Bauers Depeschen


Freitag, 21. Februar 2014, 1249. Depesche



 



NACHTRAG: SpVgg Unterhaching - Stuttgarter Kickers 2:2



BEITRÄGE schreiben im LESERSALON (bitte anklicken)



FLANEURSALON IN HERRENBERG

Am kommenden Mittwoch, 26. Februar, ist der Flaneursalon im Mauerwerk Herrenberg, einem noch jungen Laden mit schönem Ambiente. Mit Eric Gauthier & Jens-Peter Abele, Dacia Bridges und Roland Baisch. 20 Uhr.



DIE PAPIERTIGER IM CAFE WEISS

Die 4. Folge unseres Leseabends mit Liedern im Café Weiß findet am Dienstag, 18. März, statt. Mein Gast in der Reihe "Die Papiertiger" ist der Berliner Verleger und Autor Klaus Bittermann ("Alles schick in Kreuzberg"). Musik machen Roland Baisch & The White Tigers. 19.30 Uhr. Eintritt frei. Bitte rechtzeitig reservieren: 07 11/24 41 21 (Mo - Sa ab 19 Uhr).



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LIED DES TAGES



GASTDEPESCHE

Der Stuttgarter Filmemacher Goggo Gensch (SWR) lebt zurzeit mit seiner Frau Eva in Mexiko City. Von dort erreichen mich diese Zeilen:



BEIM BARBIER MIT BURROUGHS

Eine fast wahre Geschichte



Am Mittwoch war es wieder soweit. Wie alle paar Wochen hatte ich einen Termin bei meinem Barbier. Als Josué gerade das Messer an meinem eingeseiften Schädel ansetzen wollte, hörte ich eine Stimme: „Beim Rasieren muss man großes Vertrauen haben genau wie beim Wilhelm-Tell-Spiel.“ Ich schaute in den Spiegel und sah einen amüsiert blickenden William Burroughs. Gerade vor ein paar Tagen, am 5. Februar 2014, war der Schriftsteller in den Feuilletons gewürdigt worden. Er wäre einhundert Jahre alt geworden.

Jetzt stand der hagere Mann mit dem kurz geschnittenen Haar in der Barberia Capital in der Calle Monterrey in Mexico City. Wie immer vornehm gekleidet. Grauer Anzug, weißes Hemd, schwarze Krawatte. „Joan hatte damals Vertrauen zu mir, ich habe sie enttäuscht. Aber dadurch wurde ich zum Schriftsteller. Alles hat zwei Seiten“, bemerkte er sarkastisch. „Mit Joan bin ich 1949 nach Mexico City gekommen. Wir mussten fliehen. In Texas hatten wir eine kleine Farm. Dort züchteten wir Zitronen, Baumwolle und Gemüse. Und natürlich Marihuana. Gleichzeitig lebte ich in New Orleans, da erwischte man mich, sie haben einen Brief von mir an Ginsberg abgefangen. Wegen Rauschgiftbesitz, wie es so schön hieß, sollte ich verurteilt werden. Mindestens zwei Jahre hätte ich ins Gefängnis gemusst. Das hätte ich nie überstanden. In jenen Jahren war die Polizei immer hinter mir her, also musste ich etwas tun. Ich mochte Mexico City vom ersten Tag an. 1949 konnte man dort billig leben. Es gab eine große Ausländerkolonie. Sagenhafte Bordelle und Restaurants. Hahnenkämpfe und Stierkämpfe, jede Menge Zerstreuung.“ Josué rückte einen Stuhl heran. Burroughs setzte sich. „Ich habe auch immer ein großes Vertrauen in meine Barbiere gehabt, bin nie enttäuscht worden.“

Joan Vollmer war Burroughs zweite Frau. Mit ihr hatte er einen Sohn, Billy, der 1947 geboren wurde. Aus einer anderen Beziehung hatte Joan bereits eine Tochter, Julie. Kennengelernt hatten sich Joan Vollmer und William Burroughs Mitte der 1940er Jahre in New York. Sie wohnte mit ihrer kleinen Tochter und einer Freundin in einem Apartment auf der Upper West Side. Burroughs finanzierte seinen exzessiven Drogenkonsum damals bereits mit Dealen. Morphium, Heroin, Haschisch, Alkohol, Kokain, Tabletten…als ehemaliger Medizinstudent kannte er sich aus. Seine Muse, Geliebte und Seelenverwandte Joan diskutierte und feierte mit ihm im Amphetamin-Rausch die Nächte durch.

