Bauers DepeschenFreitag, 28. September 2012, 984. DepescheTAGEBUCHEINTRAGDie wichtigsten Dinge zuerst. Pisst es heute, oder wird morgen einer OB. 29./30. September DAS GROSSE STUTTGARTER DEMO-WOCHENENDE AN DIESEM SAMSTAG, 29. September, gibt es vor dem zweiten Jahrestag des "Schwarzen Donnerstags" (30. September) eine Stuttgarter Großdemo. Die Kundgebung geht thematisch über S 21 hinaus, sie behandelt Justizwillkür, Spekulantengier, Stadtzerstörung, Bankendiktatur - und läuft so: 13 UHR HAUPTBAHNHOF: Stuttgarts ehemaliger Bahnhofsvorsteher Egon Hopfenzitz geht mit seinem Florenzer Pendant Tiziano Cardosi auf die Bühne; der Italiener kämpft in seiner Heimat gegen ein Großprojekt der von ehemaligen Automanagern geführten Bahn. - Danach Demozug zum Schlossplatz. 14.30 UHR SCHLOSSPLATZ: Es reden Walter Sittler, Volker Lösch, Michael Wilk (Frankfurt am Main), Dieter Reicherter, Winfried Wolf (Berlin), Joe Bauer. Musik: Mood a.k.a., Rapper Toba Borke, Kleines Elektronisches Weltorchester (Mannheim), Trommlergruppe Lokomotive Stuttgart. AM SONNTAG, 30. September, findet im Mittleren Schlossgarten der zweite Gedenktag zum Angriff der Polizei-Wasserwerfer auf die Demonstranten gegen Stuttgart 21 statt. Lesungen, Musik. Beginn: 11 Uhr. Buch-Premiere mit Flaneursalon im Theaterhaus: IM KESSEL BRUMMT DER BÜRGER KING Am Sonntag, 18. November (19.30 Uhr), stelle ich im Stuttgarter Theaterhaus meine neue Textsammlung vor: "Im Kessel brummt der Bürger King - Spazieren und über Zäune gehen in Stuttgart". 55 Glossen und Geschichten, mehr als 190 Seiten, mit einem Nachwort von Wiglaf Droste. Das Buch erscheint demnächst in der EDITION TIAMAT BERLIN. Zur Premiere gibt es einen Flaneursalon mit dem lesenden und Basstrompete spielenden Meisterkoch Vincent Klink (begleitet von Patrick Bebelaar am Klavier), mit Los Santos (Stefan Hiss), Toba Borke & Beatboxer Pheel, Dacia Bridges - und Roland Baisch als Conférencier. Karten über die Telefonnummer 07 11/40 20 720 und im Internet: THEATERHAUS NOTIZ Kurze Kolumnenpause, es gab einiges auf Urlaubsbasis zu erledigen - Demo-Rede für Samstag z. B., und kommenden Montag mache ich mit Anja Binder & Jens-Peter Abele, Roland Baisch, Toba Borke & Pheel in der Rosenau einen Benefiz-Flaneursalon zugunsten der Rosensteinschule am Nordbahnhof. Veranstalter ist der Lions Club. Ausverkauft. SOUNDTRACK DES TAGES Das Gustav-Siegle-Haus wird 100 Jahre alt - und da war mal was: PUNK Sommer 2010. Die Stadtbahn 5 fährt nach Mönchfeld, ein Mann schaut mich fragend an. In diese Gegend kommen Sie wohl selten, sagt er. Ja, sage ich verlegen, über Feuerbach komme ich kaum hinaus. Wo soll ich denn hin? Genau, in die Nischen. Mich um die kleinen Dinge kümmern. Darum geht es. Im Fernsehen spielt Mailand gegen Barcelona, ich gehe zum Charlottenplatz, ehemaliges Theater der Altstadt. Im Universum, wie das kleine Ding heute zu Recht heißt, spielt die englische Punkrock-Band Deadline, mit einer hübschen Sängerin, sie heißt Liz. Sie bewegt sich betörend, singt gut und sanft, trägt Ärmelloses und auf der Haut vermutlich ihre Lebensgage, eingetauscht gegen Tattoos. Für die Deadline-Show bezahlt man zwölf Euro, einen Nischenpreis, und er müsste erhöht werden, stünde dann nicht ein Krieg mit den Punks bevor. Seit 1975 gibt es offiziell Punk, weltweit, und keiner weiß, wie man diesen Kult definiert, was