller in der Augsburger Straße 442. Bequeme Anfahrt mit S-Bahn, SSB (Linien 4 und 13), Busse - nur kurzer Fußweg vom Untertürkheimer Bahnhof. Auch Parkplätze vorhanden.



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



Die aktuelle StN-Kolumne:

IN DER FERNE, SO NAH

Mühlhausen, mon amour. Als Bahn- und Buspassagier habe ich im Lauf der Zeit Lieblingsstrecken gefunden. Meine bevorzugte Busroute ist die Linie 42 von West nach Ost und zurück, eine Art Stadtkarussell. Mit der Elektrischen fahre ich am liebsten auf der Linie 14. Die Vierzehn startet in Heslach und geht erst außerhalb der Stadt vor Anker, in Remseck. Vorbei an den Mineralbädern Berg und Leuze über Cannstatt nach Mühlhausen genießt du in der Vierzehn die gute Aussicht auf Neckar und Weinberge. Du fährst über Brücken und am Max-Eyth-See vorbei, du streifst Münster und Hofen. Auf dieser Tour bekommst du einen realistischeren Eindruck von der Stadt am Fluss als beim Blättern in Rathausbroschüren.

Und es gibt viel zu sehen unterwegs. An der Neckartalstraße die 14 herumlungernden Travertinsäulen. Die Nazis haben diese Machtsymbole im Steinbruch Lauster für ein Mussolini-Denkmal auf dem Adolf­Hitler-Platz im Berliner Stadtteil Charlottenburg bestellt, aber bis heute nicht abgeholt. Wundert nicht. Schon bald nach Kriegsbeginn hatte der „Führer“ für sein einstiges Vorbild aus Italien nur noch Verachtung übrig. Der Berliner Reichskanzlerplatz, wie er vor und nach Hitler geheißen hatte, wurde nur Tage nach dem Tod des ersten deutschen Bundespräsidenten am 12. Dezember 1963 auf den Namen Theodor Heuss' umbenannt.

Die alten Geschichten gehen mir durch den Kopf, bis ich Mühlhausen erreiche, das Dorf am nordöstlichen Horizont. Der hügelige Flecken am Neckar hat kaum mehr als 3000 Einwohner. In Wahrheit aber ist er ein hochkarätiger Regierungssitz, politisches Hauptquartier eines Stadtbezirks mit etlichen eingegliederten Ortschaften und mehr als 25 000 Menschen. Als Rathaus dient nicht irgendein Bürokratenklotz, sondern ein klassizistischer Adelsbau: das Palmsche Schloss, 1817 auf den Fundamenten eines noch älteren Schlosses errichtet. 1933, wenige Monate nach dem Machtantritt der Nazis, wurde Mühlhausen von Stuttgart eingemeindet; im selben Jahr erwarb die Stadt das Schloss.

All das ahnt niemand, wenn er unbedarft wie ich an der Haltestelle der Linie 14 aussteigt und nichts anderes sieht als die Imbissburgen von Kentucky Fried Chicken und McDonald‘s an der Aldinger Straße. Oft besuche ich bewusst ohne jede Vorbildung einen Ort, bereite mich nicht mal mit einem Taschentelefon-Blick auf Wikipedia vor. Doch selbst ein Ahnungsloser wie ich hat irgendwann von der Mühlhausener oder Mühlhäuser Veitskapelle gehört, spätestens als sie von 2010 bis 2022 aufwändig restauriert und Anfang 2013 mit einem Festakt wiedereröffnet wurde.