William Burroughs war schon einmal in Mexico gewesen um mit einem Schulfreund ein angeblich lebensverlängerndes Mittel, das „Bogomoletz- Serum“, eine Art Frischzellenkur, zu testen. Außerdem ließ er sich hier von seiner ersten Frau, Ilse Klapper, scheiden. Er hatte die Jüdin 1937 in Wien geheiratet um ihr die Ausreise in die USA zu ermöglichen. Aus seiner Homosexualität hatte Burroughs nie ein Geheimnis gemacht. Mit Joan aber verband ihn mehr als Freundschaft. „Wir hatten ein telepathisches Verhältnis, mit all unseren Interessen und Neigungen.“

Josué, der Barbier, war fasziniert. Er brachte Burroughs ein Bier und fragte „Wie war denn die Stadt damals, genauso laut und bunt wie heute?“. „Mexico City hatte damals eine Million Einwohner, die Luft war so rein wie Mineralwasser, und das Blau des Himmels hatte jene besondere Tönung, die so gut passt zu kreisenden Geiern, Blut und Sand – das nackte, drohende gnadenlose Blau von Mexiko.“ „Mit dem Blau haben Sie recht“, meinte Josué „aber die Luft kann man nicht mehr mit Mineralwasser vergleichen. War die Armut damals auch schon so groß?“ „Die Slums hielten, was Armut und schieren Schmutz anging, jeden Vergleich mit denen aus Asien aus. Die Leute schissen überall auf die Straße, legten sich in ihren eigenen Dreck schlafen, und die Fliegen krabbelten ihnen in den Mund.“

Burroughs nahm einen tiefen Schluck Pacifico aus der Flasche „Ich habe nicht weit von hier in der Calle Orizabe 210 gewohnt. In der Gegend gab es damals schon viele Bars. In meiner Nachbarschaft war eine in der vor allem Amerikaner verkehrten. Mexiko war im Grunde eine orientalische Kultur. Geprägt von zwei Jahrtausenden Krankheit und Armut. Dummheit und Erniedrigung. Sklaverei und Brutalität, psychischer und physischer Gewalt. Das Land war düster, unheimlich und chaotisch auf jene eigentümliche Art, wie man es aus Träumen kennt.“

Der alte Herr kam ins Plaudern während Josué, er war gerade erst aus Tijuana in die Hauptstadt gekommen, mich mit sicherer Hand aber immer aufmerksam zuhörend von meinem Bart und den wenigen Haaren auf meinem Schädel befreite. Burroughs beschäftigte sich mit Maya-Archäologie und altmexikanischen Mythen. Seine Liebhaber besorgte er sich in einer Bar namens Chimu. Seine Drogen über die Dealerin Lupita. Manchmal auch beim Apotheker, den die seien fast alle korrupt gewesen. „Ich erinnere mich, dass in Mexiko die Rezepte für Narkotika knallgelb waren, wie eine Tausend-Dollar-Note oder eine unehrenhafte Entlassung aus der US-Armee. Einmal versuchten Old Dave und ich ein Rezept einzulösen. Er hatte es ganz legal vom staatlichen Gesundheitsamt bekommen. Wir betraten eine winzige farmacia. Ich zückte die receta und eine grauhaarige Dame lächelte mich an. Zwei Minuten Senor. Wir setzten uns und warteten. Im Schaufenster standen Geranien. Ein kleiner Junge brachte mir ein Glas Wasser und eine Katze rieb sich an meinem Bein. Nach einer Weile kam die Apothekerin mit unserem Morphium. Gracias Senor. Als wir draußen waren, schien das Viertel wie verzaubert. Kleine farmacias, ein Markt mit Kisten und Ständen, eine pulqueria an der Ecke. Kioske die geröstete Grashüpfer verkauften und Pfefferminzstangen, die schwarz von Fliegen waren. Boys vom Land, in makellos weißen Hosen und Hemden, geflochtenen Sandalen an den Füßen, mit kupferbraunen Gesichtern und einer wilden Unschuld in ihren schwarzen Augen, von einer hinreißenden, geschlechtslosen Schönheit, wie exotische Tiere.“

