Bauers DepeschenFreitag, 19. September 2008, 226. DepescheBetr.: Harris, fußballlastig Der Begriff „Cosmic American Music“ trifft gut, wenn Emmylou Harris mit magischer Bodenhaftung ihre Heiligkeit aufs Irdische reduziert. „Ich bin 61, meine Mutter 87“, sagt sie auf der Bühne. Die Sängerin war am Donnerstag dieser Woche mit fünfköpfiger Band in der Stuttgarter Liederhalle: betörende, vollkommene Hinwendung zur familiären Botschaft des Country-Lieds. Nach wie vor wunderbares Timbre. Erst beeindruckt die Sängerin Kimmie Rhodes mit ihrem Mann am Bass und ihrem Sohn an der Gitarre im Vorprogramm, später, beim Auftritt der Hauptdarstellerin, singt die Texanerin mit Emmylou Harris im Duett. Das sind kleine Gesten großer Freundschaft. Und in der Halle spukt der Geist des großen alten Gurus, wenn Frau Rhodes erzählt, zuletzt sei sie in Deutschland mit Willie Nelson unterwegs gewesen. Emmylou Harris verkörpert in jedem Song mit darstellerischer Würde, mit künslerischer Demut das andere Amerika, bringt die „Three chords and the truth“-Philosophie ohne Pathos auf den Punkt, diese knappe, gefährliche Leidenschaftspoesie zwischen ländlicher Einsamkeit und großstädtischer Vereinsamung. Die Sängerin – sie spielt in jedem Stück die Gibson-Akustikgitarre – interpretiert neben eigenen Songs Kompositionen von Towens van Zandt, Gillian Welch, Steve Earle. Dankbar nimmt man mal wieder zur Kenntnis, dass es nicht der Amerikaner ist, der den Kopf zu tief in die Scheiße von Vietnam gesteckt hat, sondern der Amerikaner John McCain. Emmylou Harris ist nach wie vor schön. Silver. Jetzt ist schon wieder Freitag, ein paar Urlaubstage sind vorbei, und von Ferien war nichts zu spüren, sieht man einmal davon ab, dass es besser ist, sich beim Aufwachen an Emmylou Harris zu erinnern als ans Büro. Meine StN-Kolumnen seien „zu fußballlastig“, hat mir dieser Tage ein alter Freund aus der Schweiz vorgeworfen. Er hatte im Netz gerade die Geschichte über den „Wolke 9“-Produzenten Peter Rommel gelesen - und einen Montagstext über die Bundesliga. „Na ja“, sagte ich, „der Filmproduzent ist einer der schlimmsten Fußballfans, die ich kennen, und Bundesliga-Kolumnen handeln gelegentlich von Fußball.“ „Trotzdem“, sagte der Schweizer, „zu viel Fußball.“ Die Schweiz hat neulich 0:1 gegen Luxemburg verloren. Philipp Köster und Jens Kirschneck vom unersetzbaren Fußball-Magazin „11 Freunde“ gastierten auf ihrer Lese-Tour in der Stuttgarter Rosenau. Es gibt inzwischen ein Publikum, das Fußball als Bühnenunterhaltung goutiert. Selbstverständlich geht es auch hier wie in der Comedy ausschließlich um Lacher. Die Spezies Pop- und Fußballfan, nicht zu verwechseln mit den Rock- und Kick-Intellektuellen der alten Satireschule, will Fußball als Witz-Vorlage. Die Warnungen altgediener Komiker, Fußball tauge nicht fürs Comedy-Gegröle, Fußball sei zu traurig und - wenn überhaupt - nur unfreiwillig komisch, zählt nicht mehr. Auch wenn Fernsehformate wie bei der EM ständig beweisen, dass den Comedy-Krügers nach Spielen außer Klischees über Land und Leute ("Hollands Stürmer treffen nicht mal einen Wohnwagen") nichts einfällt. Auch beim – durchaus amüsanten – Abend der „11 Freunde“-Protagonisten dient Fußball nur als Vorwand. Gelacht wird in Wahrheit über die komischen Situationen, welche die Trennkostkur eines verfetteten Hobby-Fußballers oder die Kneipentour mit einem ausrangierten Fußballhelden hervorbringen – nicht aber über Pointen, die der Fußball an sich liefert. Er liefert sie NICHT. Fußball ist traurig. Gehen Sie mit mir zu den Kickers. "Sorry. Ich muss weinen", hat mir der Altpunk Tschelle nach dem 1:2 gegen Aue gesimst. Okay, das Leben ist zu fußballlastig. Was aber soll man sich sonst über den Kopf stülpen, wenn man in einer Stadt wohnt, die demnächst ein Dutzend Großbaustellen eröffnet? Und da ist das lächerliche VfB-Stadion, dieses Mercedes-Benz-Museum, noch gar nicht mitgerechnet. "Get Up John", singt Frau Harris. - Flaneursalon heute, Freitag, 19. September, in Fellbach, Jugendmusikschule neben der Schwabenlandhalle. Beginn 20 Uhr. - 10 Jahre Joe Bauers Flaneursalon am Dienstag, 14. Oktober, im Theaterhaus. Mit Los Gigantes, Michael Gaedt & Michael Schulig, Dacia Bridges & Alex Scholpp und einem Überraschungsgast. Beginn 20.15 Uhr. Karten: 0711 / 4 02 07 20. - Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten: www.stuttgarter-nachrichten.de/joebauer „Kontakt“ |
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