Bauers Depeschen


Dienstag, 17. April 2018, 1932. Depesche



 



KARTEN für den FLANEURSALON an diesem Donnerstag im Stuttgarter Stadtarchiv gibt es auch noch an der Abendkasse. Beginn 19.30 Uhr.



Hört die Signale!

MUSIK ZUM TAG



Die aktuelle StN-Kolumne:

KRIEG, GEIZ UND GEFÜHLE

Fast läppisch, durch die Stadt zu stiefeln mit dem Vorsatz, heimischen Zeitungsstoff zu finden, während uns ein Weltkrieg droht. Syrien kann nicht weit sein, wenn Menschen von dort bis zu uns geflohen sind, ohne in ein Flugzeug zu steigen.

Seit ich in der Stadt mein Revier gewechselt habe, spüre ich nicht mehr dauernd den Drang, meine Umgebung zu verlassen und unbekannte Quartiere zu erkunden. Das liegt nicht an altersbedingter Trägheit oder an der Vermutung, unsere Gemeinde hätte mir nichts mehr zu bieten. Der Grund für meine Sesshaftigkeit ist simpel: Nach meinem Katzensprung von West nach Süd gönnt mir mein neuer Heimathafen auch noch nach zehn Wochen so starke Bilder, dass ich staunend vor der Haustür kreuze – was angenehmer wäre, würde ich das Prinzip des Müßiggangs endlich ernst nehmen.

Es ist aber keine gute Zeit für Müßiggänger. Zu viel Aufruhr in der Birne, zu viele Bildschirme und Taschentelefone in Reichweite verhindern die Hinwendung zu Ruhe oder gar Stille.

Mag sein, dass die Beschäftigung mit der Nachbarschaft eine Sehnsucht nach Gartenzwergidylle spiegelt. Dennoch ist es reizvoll, im Heusteigviertel an prächtigen Gründerzeit- und Jugendstilhäusern hochzuschauen und sich zu fragen, warum die Bomberpiloten der Alliierten ausgerechnet diese Ecke verschont haben. Sogar der frühere Landtag steht ja noch. „Die Abendsonne“, heißt es im jüngsten „Merian“- Heftchen über das Heusteigviertel, „lässt das Kopfsteinpflaster in der Mozartstraße wie Goldstücke glänzen.“ Solche Sätze muss ein Magazin absondern, das sich mit der Titelzeile „Schön, reich und schlau“ an eine Stadt ranschleimt. Erleichtert, nicht zu diesen Supermenschen zu zählen, stiefele ich in Demut vor den Reichen, Schönen und Schlauen durch den Staub der Stadt – die sich mit ihrer Wohnungspolitik immer mehr zu einer Quarantäne für Reiche und Schöne entwickelt. Am schlausten sind wohl die, denen der Konflikt zwischen Arm und Reich Profite beschert. Warten wir’s ab. In Berlin gingen am Wochenende schon mal 15 000 Menschen gegen den Immobilienwahnsinn auf die Straße.

Um das Prädikat „reich“ zu entschärfen, sei vermerkt, dass die erste Silbe im Namen „Heusteigviertel“ nicht auf Geld wie Heu anspielt. Der Begriff leitet sich ab von Holz, das bis heute in aller Härte das stadtplanerische Denken im Rathaus beeinflusst.

Ich gestehe, ich war noch nicht mal im Stadt­palais, dem neuen Museum im Wilhelmspalais. Den Namen „Palais“ für einen zeitgemäßen Ort zur Auseinandersetzung mit der Geschichte finde ich daneben. Einerseits erinnert er an Hotels und Dorfdiscos, andererseits passt er zum Logo des Hauses: Mit den lächerlichen Strichen im überladenen Schriftbild scheint man mit Gewalt um Beachtung zu buhlen. Sehr uncool. Was das neu eröffnete Palais in den ehemaligen Königsgemächern zwei Jahrhunderte nach Georg Büchners Parole „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ zu bieten hat, werde ich mir nach dem Event-Rummel der Eröffnung anschauen. Die Absicht der Aktionitis ist klar: Museen sind heute bemüht, als interaktive Bühnen Publikum zu locken. Die Leute sollen ­mitspielen. Bis das funktionieren wird, wünsche ich allenthalben Frieden in den Zeiten des Kriegs und viele Events.

Dem Thema Krieg begegne ich seit jeher. Derzeit achte ich jedoch sensibler darauf. An Litfaßsäulen klebt schon das Plakat des Musikfests der Bachakademie im August mit dem Motto: „Krieg und Frieden“.