Im Vorwort zu seinem ersten Buch „Junk“ an dem er in Mexiko arbeitete schrieb Burroughs „Das Leben reduzierte sich auf drei oder vier Spritzen am Tag.“ Abwechslung in den vernebelten Alltag brachten gelegentliche Besuche. Jack Kerouac und Alan Ginsberg kamen vorbei. Ihnen zeigte er, was er geschrieben hatte. Er war sich seiner literarischen Fähigkeiten nicht sicher und brauchte ihre Bestätigung. Unterdessen begann die tablettensüchtige Joan zu trinken. Sie fand es unerträglich, dass Burroughs, wenn er Morphium oder Heroin genommen hatte, mit niemand Kontakt wollte und sich vollständig isolierte. „Wenn ich dagegen vom Junk herunterkomme werde ich oft derart kontaktfreudig und hemmungslos dass ich auf jeden einrede der stillhält. So wie ihr gerade“, meinte er lächelnd.

„Junk“ erschien 1953 auf Betreiben von Alan Ginsberg. Burroughs veröffentlichte es unter dem Pseudonym William Lee, angeblich um seine Eltern zu schützen. Bis dahin hatte Burroughs lediglich an dem Buch „Und die Nilpferde kochten in ihren Becken“ von Jack Kerouac mitgeschrieben.

Einmal entging Burroughs nur knapp seiner Ausweisung aus Mexiko. 200 Dollar kosteten die Bestechungsgelder an die Polizei. Zur Sicherheit hatte er sich schon vorher zur einen guten Anwalt besorgt. „Ziehen Sie sich an. Sie sind verhaftet. Wie es schien, hatte ihnen die Frau von nebenan einen langen Bericht über mein betrunkenes und ruhestörendes Verhalten geschickt. Mit meinen Papieren war auch etwas nicht in Ordnung. Die Beamten von der Einwanderungsbehörde waren entschlossen, mich ins Gefängnis zu werfen wo ich auf meine Abschiebung als unerwünschter Ausländer warten sollte. Natürlich ließ sich alles mit etwas Geld wieder einrenken, aber mein Gegenüber war der Chef der für Abschiebung zuständigen Abteilung und ließ sich nicht mit Hühnerfutter abspeisen.“

Für den Waffennarr Burroughs, er besaß immer mehrere Schusswaffen, war Mexiko ein Paradies. „Kein Mexikaner war mit einem seiner Landsleute wirklich vertraut, und wenn ein Mexikaner einen anderen umbrachte, was oft geschah, so war es häufig sein bester Freund. Jeder der Lust hatte, lief mit einer Waffe herum und mehrmals las ich von betrunkenen Polizisten, die in einer Kneipe auf die Gäste schossen, worauf diese das Feuer erwiderten. Als Autoritätspersonen galten mexikanische Polizisten ungefähr soviel wie Straßenbahnschaffner.“

Um Geld für Drogen zu beschaffen, wollte Burroughs eine seiner Waffen verkaufen. Es war ein windiger Tag. Ein Hurrikan trieb Wasser durch die Straßen. Er verabredete sich in der Wohnung eines Freundes über seiner Stammkneipe, der „Bounty-Bar“. „Während wir auf den Käufer warteten nahmen wir ein paar Drinks. Irgendwann sagte ich zu Joan. Ich glaube es ist Zeit für unser Wilhelm-Tell-Spiel. Sie platzierte daraufhin das Glas, aus dem sie eben noch getrunken hatte, auf ihrem Schädel. Wir hatten das schon öfter gespielt, ich war immer ein sicherer Schütze.“

Am 6. September 1951 nicht. William Burroughs drückte ab und schoss seiner Frau Joan in den Kopf. Sie starb noch während des Transportes in das Hospital Central de Cruz Roja Mexicanadas das nur wenige Straßen entfernt lag.

