Bauers Depeschen


Samstag, 04. Februar 2017, 1735. Depesche



 



BETR.: FLANEURSALON IM SIEGLEHAUS

Liebe Gäste, der Vorverkauf für unseren Flaneursalon am Montag, 20. Februar, im Kleinen Saal des Gustav-Siegle-Hauses läuft überraschend gut. Vermutlich herrscht eine gesunde Neugier auf diesen etwas vergessenen Auftrittsort. Auf die Bühne gehen diesmal Stefan Hiss, Timo Brunke, Marie Louise & Zura Dzagnidze. Hier gibt es Karten: online EASY TICKET und telefonisch 0711/2555555. Oder auch über das Kartenbüro der Stuttgarter Philharmoniker: 0711/21688990.

Bereits am Donnerstag, 9. Februar, sind wir im Esslinger Kabarett der Galgenstricke - mit Zam Helga, Ella Estrella Tischa und Timo Brunke.

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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



IMMER VOLLES RISIKO

Als er vom „Hamburger Weltwunder“ spricht, erzählt mir Jacks Gesichtsausdruck etwas von früher. In diesem Mann, nicht gerade groß gewachsen, steckt noch immer der ironische Schelm, der weiß, wie man ein Spiel dank guter Nerven auch mit schlechten Karten gewinnt.

Lange her, seit ich ihm begegnet bin. Es war Mitte der Achtziger in Stuttgart­Wangen, als Jack Kurfess in ein Himmelfahrtskommando namens Kultur einstieg. Bis 1990 war er Verwaltungsleiter im neuen Theaterhaus, Pionier in einer Szene, die man „alternativ“ nannte.

Jetzt schauen wir aus mehr als 100 Meter Höhe hinunter auf die aufgewühlte Baustellen- und Flusslandschaft der Hamburger Hafen-City, ein gigantisches Immobilienprojekt. Ich habe etwas Höhenangst, weil es schon ein paar Stockwerke weiter unten leicht gewesen wäre, über das Balkongeländer in die Elbe zu springen. Es ist kalt, überall in der Stadt sind noch die Spuren des heftigen Schneetreibens vom Vortag zu sehen. Im Erdgeschoss drängen sich Touristen auf der 80 Meter langen Rolltreppe der Elbphilharmonie. Am Nachmittag ist noch kein Konzert. Das Ereignis ist der Bau selbst. Fast 800 Millionen Euro teuer, stand die Elbphilharmonie jahrelang als Spottobjekt herum: die Hamburger Unvollendete, eine Kakofonie politischen Größenwahns. Inzwischen wird sie gefeiert.

Jack nimmt mich mit in den großen Konzertsaal für 2000 Gäste. Wir stehen 30 Meter über der Bühne in einer virtuosen Weinbergarchitektur mit unzähligen Holztreppen. Unten bereiten ein paar Musikerzwerge ihre Probe vor. Wenn sie sprechen, können wir oben jedes Wort verstehen. „Scheiße, wo bin ich hier?“, würde ich gern vor mich hin murmeln. Aber die da unten könnten den Provinzler hören. Man nennt das Akustik.

Jack Kurfess, 1955 in Stuttgart geboren, ist seit 2013 Geschäftsführer der HamburgMusik gGmbH und damit auch kaufmännischer Chef der Elbphilharmonie. Keine schlechte Nummer für einen, der als Zivildienstleistender im legendären Stuttgarter Kinderladen Etzelstraße Anfängererfahrungen mit der etwas anderen Kultur gemacht hat. Weitere Kapitel lernt er in der Jugendhaus-Szene von Filderstadt, seinem Heimathafen. Sein Studium der Wirtschafts- und Politik­wissenschaften schließt er in Tübingen ab. „Ich hatte damals Wirtschaft gewählt, weil ich dachte, die bringen mir was über Karl Marx bei. Dann aber sind sie mir mit Mathematik gekommen“, sagt er. Er ahnt aber, dass ihm „dieses ökonomische Ding“ eines Tages nützlich sein könnte. Schließlich hatte er schon im Jugendhaus erfahren, wie eng Kohle und Kultur zusammenhängen.

