Bauers DepeschenMontag, 20. Oktober 2008, 239. DepescheNEW YORK, STUTTGART Die amerikanische Unternehmensberatung Mercer hat eine Rangliste internationaler Städte erstellt. Gefragt war die Lebensqualität. Ganz vorne landeten Genf, Zürich, Vancouver und Wien. Auf Platz 14 Berlin und Stuttgart. Auf Rang 39 New York. Damit wäre eigentlich alles gesagt, meine Geschichte aber noch nicht beendet. Es war mir klar, dass Stuttgart vor New York landen würde. Hat New York eine Zahnradbahn mit Fahrradständer? Hat Stuttgart noch alle Türme? Weit im vorigen Jahrhundert, als ich alle "Kojak"-Folgen im Fernsehen gesehen hatte und von Beruf New Yorker werden wollte, fuhr ich ein paar Mal rüber. Als ich das erste Mal am Flugplatz ankam - er war nach einem toten Präsidenten getauft, der gar nicht in New York erschossen wurde -, bekam ich kein Taxi. Jedesmal, wenn ich in einen heruntergekommenen Chevrolet Checker steigen wollte, gab man mir einen Stoß und eine Karte mit einer Nummer in die Hand. "Hello", sagte ich, "bin ich hier am Taxistand oder auf dem Arbeitsamt?" Mir hörte jedoch kein Schwein zu, es lungerten nur Ausländer und schwarze Cops herum. Ich stand ein paar Tage am Flugplatz, unterhielt mich aus Langeweile mit dem erschossenen Präsidenten, der dauernd sagte, "Ich bin ein Berliner", bis mich ein Südvietnamese in einen ebenfalls gelben Chevrolet schubste. „Vergelt's Gott", sagte ich. Als der Taxidriver, den ich früher schon im Kino gesehen hatte, wissen wollte, wo es hinginge, sagte ich: "Nach New York.“ "Wir sind in New York", brüllte er. "Okay", sagte ich, "aber Ihr Präsident wurde in Dallas erschossen." Danach fuhren wir stadteinwärts. Unterwegs bat ich den Taxifahrer, auf keinen Fall nach Harlem abzubiegen. Im Kino, sagte ich, sei das mal Bruce Willis passiert. Mr Willis sei in Unterhosen in Harlem gelandet, mit einem Pappschild auf dem Rücken: "I hate niggers". Sorry, ich habe vergessen, Ihnen zu erzählen, dass ich nicht allein nach New York gefahren war. Begleitet wurde ich von meinem Freund Michael Gaedt. Im Taxi fiel ihm ein, wir müssten gar nicht nach Harlem, sondern in die Bronx. Er besitze einen acht Meter langen Cadillac, der Cadillac stehe mit einer kaputten Tür auf dem Stuttgarter Hallschlag. In der Bronx, sagt er, gebe es Schrottplätze, wo man für 50 Dollar eine gute Cadillac-Tür erwerben könne. Beim Auto-Staiger in Stuttgart koste eine Cadillac-Tür 5000 Mark. Der Taxifahrer fuhr in die Bronx, wo M. unter den ratlosen Blicken der Bevölkerung begann, mit seinem Schweizer Taschenmesser die Tür eines Cadillac abzuschrauben. Die war so schwer, dass wir sie mit drei Mann - ich, M. und der Taxifahrer - zum Taxi schleppen mussten. Diese Aktion dauerte länger, als ich hier erzählen kann. Mein New-York-Ausflug war vorbei, als wir mit der Bronx fertig waren und M. die rostige Cadillac-Tür in der Badewanne unserer Hotels mit einer Zahnbürste geschrubbt hatte. Wir fuhren mit unserer Cadillac-Tür im Taxi wieder zum Flugplatz des erschossenen Präsidenten. Der Taxifahrer, der kein Englisch sprach, ließ uns am falschen Gate raus. Wir standen im strömenden Regen und mussten unsere Cadillac-Tür kilometerweit auf einer Karre zum richtigen Tor schleppen. Als wir nach einer Stunde ankamen, gerieten wir, vor Nässe triefend und schlecht riechend, mit unserer rostigen Cadillac-Tür mitten in eine Horde College-Mädchen. Was wir dort erlebten, erzähle ich Ihnen nicht. Es war schlimmer als Bruce Willis in Unterhosen in Harlem. Wir sind dann pünktlich mit der Cadillac-Tür in Stuttgart und die New Yorker mit ihrer Lebensqualität 25 Ränge hinter uns gelandet. „Kontakt“ |
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