Josué hatte sein Messer beiseite gelegt und schaute wie in Trance auf unseren Besucher. Burroughs nahm noch einen Schluck Bier. „Die erschreckende Schlussfolgerung drängt sich auf, dass ich ohne Joans Tod niemals zum Schriftsteller geworden wäre und ich muss erkennen wie sehr dieses Ereignis mein Schreiben motiviert und geprägt hat. Ich lebe mit der ständigen Drohung von etwas besessen zu werden, und mit der ständigen Notwendigkeit, mich dieser Kontrolle zu entziehen. Joans Tod brachte mich in Kontakt mit den Dämonen, dem bösen Geist und zwang mich in einen lebenslangen Kampf, in dem ich keine andere Wahl hatte, als mich daraus freizuschreiben.“

William Burroughs hatte das Glück, in Mexiko zu sein und in Bernabé Jurado einen Anwalt zu haben, der „die Pyramide der Bestechung“, die mordida, ebenso perfekt zu erklimmen, wie er jede Lücke im ohnehin in diesen Fällen nicht so harten mexikanischen Strafrecht zu nutzen verstand. „Jeder Beamte ließ sich bestechen“. Außerdem zahlte seine Familie, reicher amerikanischer Südstaatenadel, 20 000 Dollar an Jurado. Burroughs verbrachte nur dreizehn Tage im Gefängnis und wurde gegen Kaution entlassen. 1952 wurde sein Anwalt selbst in einen Unfall verwickelt. Jurado erschoss einen jungen Mexikaner und floh nach Brasilien. Die Geldforderungen der neuen Anwälte waren Burroughs zu hoch. „Ich hatte einen Vorschuss von 1.000 Dollar für 'Junk' bekommen und war daran interessiert das sagenhafte Yage kennen zu lernen. Im Dezember 1952 verließ ich zusammen mit Tex Palmer, einem Freund, Mexiko.“ Yage ist ein halluzinogenes Getränk der Amazonas-Indianer, Burroughs konsumierte diese Droge erstmals nach seiner Mexikozeit im südamerikanischen Regenwald.

„Aber ich habe euch genug belästigt, ich bin müde und möchte heim zu meinen Katzen. Nur bei ihnen finde ich die reine Liebe, das natürlichste schmerzstillende Mittel, das es gibt.“ William Burroughs sah jetzt wirklich alt aus. Er stand auf, bedankte sich bei Josué formvollendend für das „fantastische Bier“ und ging hinaus auf die Straße. „Ich habe immer versucht den Film den ich im Kopf habe so gut ich kann in Worte zu übersetzen“ meinte er noch mit einem gedankenverlorenen Blick auf die Menschen die von der Calle Monterrey zur Avenida Obregon hetzten. Dort lockten Cafés, Restaurants und Bars. Damals wie heute. Als ich mich verabschieden wollte war er schon weg, abgetaucht im Nirgendwo des Stadtteils Roma. Ich konnte mich nicht mehr bei ihm für diesen Nachmittag bedanken. Josué wollte an diesem Tag kein Geld von mir. „Diese Begegnung war einmalig damit habe ich für heute genug verdient.“

Ich ging drei Straßen weiter in die Calle Orizaba. Das Haus Nummer 210 gab es noch. Ob Burroughs allerdings das in billigem Rot möblierte Schnellrestaurant in seiner Nachbarschaft gefallen hätte, bezweifele ich. Am Abend holte ich „Alte Filme“ aus dem Regal.

Nachtrag. William Burroughs kehrte erst 1974 nach Aufenthalten in London, Paris und Marrakesch in die USA zurück. In New York residierte er in der Bowery und wurde zu einer Ikone der Popkultur. Er arbeitete mit Patti Smith, Laurie Anderson, Kurt Cobain, Andy Warhol, David Bowie, Lou Reed, Tom Waits und Robert Wilson. 1981, nach dem Drogentod seines Sohnes Billy, setzte sich Burroughs nach Lawrence, Kansas, ab. Er hielt ein Methadon-Programm durch, kümmerte sich um seine Katzen. Er ging regelmäßig schießen und schrieb weiter Texte. 1997, wenige Monate nach Allen Ginsberg, starb William S. Burroughs an einem Herzinfarkt. Die letzten Worte aus seinem Tagebuch, am 30. Juli, drei Tage vor seinem Tod geschrieben: „Nichts ist genug. Es gibt kein Ende für Weisheit, Erfahrung – nicht eine verdammte Sache auf der Welt. Keinen heiligen Gral, kein letztes Satori, keine endgültige Lösung. Nur Konflikte.“



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