Bauers DepeschenDonnerstag, 26. Januar 2017, 1731. DepescheLIEBE GÄSTE, ich freue mich über Zuschriften auf meiner Seite, über Kommentare, Anmerkungen, Tipps - bisschen Leben. Einfach hier klicken: BEITRÄGE schreiben im LESERSALON. Und ich freue mich, wenn Sie unseren Flaneursalon live besuchen - beispielsweise am Donnerstag, 9. Februar, im Esslinger Kabarett der Galgenstricke oder am Montag, 20. Februar, im Stuttgarter Gustav-Siegle-Haus, wo wir den fast vergessenen Kleinen Saal mit seiner Kronleuchterkulisse wiederbeleben: mit Stefan Hiss, Marie Louise (voc) & Zura Dzagnidze (g) und Timo Brunke (Conférence). Hier gibt es Karten: online EASY TICKET und telefonisch 07 11/ 2 555 555. Der Klick zum LIED DES TAGES Die aktuelle StN-Kolumne: STIMMEN FÜRS LEBEN Es ist am Nachmittag vor einem Auftritt im Theaterhaus, als ich die Sängerin Cornelia Lanz in der Nähe der Musikhochschule besuche. Der Gitarrist und Sänger Mazen Mohsen und der Koch Khaled Alhussein sind da, Flüchtlinge aus Syrien. Nach einer Weile fällt mir auf, dass ich mich mit Mazen, 23, so selbstverständlich auf Deutsch unterhalte, als sei er schon eine Ewigkeit in der Stadt. In Wahrheit ist er erst seit 16 Monaten in Deutschland und lernt seither mit sportlicher Leidenschaft unsere Sprache. Er hat sich ein kleines Buch mit handschriftlichen Eintragungen zugelegt, und zurzeit macht es ihm großen Spaß, Sprichwörter und Redewendungen zu üben: „Was sich liebt, das neckt sich“, „Qualität vor Quantität“ . . . Mazen Mohsens Adresse ist ein Obdachlosenheim in der Region. In Stuttgart hat er Freunde gefunden – über die Musik. Seine Flucht nach Deutschland führte durch sieben Länder. Zu Fuß, mit dem Bus und in einem Schlepper-Boot. Mazen kann nicht schwimmen. Als sein Boot mit 46 Menschen an Bord vor der griechischen Küste sinkt, retten ihn seine Schwimmweste und ein Freund. Dieser Freund ist von Beruf Schwimmlehrer und hat inzwischen einen Teilzeitjob als Bademeister in Tübingen. „Mit einer Gitarre kannst du nicht flüchten“, hat Mazen neulich bei einem Konzert in der Leonhardskirche gesagt, „aber ich hatte ja meine Stimme.“ Mit dieser Stimme und einer neuen Gitarre gehört er zu den Ensembles von Zuflucht Kultur. Cornelia Lanz, 34, hat diesen Verein 2014 in ihrer Wahlheimat Stuttgart gegründet. Seitdem sind so viele Dinge zustande gekommen, dass das Modewort „Willkommenskultur“ im Bewusstsein der Sängerin eher von gestern ist. Heute geht es darum, dass die Menschen, ob sie erst vor Kurzem gekommen sind oder schon lange da, bleiben können. Dass sie in diesem Land leben können, dass man die Chancen der Zusammenarbeit erkennt. Es gibt in diesen Tagen, in denen die Parteien nicht nur im Bundestagswahlkampf dem Druck von rechts nachgeben, genügend Beispiele für Abschiebungswillkür. Zurzeit berichten die Medien über den Fall des Zahnarztes und Künstlers Pouya, Hauptdarsteller in der von Zuflucht Kultur produzierten Mozart-Oper „Zaide“. Sechs Jahre lebte er in Deutschland, engagierte sich in der Flüchtlingsarbeit, galt als Musterbeispiel einer Integration. Dennoch verfügten die bayerischen Behörden seine Abschiebung, vermutlich um ein Exempel zu statuieren: Niemand ohne dauerhaftes Bleiberecht soll sich sicher fühlen. Trotz zahlreicher Proteste von Bürgern und Prominenten aus Kultur und Politik musste Pouya vergangenes Wochenende nach Kabul ausreisen, um einer Polizeiaktion zuvorzukommen. Der Münchner Musiker Albert Ginthör, Geiger am Orchester des Münchner Staatstheaters am Gärtnerplatz und Veranstalter der