Einer seiner Kumpel in den Aufbruchsjahren ist Eckehard „Ecke“ Ensslen-Holl, damals federführend in der Kinder- und Jugendarbeit tätig und von Anfang an Theaterhaus-Mitarbeiter mit feinem Riecher für Finanzen (heute ist er stell­vertretender Vorsitzender der Theaterhaus-Stiftung). Als Jack sein Studium beendet hat, holen ihn Ecke und Bühnenchef Werner Schretzmeier als Verwaltungsmann ins Boot. Wer Jack reden hört, begreift schnell, warum man im Kulturgeschäft ohne Humor verloren ist. Er erzählt von der „kriminellen Energie“ der Macher, dieser phänomenalen Angstfreiheit, die einen Menschen, je nach ­Charakter, Tresore knacken oder Theaterhäuser gründen lässt. „Eine solide Ausbildung“ habe er in Wangen erhalten, sagt Jack, „gelernt, wie Veranstaltungen funktionieren“. Motto: immer volles Risiko. Buchhaltung ist Buchhaltung, aber Kunst eben Kunst. Als Angestellter verdient er anfangs zehn D-Mark netto pro Stunde bei 40 Wochenstunden – weil aber oft achtzig anfallen, spricht man von Selbstausbeutung. Daran hat sich in der Szene bis heute nicht viel geändert.

Nach fünf Jahren Theaterhaus hat Jack das Gefühl, mit seinen Stationen Tübingen und Stuttgart nicht unbedingt am Nabel der Welt zu sein. Er geht als kaufmännischer Leiter an das Düsseldorfer Kulturzentrum Werkstatt, ehe er 1992 in derselben Position an die Kulturfabrik Kampnagel nach Hamburg wechselt. Eigentlich, erzählt Jack, habe er sich bei Kampnagel nie beworben. Nach einem eher informativen Besuch aber habe man ihm telefonisch befohlen, den Job sofort anzutreten. Bei seiner Ankunft in der „Weltstadt“, von der er heute schwärmt, erwarten ihn alternative Zustände: Als man das Schloss seines Büroschranks aufbrechen muss, weil niemand den Schlüssel findet, wird er beinahe von den herunterstürzenden Akten erschlagen. Er arbeitet die Ordner dann so zügig durch, dass Kampnagel saniert und eine der großen Adressen der deutschen Kulturszene wird.

2001 wechselt Jack Kurfess als kauf­männischer Direktor ans Deutsche Schauspielhaus Hamburg. 2010 muss er dort als geschäftsführender Intendant ran, nachdem der ehemalige Stuttgarter Schauspieldirektor Friedrich Schirmer das Handtuch geworfen hat. Jack erlebt in der Hansestadt etliche ­politische Turbulenzen. Gelder für wichtige Projekte in der Stadt sollen gestrichen, Häuser geschlossen ­werden. „Da habe ich meinen alten Kampfgeist reaktiviert und einige Male gedacht: Jetzt feuern sie dich.“

Die Trennung nach sehr erfolgreichen Jahren als geschäftsführender Intendant erfolgt erst 2013, als die neue Intendantin Karin Baier ihren eigenen Verwaltungsmann durchsetzt. Prompt beruft die Stadt Jack Kurfess zum kaufmännischen Geschäftsführer des Musikressorts.

Wir reden über Sinn und Unsinn des nahe am Ruin erbauten Unternehmens Elbphilharmonie, ein Mega-Projekt mit Nobelhotel, Millionärswohnungen und reichlich Spielfläche für Spekulanten. Man muss dazu nicht viel sagen. Falsche Ver­sprechen, Planungsfehler, extreme Verluste. Wäre der Image-Laden allerdings billiger gekommen, hätten kaum andere Kulturarbeiter davon profitiert. Jack sagt, es sei jetzt eine Herausforderung, dieses Haus Menschen aller Nationen zu öffnen, mit Ideen für Konzerte aller Art auch zu ­erschwinglichen Eintrittspreisen.

Am Ende stehen wir auf der Dachterrasse im Freien. Längst nennt man den Koloss mit seinen mundgeblasenen Lampen „Elphie“ – eine Verniedlichung, die in Hamburgs weniger betuchten Kulturszene das Wort „Elbvieh“ hervorgebracht hat. Als ich mich in die Niederungen des Elbufers zurückkämpfe, ist mir weltwundermäßig etwas schwindlig.



 

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