Da diese Kolumnen nun im Kulturgeschäft gelandet ist, muss ich auf das Trinkgeldverbot fürs Garderobenpersonal in den Staatstheatern zurückkommen (worüber ich neulich berichtet habe). Es geht um die absurde Auslegung des Anti­Korruptionsgesetzes des Landes. Eine Leserin schreibt mir: „Auch ich bin Mitarbeiterin im Staatstheater und habe mich sehr über Ihre Kolumne ‚Endzeit oder Trinkgeld im Theater verboten‘ amüsiert und gefreut! Auf diesen Unsinn haben schon viele Gäste mit Kopfschütteln reagiert. Ein Gast war sehr ausdauernd, er wollte das Geld über den Tresen werfen und – während ich mich bücke – schnell verschwinden. Andere wollten vor der Tür warten und es mir in die Tasche fallen lassen. Aber da ich ja Großverdienerin bin, brauche ich das ja alles nicht.“

Eine philosophische Betrachtung des Trinkgelds als Akt der Höflichkeit ließ mir der Künstler und Autor Harry Walter zukommen: „Meine Mutter – von 1966 bis 1980 Garderobenfrau an der Stuttgarter Staatsoper – kam eines Abends, später als sonst und etwas abgetörnt, von der Arbeit zurück. Auf meine Frage, was denn los sei, antwortete sie: ‚Ach, weißt du, heute war mal wieder Wagner dran. Das dauert nicht nur ewig lang, die Leute sind dann auch noch immer so ergriffen, dass sie das Trinkgeld vergessen.‘“ Man könnte hier, fügt der Autor hinzu, „einen Zusammenhang sehen zwischen erhabenen Gefühlen und Geiz. Bei Operetten waren die Leute deutlich spendierfreudiger . . . jedenfalls stand das Trinkgeld damals noch nicht unter Korruptionsverdacht.“

Zur selben Zeit – er war damals 13, 14 Jahre alt – hat der Schüler Harry nebenbei an einer Tankstelle gearbeitet: „Tanken, Scheibenwischen, Ölwechsel. Da wurde ich ausschließlich mit Trinkgeld entlohnt und habe die Erfahrung gemacht, dass diese Direktvergütung einer Dienstleistung beim Empfänger (also bei mir) durchaus erhabene Gefühle auslösen konnte. Ganz ohne Wagner . . .“

Soweit zum Schmiergeldtheater. Zuletzt habe ich mehrmals erlebt, dass Bedienungen in Lokalen kein Trinkgeld nahmen mit dem Hinweis, sie müssten es eh beim Chef abgeben. Nach meiner Kenntnis ist dies juristisch nicht statthaft, da es sich beim Trinkgeld in der Gastronomie um eine sogenannte persönliche Schenkung handelt.

Man sollte dieses Thema nicht als Bagatelle abtun: Viele brauchen das Trinkgeld dringend zum Leben. Auch in einer Stadt, in der es nur Schöne, Reiche und Schlaue gibt.



 

Auswahl


Depeschen 2311 - 2318

Depeschen 2281 - 2310

Depeschen 2251 - 2280

Depeschen 2221 - 2250

Depeschen 2191 - 2220

Depeschen 2161 - 2190

Depeschen 2131 - 2160

Depeschen 2101 - 2130

Depeschen 2071 - 2100

Depeschen 2041 - 2070

Depeschen 2011 - 2040

Depeschen 1981 - 2010

Depeschen 1951 - 1980

Depeschen 1921 - 1950
14.05.2018

13.05.2018

12.05.2018
11.05.2018

10.05.2018

09.05.2018
05.05.2018

04.05.2018

03.05.2018
01.05.2018

30.04.2018

29.04.2018
27.04.2018

25.04.2018

22.04.2018
21.04.2018

20.04.2018

19.04.2018
17.04.2018

14.04.2018

12.04.2018
11.04.2018

09.04.2018

07.04.2018
06.04.2018

03.04.2018

29.03.2018
27.03.2018

26.03.2018

24.03.2018

Depeschen 1891 - 1920

Depeschen 1861 - 1890

Depeschen 1831 - 1860

Depeschen 1801 - 1830

Depeschen 1771 - 1800

Depeschen 1741 - 1770

Depeschen 1711 - 1740

Depeschen 1681 - 1710

Depeschen 1651 - 1680

Depeschen 1621 - 1650

Depeschen 1591 - 1620

Depeschen 1561 - 1590

Depeschen 1531 - 1560

Depeschen 1501 - 1530

Depeschen 1471 - 1500

Depeschen 1441 - 1470

Depeschen 1411 - 1440

Depeschen 1381 - 1410

Depeschen 1351 - 1380

Depeschen 1321 - 1350

Depeschen 1291 - 1320

Depeschen 1261 - 1290

Depeschen 1231 - 1260

Depeschen 1201 - 1230

Depeschen 1171 - 1200

Depeschen 1141 - 1170

Depeschen 1111 - 1140

Depeschen 1081 - 1110

Depeschen 1051 - 1080

Depeschen 1021 - 1050

Depeschen 991 - 1020

Depeschen 961 - 990

Depeschen 931 - 960

Depeschen 901 - 930

Depeschen 871 - 900

Depeschen 841 - 870

Depeschen 811 - 840

Depeschen 781 - 810

Depeschen 751 - 780

Depeschen 721 - 750

Depeschen 691 - 720

Depeschen 661 - 690

Depeschen 631 - 660

Depeschen 601 - 630

Depeschen 571 - 600

Depeschen 541 - 570

Depeschen 511 - 540

Depeschen 481 - 510

Depeschen 451 - 480

Depeschen 421 - 450

Depeschen 391 - 420

Depeschen 361 - 390

Depeschen 331 - 360

Depeschen 301 - 330

Depeschen 271 - 300

Depeschen 241 - 270

Depeschen 211 - 240

Depeschen 181 - 210

Depeschen 151 - 180

Depeschen 121 - 150

Depeschen 91 - 120

Depeschen 61 - 90

Depeschen 31 - 60

Depeschen 1 - 30




© 2007-2024 AD1 media ·