Allerdings habe ich nach meinem Ausflug gelesen, für diese berühmte Kirche – eines der weithin bedeutendsten Denkmäler gotischer Baukunst – hätten sich in der Vergangenheit weit mehr Besucher aus aller Welt als aus der eigenen Stadt interessiert. Den wenigsten Stuttgarter sei dieses großartige Gesamtkunstwerk vor der Neueröffnung bekannt gewesen. Meister der Prager Dombauhütte haben die nach dem Heiligen Veit getaufte Kirche von 1380 an erbaut. Gestaltet wurde sie von den besten Freskenmalern und Altarschnitzern. Kaum zu glauben, dass die Mehrzahl der Stuttgartern nie von der Kapelle gehört hat, schließlich ist ihr aus Prag stammender Altar seit 1902 in der Staatsgalerie zu sehen.

Wer in dieser Saison noch einen Blick in die Kirche werfen will, muss sich beeilen: Nur an diesem Sonntag ist sie noch einmal für den üblichen Tourismus geöffnet – von 14 Uhr bis 16.30 Uhr. Danach muss man beim Evangelischen Pfarramt in Mühlhausen um Termine für Gruppenführungen bitten (Telefon 07 11/53 23 13).

Dass unsereins wieder mal auf den letzten Drücker kam, ist kaum erwähnenswert. Gesagt werden aber muss: Mühlhausen kann nicht fremdenfeindlich sein. Als ich eine Frau nach dem Weg zu den Sehenswürdigkeiten frage, bietet sie mir völlig angstfrei an, mich ihr anzuschließen. Und als ich später im Löwen, einem von mehreren Gasthäusern im Ortskern, griechisch zubereitetes Hackfleisch esse, schaut von der Wand Maria Callas über ihre Schulter zu mir herunter. Frau Callas, sage ich, Sie hatten für mich die größte Stimme neben Elvis, und sie zwinkert mir zu.

Die Geschichte mit dem Stuttgarter Hauptklärwerk im Ort hatten wir früher schon mal. Auch dass die AfD bei der Bundestagswahl im Wahlbezirk Mühlhausen mit 16 Prozent ihr höchstes Ergebnis in der gesamten Stadt eingefahren hat. Zu Mühlhausen gehören neben der Neckargemeinde Hofen – mit dem schönsten Zugang zum Fluss auf Stuttgarter Boden – auch die Nachkriegssiedlungen Mönchfeld (3000 Einwohner), Freiberg (7500) und Neugereut (8000). Die Hochhäuser von ­Neugereut, Endstation der Linie 2, kann man von Mühlhausen aus auf der anderen Seite des Neckars sehen. Die Kästen erheben sich über Hofen. Viele Migranten, auch viele Menschen deutscher Abstammung aus Russland, leben in diesen Orten am Rand der Stadt.

Am Tag nach meinem Ausflug rufe ich den Bezirksbeirat Reiner Hofmann von der Linken an. 1952 in Hedelfingen geboren, wohnt er seit 1975 in Neugereut – und fühlt sich dort wohl. Er verweist auf die gute Arbeit in der Schule, in den Sportvereinen, lobt die weltoffene Haltung im Jugendhaus. Schwer zu sagen, warum so viele ringsum die Rechtsnationalisten gewählt haben (in Mühlhausen und Hofen etwas weniger als in Neugereut, Freiberg, Mönchfeld). Es sei die Angst vor dem sozialen Abstieg, sagt Reiner, die Angst der Menschen, die irgendwo in der Stadt neu angekommenen Flüchtlinge könnten ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. In Siedlungen wie Neugereut, sagt der Bezirksbeirat, leben die meisten für sich. Du bekommst wenig Kontakte. Weißt nichts von deinen Nachbarn. So gut wie nie spricht man ohne Anlass miteinander.

Ich werde den Teufel tun und das Thema mit ein paar Privateindrücken vertiefen. Als Stadtspaziergänger mit einiger Reichweite darf ich allerdings behaupten: Die meisten von uns, auch viele Politiker, haben wenig Ahnung, was draußen in den Siedlungen läuft. Warum eigentlich? Verglichen mit anderen Großstädten ist Stuttgart klein und eng – und selbst der entfernteste Stadtteil so nah und leicht erreichbar.

 

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