Oper „Zaide“, begleitete ihn. Pouya ist in Kabul schwer gefährdet: Seine regimekritischen Lieder findet man leicht im Internet. Erst die jüngste Nachricht der Stuttgarter Zuflucht-Pressefrau Nicola Steller klingt etwas hoffnungsvoll: Pouya und seinem deutschen Begleiter gelang es, Kontakt mit dem Goethe-Institut und der deutschen Botschaft in Kabul aufzunehmen. Jetzt soll es einen Antrag auf Wiedereinreise geben. Cornelia Lanz sagt, es werde immer schwieriger, zwischen künstlerischer Arbeit und politischen und bürokratischen Kämpfen die Balance zu halten. Sie lebt von ihren Engagements als freischaffende Sängerin und hat deshalb mehr als genug um die Ohren. Bevor sie 2014 ihre erste Oper, „Così fan tutte“, in Angriff nimmt, hatte sie ein Engagement am Landestheater Schleswig-Holstein. Als sich der Abriss des baufälligen Theaters in der Stadt Schleswig anbahnt, erlebt sie den Protest der Schauspielkollegen. Diese Solidarität, sagt sie, habe sie politisiert: Der Abriss der Bühne war auch ein Verlust ihrer künstlerischen Heimat. Als im Kloster Oggelsbeuren in Oberschwaben, der Gegend ihrer Kindheit und Jugend, die Proben für „Così fan tutte“ beginnen, werden in dem Gebäude syrische Flüchtlinge untergebracht. Cornelia kommt die Idee, die Oper mit ihnen gemeinsam zu stemmen – so entsteht der Verein Zuflucht Kultur. Noch im selben Jahr tritt der neue Flüchtlingschor (mit Pouya) in der Kabarettshow „Die Anstalt“ des ZDF auf – und findet überwältigende Resonanz. Das Ensemble verarbeitet hochemotional und präzise die Erlebnisse seiner Mitglieder: die Konfrontation mit Krieg und Tod. Der Chor gastiert später beim Bürgerfest des Bundespräsidenten und hat Anfragen selbst aus New York (wo die Sängerin ein Jahr als Stipendiatin studierte). Der „Così“-Premiere im Theaterhaus folgen Mozarts „Idomeneo“ für die Ludwigsburger Schlossfestspiele und „Zaide“ in München. Die Devise lautet bis heute: Lasst uns dem Elend zum Trotz zusammen Musik machen, so verschaffen wir uns wenigstens Gehör. Zurzeit bereitet Cornelia Lanz mit Flüchtlingen, darunter einige aus Stuttgart, ihr viertes Opernprojekt vor: George Bizets „Carmen“. Die Premiere ist für September im Münchner Kulturclub MMA (Mixed Munich Arts) geplant. Die Inszenierung verlegt die Handlung in eine Textilfabrik in der Dritten Welt, als Symbol globaler Ausbeutung. „Bei unseren Projekten geht es um hohe künstlerische Qualität. Wir wollen zeigen, was unsere Leute leisten können, was möglich ist, wenn man Geflüchteten eine Chance gibt“, sagt die Sängerin. Das Casting ist entsprechend streng und steuert dem Klischee entgegen, bei solcher Arbeit gehe es allein um soziales und nicht etwa um professionelles Engagement. Cornelia Lanz ist auch im Fach Schulmusik ausgebildet, Pädagogik spielt bei ihrer Arbeit eine große Rolle. Mit ihren Musikern macht sie regelmäßig Workshops in Gymnasien. Die Schüler, sagt sie, stellen Fragen nach dem Unvorstellbaren. Nach Krieg und Tod, nach den Strapazen der Flucht. „Habt ihr unterwegs Beeren und Kräuter gegessen?“, will einer wissen. „Nein“, antwortet der Musiker Mazen, „bei Dunkelheit gingen wir an Imbissbuden. Danach haben wir uns wieder versteckt.“ Inzwischen ist Mazens Freund Khaled Alhussein für erheblich gesündere und schmackhaftere Ernährung zuständig: Er ist der Ensemble-Koch – „und als gute Seele unverzichtbar“, sagt Cornelia. Für den Verein Zuflucht Kultur kann man spenden: Iban DE95 6005 0101 0001 2040 56. Bic: SOLADEST600. |
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