Bauers Depeschen


Dienstag, 30. September 2008, 230. Depesche



Betr.: Streik



Der Tagebuch-Charakter der Depeschen, schätze ich, sollte etwas sorgfältiger gepflegt werden. Bringt nichts, Bastel-Anweisungen auf die Seite zu stellen, um den Flaneursalon zu füllen (siehe Depesche vom 29. September). „Diese Veranstaltung ist überspielt“, sagt Frau Mirjam mit jott. Das bedeutet: interessiert inzwischen keine Sau mehr. Inflation.

Am Montag war Warnstreik in den süddeutschen Zeitungsredaktionen. Fast 300 Journalisten (meine Schätzung) im Stuttgarter Gewerkschaftssaal, Theodor-Heuss-Straße. Ich war auch dabei, bin seit 1972 Mitglied in der Deutschen Journalisten-Union (DJU), das ist heute eine Abteilung von Ver.di. Früher, bevor man vor lauter Manieriertheit und Designerwahn einen Punkt zwischen Buchstaben pflanzte, als sei man eine F. D. P.-Ver.di, waren wir mal Teil der IG Druck und Papier, dann der IG Medien. In diesen Gewerkschaften waren seit jeher Journalisten und Techniker gemeinsam organisiert. Gleichzeitig gibt es den Deutschen Journalisten-Verband (DJV), für mich eine Art Ständezunft.

Nach Adam Riese bin ich seit 36 Jahren Gewerkschaftsmitglied. In diesem Jahr hat man mir überraschend eine Ehrenurkunde und eine Anstecknadel für 25-jährige Mitgliedschaft zukommen lassen. Demnach sind irgendwo in der Klassenkampfbürokratie 11 Beitragsjahre untergegangen. Die Nadel ist übrigens so hässlich, dass ich damit sonntags nicht mein Frühstücksei piksen würde.

Die Stuttgarter Warnstreik-Veranstaltung - es geht um Lohnerhöhung und die Wahrung von Tarifrechten - endete mit dem Bühnenauftritt eines Lehrers, der Texte von Gerhard Polt vorlas und dabei den Meister stimmlich imitierte. Auch der Streik braucht jetzt etwas Event-Soße, den Kicherfaktor. Das ist genau das Gewerkschaftsniveau, um das es geht. Selbstverständlich wurde über diesen Quatsch gelacht, und das ist wohl Medienkultur: Schullehrer ahmt Kabarettisten nach. Profilneurotisch ähnlich geplagt, hören sich gewisse Funktionäre an.

Respekt habe ich vor Kunstfurzern. Das sind Solitäre.

Dem Vorwurf der Nestbeschmutzung stelle ich mich gern.

Es war kein stressfreies Wochenende. Kurzausflug am Samstag ins Dortmunder Fußballstadion zum Spiel Borussia gegen VfB (3:0): los ging es in Stuttgart kurz vor acht, zurück in Stuttgart waren wir kurz nach elf. Gott segne die ICE-Raketen, damit sie auf den Gleisen bleiben (siehe unten Kolumnen-Link). Am Sonntagmorgen um neun eine Stunde lang durch den Wald gejoggt. Für Sonntagabend hatte Vincent Klink alle „Häuptling eigener Herd“-Autoren und -Mitarbeiter zum Jahrestreffen in die Wielandshöhe geladen: Wachtelgalantine/Linsensalat, Gegrillte Rotbarbe/Safrangemüse... Jetzt wird es intim. Den Rest schreibe ich mit blauem Harley-Davidson/Waterman-Füller in mein Tagebuch. Das Magazin „Häuptling eigener Herd“, falls Sie es nicht kennen, ist ein schönes literarisches Magazin, herausgegeben von Wiglaf Droste und Vincent Klink. Da findet man auch brauchbare Texte, wenn man nicht zur Gourmet-Abteilung gehört. Es steht einiges Artfremdes drin, deshalb muss hin und wieder auch ich was liefern.

Da gerade einer meiner ehrenwerten Kollegen seine Scheidung im Restaurant feierte, gebe ich am Ende der allgemeinen Gemeinsamkeit weiter, was mir die „Titanic“- und Depeschen-Leserin Frau J. übermittelt: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, aber nach der Hochzeit ist nach der Hochzeit.“ Nicht mein Problem. Selbst Streiklokale wären einem Standesamt vorzuziehen.



- 10 Jahre Flaneursalon am Dienstag, 14. Oktober, im Theaterhaus. Mit Los Gigantes, Michael Gaedt & Michael Schulig, Dacia Bridges & Alex Scholpp und einem Überraschungsgast. Beginn 20.15 Uhr. Karten: 0711 / 4 02 07 20.



- Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten:

www.stuttgarter-nachrichten.de/joebauer



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