Bauers Depeschen


Donnerstag, 02. Oktober 2008, 231. Depesche



ACHT COLA, ACHT BIER



Es war einer dieser Stuttgarter Tage, die mit einem Banküberfall beginnen und fast so langweilig enden. Wie schon einige Male zuvor in der Geschichte des alten und neuen Jahrhunderts kam ich einen Tick zu spät. Nur ein paar Minuten zu lange hatte ich am Stehtisch des Bäckers am Hölderlinplatz die "Bild"-Zeitung gelesen. Als ich an der BW-Filiale ankam, war der Bankräuber mit dreißigtausend Euro Beute verschwunden.

Zwei leere Polizeibusse standen herum. Ich überlegte – und nahm dann doch die Stadtbahn.

In der "Bild"-Zeitung war anderntags zu meiner Enttäuschung kein Wort über den Banküberfall zu lesen. Die Kollegen waren anscheinend noch später eingetroffen als ich, erst am Nachmittag, als schon dieses Schild an der Tür hing: "Sehr geehrte Kunden, wir haben heute wegen eines Überfalls geschlossen."

Ich frage mich, ob es richtig ist, eine Bank erst nach einem Überfall zu schließen. Es war, wie gesagt, einer dieser Stuttgarter Tage, die mit einem Bankraub beginnen, und ich als Bankdirektor hätte schon früh morgens ein Schild rausgehängt: "Sehr geehrter Herr Bankräuber, wir haben heute in Erwartung Ihres Überfalls geschlossen."

Dann wären alle rechtzeitig dagewesen. So aber fuhr ich mies gelaunt nach Feuerbach zum Arzt. Am Geigerplatz, im Zentrum von Feuerbach, ging ich die Treppe der U-Bahn-Station hoch, ich sah blauen Himmel über mir, so blau wie sonst nie in Feuerbach. An der Straße standen vier Jungs herum.

Ohne zu überlegen ging ich auf sie zu und sagte: "Ich muss mal mit euch reden. Wie läuft das denn so mit der Jugendgewalt, von der ich überall höre?" Okay, kein Problem, wir unterhielten uns: Elvin, 16, aus Bosnien, wohnhaft in Botnang; Deniz, 18, aus der Türkei, wohnhaft in Freiberg; Shkelgim, 18, aus Albanien, wohnhaft in Zuffenhausen; Aly, 17, von der Elfenbeinküste, wohnhaft in Cannstatt. Die Jungs, alle an der Hauptschule, behandelten mich gut.

Komme schon mal vor, dass man "angemuckt" werde von einem fremden Typ auf der Straße, sagte Deniz. Daraus ergebe sich in der Regel folgender Dialog:

"Warum guckst du so, Hurensohn?" "Geht dich einen Scheiß an, Missgeburt."

"Okay", sagte ich, "das ist nicht besonders originell, diese Schimpfwörter kenne ich von früher." "Gewalt ist halt immer Gewalt", lenkte Deniz ein, "manchmal musst du dich wehren. Sonst liegst du im Krankenhaus."

Okay, sagte ich und bat die Jungs um ihre Handynummern. Wir werden noch mal darüber sprechen, wie alles läuft. Ich war an diesem Tag zu sehr in Eile, um das Thema zu vertiefen, ich musste zum Arzt. Mich hatte ein Türke beim Fußballspielen verletzt. In Wahrheit interessierten mich an diesem Tag nur zeitgenössische Schimpfwörter. Die Beleidigungen.

"Bastard" sei aktuell, sagten die Jungs. "O Mann, Bastard kenne ich", sagte ich. Neulich erst hat die Polizei zwei Freunde angehalten, auf ihren Motorradjacken leuchteten die Aufkleber "ACAB". Unter Hells Angels heißt ACAB eigentlich ,,Alles Clar. Alles Banane". Punks dagegen deuten die Abkürzung ACAB bei Gefahr im Verzug eher als "Acht Cola. Acht Bier".

Man kann ACAB aber auch mit "All Cops Are Bastards" übersetzen. Das reicht dann für eine Beleidigungsklage und dreitausend Euro Strafe.

Die Bezeichnung "Bastard", habe ich gelesen, betraf früher "vor allem Söhne, die von adligen Männern mit Frauen niederen Standes gezeugt" wurden. Aber erklär das mal einem Bullen, für den der Tag mit einem Bankraub am Hölderlinplatz beginnt und in Feuerbach mit acht Bier und acht Bananen endet.



- 10 Jahre Flaneursalon am Dienstag, 14. Oktober, im Theaterhaus. Mit Los Gigantes, Michael Gaedt & Michael Schulig, Dacia Bridges & Alex Scholpp und einem Überraschungsgast. Beginn 20.15 Uhr. Karten: 0711 / 4 02 07 20.



- Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten:

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