heute noch dahintersteckt. Es gibt Standardwerke darüber, und die Sängerin Liz hat mich dazu gebracht, noch einmal „Sheena Is A Punk Rocker“ von den Ramones zu hören und die Nase in John Savages Buch „England's Dreaming“ zu stecken. "Es gab eine schreckliche, bewusste Flucht kopfüber in die Zerstörung", schreibt Savage. "Diese emotionale Verstörtheit ist eine kulturelle Besonderheit von Punk und bis heute Thema für alle Beteiligten." Mit Theorie kommst du nicht weit, wenn du in der Klett-Passage ein paar Dutzend Menschen siehst, etwas jung, etwas bunt, sehr schwarz, gelangweilt, bierbeseelt, bisschen Anarcho, darunter Eindringlinge, infiziert von Nazis. Viele wissen nicht, was Punk ursprünglich bedeutet, ich weiß es auch nicht. Nuttig, schwul, schmuddelig, irgendwas. An mir ist der Erst-Punk vorbeigerauscht, als Produkt der siebziger Jahre gehöre ich zur dümmsten Generation aller Zeiten. Zuerst war ich damit beschäftigt, die Sechziger nachzuholen, und danach zu verbohrt, mich um die neuen Dinge aus New York und London zu kümmern. Nicht lange her, da war ich in der New Yorker Bowery wieder am Ort, wo sich bis 2006 der legendäre Punk-Club CBGB befand. Die New Yorker haben Stil und gleich nebenan den Joey Ramone Place eingerichtet, gewidmet ist die Straße dem 2001 mit 49 Jahren verstorbenen Sänger der Ramones (Anfang der Achtziger spielten sie in der Böblinger Sporthalle). Das CBGB, schreibt die Sängerin Patti Smith in ihrer Biografie „Just Kids“, war ein Club "auf der Straße der Geknechteten, der eine seltsame Klientel anzog, die wiederum noch unbesungene Künstler mit offenen Armen aufnahm . . . Um dort auftreten zu dürfen, musste man neu und originell sein." Neu und originell ist vorbei. Wo das CBGB war, ist heute eine Herrenboutique. Läden verschwinden, überall. Zurück in Stuttgart, es geht um die Nischen. Die politisch bewussten, die antifaschistischen Punks wohnen heute vorwiegend in Heslach, sie treffen sich in Clubs, Jugendhäusern. Ein Kenner der Szene ist Peter Rust, 43, bekannt als „Peter Punk“, beruflich auf Veranstaltungen unterwegs. "Wir haben eine intakte Szene", sagt er, "klein und familiär." Ich habe keine Ahnung, wann der Punk nach Stuttgart kam. Als 1977 die Band AC/DC im Gustav-Siegle-Haus auftrat, klebten die Veranstalter in ihrer Ahnungslosigkeit eine vermeintlche Sensationsmeldung auf das Plakat: "Punkrock aus Australien". "Wir wussten nicht, was das für Musik war", sagt Hans-Peter Haag, 58, Chef der Konzertagentur Music Circus. Bei AC/DC ging trotzdem irgendwie der Punk ab: Bis heute sind sie die Mega-Stars des Rock. Leicht getäuscht hat sich wenig später auch der echte frühe Punk GAW. Er glaubte auf einem Plakat in Reutlingen den Namen der Londoner Punkband Eater zu lesen, machte sich auf zur Show des Jahres – und landete in einem Gastspiel des Scherbentheaters, der Clownstruppe des Stuttgarter Komikers Roland Baisch, heute 58. Den Wortfetzen "theater" auf dem Plakat hatte Reutlingens englischkundiger Chef-Punk als den Schriftzug „the eater“ gedeutet. Heute leitet GAW alias Georg Alfred Wittner, 50, das Stuttgarter Jugendhaus Mitte, und postpunkmäßig liegt dieser Laden selbst einem Altsack näher als Mönchfeld. KOMMENTARE SCHREIBEN IM LESERSALON FRIENDLY FIRE: NACHDENKSEITEN FlUEGEL TV RAILOMOTIVE EDITION TIAMAT BERLIN |
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