Bauers Depeschen


Donnerstag, 28. August 2008, 217. Depesche



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Nach dem Radio-Barth habe ich noch eine Geschichte entdeckt, die verloren geht, wenn ich sie hier nicht ausbreite:



DER GROSSE PLATTEN-SPIELER

Aus dem Leben des ehemaligen Stuttgarter DJ Lupus



Seinen Namen erhielt er in den frühen sechziger Jahren, als jeder Wolfram oder Wolf getaufte Pubertätsanwärter spätestens nach der zweiten Lateinstunde Lupus hieß.

Stuttgarts bekanntester Lupus, bürgerlich Wolf Horlacher, hatte seinen 48. Geburtstag hinter sich, als er erstmals in seiner Künstlernamenkarriere nicht mehr mit Lupus angesprochen wurde, sondern als "Herr Lupus". An diesem Tag kam ihm der Verdacht, womöglich erwachsen zu sein.

Wolf Lupus Horlacher, heute 57, arbeitete als Plattenleger in einer Ära, als DJs noch in ihrer vollen Größe Discjockeys hießen und schon regionalen Starstatus genossen, bevor der abgekürzte DJ ein Popstarberuf wurde.

Als sich Wolf Horlacher im 21. Jahrhundert einen Rollstuhl bauen ließ, weil ihn eine spastische Lähmung in den Beinen dazu zwang, befahl er dem Konstrukteur des Rollstuhls, die Breite der Eingangstür seiner Lieblingskneipe, der inzwischen leider nicht mehr existierenden Bar Hans im Glück, zu berücksichtigen. Das war der einzige Sonderwunsch. Er gehöre zu der Kategorie Rollstuhlfahrer, sagt er, der man ihr Leiden nicht ansehe, jedenfalls nicht über dem Kneipentisch.

Der Ex-DJ Lupus, der sich nach seiner Musikmacherlaufbahn erst auf einen Spazierstock, später auf Krücken stützte, nimmt "den vergleichsweise bequemeren Rollstuhl nicht zur Kenntnis". Diese Haltung überträgt sich. Sein Optimismus ist ansteckend, seine Augen sagen, dass er gelebt hat und noch etwas will von diesem Leben.

Lupus galt in den Siebzigern und Anfang der Achtziger als Stuttgarts populärster DJ.

Als er in der Disco Oz in der Kronprinzstraße arbeitet, wo sich New Wave gerade als Lifestyle-Marke für Fortgeschrittene durchsetzt, steht oft ein blutjunger Musikfreak namens Andreas Läsker, genannt Bär, neben Horlachers Plattentellern und passt auf, wohin der Chef die Nadel setzt. Läsker, bald selbst DJ, entdeckt später die Fantastischen Vier und ist heute ihr Manager. "Ich war 15 oder 16 Jahre alt, als ich Lupus erstmals gesehen habe", sagt Läsker, 44. "Er war ein faszinierender Mensch. Er moderierte seine Titel mit dem Sound eines Echo-Geräts, das war einmalig. Damals gab es nur zwei DJs in Deutschland, die so großartig Musik gemacht haben: Der eine arbeitete im Why Not in München, der andere war Lupus im Stuttgarter Oz."

Das Oz ist in jenen Tagen seiner Zeit voraus. Trendsetter aus Frankfurt, München, Berlin scharen sich um Horlachers Turntables. "Es war die Hölle los", sagt er.

Angefangen hat für Lupus alles in Cannstatt, wo sich der kleine Wolf gelegentlich am Plattenspieler seines Bruders vergreift und zunächst von Jazz-Größen wie Louis Armstrong infiziert wird. "Man nannte das Negermusik, zum Rock 'n' Roll war es nur ein kleiner Schritt." Die Beatles kommen, die Rolling Stones, ihren Fans erscheint die Welt als Scheibe mit Rillen.

Nach musikalischen Erfahrungen in der Cannstatter Tanzschule Schicki beschließt Lupus, ins Open-Air-Geschäft einzusteigen: Mit einem tragbaren Plattenspieler veranstaltet er für seine Klassenkameraden am helllichten Tag Partys im Park. Als Urlaubsvertretung landet er, inzwischen Handelsschüler, schließlich in der legendären Cannstatter Disco Conny.

Lupus wird in den Sechzigern, für 30 Mark pro Abend, Platten-Spieler. Die Zeit des Aufbruchs. Die ersten mutigen DJs trennen sich vom Tanzcafé-Repertoire, besorgen sich auf geheimen Wegen Vinyl aus Übersee, und auf der mono-beschallten Tanzfläche verrenken sich langmähnige Luftgitarristen zu den Psychedelic-Rhythmen "progressiver" Rockmusik. Heroen wie Pink Floyd, Jimi Hendrix und Cream lassen die radiotauglichen Songs hinter sich, komponieren den Soundtrack einer neuen Generation. Mittendrin gibt Lupus das Tempo vor.

Er steigt endgültig zur regionalen Nummer auf, als Jürgen Schumm (er ist mittlerweile verstorben), Werner Armbruster und Werner "Sloggy" Find 1977 in der Tübinger Straße die Disco Boa eröffnen. Der Architekt lässt fünf Kilometer blaue Taue schneiden und an die Decke des Rocktempels hängen, Lupus steht an den Plattentellern - und Disco-Stuttgart rastet aus.

Ein offizielles Nachtleben gibt es noch nicht, Sperrzeit ist wochentags um Mitternacht, samstags um eins - dennoch wird die Menschenschlange vor der Tür zum Boa-Markenzeichen.

Wenige Jahre nach seinem Wechsel 1979 ins Oz steigt Lupus, er hat "keine Lust mehr, den Kasper zu machen". Heute arbeitet er im kaufmännischen Bereich. Seine 15 000 Schallplatten hat er einem Secondhand-Händler vermacht. Gibt er heute zu Hause den DJ, legt er am liebsten Jazz und - "wie jeder vernünftig gealterte Mensch" - Klassik auf.

Lupus heißt er immer noch.

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