Bauers Depeschen


Freitag, 02. Juli 2010, 530. Depesche



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MY BLACK BOULEVARD (12)

DAS DRAMA GHANA - wir singen in Demut:

MUSIK



SO SEHEN SIEGER AUS



Die heutige StN-Kolumne (nicht StN-online):

GOTTES STIEFSOHN - mit dem SOUNDTRACK DES TAGES



Am Morgen wollte ich mit meinem kleinen Computer (den ich früher Fink jr. nannte) auf Expedition gehen, ins historische Arbeiterviertel Luginsland bei Untertürkheim. Dann aber verwarf ich diesen Gedanken. Es war der 2. Juli und so heiß, wie es bei uns nur vor einem Fußballspiel zwischen Argentinien und Deutschland wird.

Bereits zwei Tage vor dem Spiel war es so heiß gewesen, dass sich junge Frauen und Männer im Gras des Schlossgartens ineinander verkeilten, als hätten sie Angst, ihr Leben zu verlieren.

Vor meiner Spanner-Tour durch den Park hatte ich im „Spiegel“ die Anekdoten des 80 Jahre alten Verlegers Klaus Wagenbach gelesen. Wie einst Polizisten junge, ineinander verkeilte Frauen und Männer vom Rücksitz ihrer Autos zogen, um der öffentlichen Erregung Herr zu werden. Das geschah nachts in den Wäldern der fünfziger Jahre, als Deutschland schon Fußballweltmeister war. Wären die gleichen Bullen heute im Schlossgarten unterwegs, würde es in Stammheim eng.

Die Bilder der freien Liebe gefielen mir. Passend wirbt die Lichtreklame für Stuttgart 21 auf der Prag für die Zukunft unseres Parks mit der poetischen Schreibweise: „Schoßgarten“. Diese Stadt, meine Damen und Herren, hat Sex.

Der Mensch, das habe ich in einem großartigen Fußballfilm erfahren, kannte zunächst nur zwei Überlebenstriebe: den Hunger nach Nahrung und die Lust auf Fortpflanzung. Dann aber, als die Bullen schon nicht mehr Sex im Wald bekämpften, gab es eine weitere Kraft, Gottes Willen zu befolgen. Diese Kraft heißt Maradona.

Heute, am 3. Juli, spielen die Deutschen gegen Maradonas Argentinien, und es ist mir wurscht, wenn man mich für einen gottverdammten Verräter hält: Der Mann, der zählt, heißt nicht Löw, Lahm oder Schweinsteiger. Er heißt Maradona. Er ist die Schwurhand Gottes.

Es muss „der mit dem Bart“ gewesen sein (wie der Andere mit dem Bart zu sagen pflegt), der mir zwei Tage vor dem Spiel das Antennenkabel meines neuen Fernsehgeräts zerstörte. Statt ins Wirtshaus zu gehen, legte ich zum dritten Mal innerhalb weniger Tage „Maradona by Kusturica“ in den DVD-Rekorder. Am nächsten Morgen, als mich die Hitze früh weckte, hatte ich immer noch Gänsehaut, als hätte ich mich im Busch des Schoßgartens verkeilt. Ich beschloss, den Film ein viertes Mal anzuschauen. Ich werde es zwei Stunden vor dem Spiel tun und erfahren, was der mit dem Bart zu sagen hat.

Der serbische Regisseur Emir Kusturica (,,Zeit der Zigeuner“) hat seinen Dokumentarfilm 2008 beendet. Es ist das einzige mir bekannte Werk, das uns hilft, Maradona halbwegs zu verstehen. Es geht um diesen kleinen Argentinier aus den Slums, der keine andere Wahl hatte, als Revolutionär zu werden oder Fußballspieler. Der daherkommt, sagt Kusturica, wie eine Figur aus den Western von Sergio Leone und Sam Peckinpah. Dem sie eine Kirche gewidmet haben und der drogensüchtig wurde, bevor man ihn heiligsprechen konnte.

„Maradó“, wie ihn das Volk und Diego sich selbst besingt, verflucht in dem Film George Bush jr., er sagt, warum er für Fidel Castro sterben und am liebsten die Rolle von Robert De Niro in Martin Scorseses Boxerfilm „Wie ein wilder Stier“ spielen würde: Da ist einer ganz oben, der alles kaputt schlägt, auch sich selbst.

Dieser kleine Argentinier gibt in der großen Popshow Fußball, dem globalen Zirkus WM, den größten Helden aller Zeiten. Viele hassen ihn, wenn er als Argentiniens Trainer an der Außenlinie herumhüpft, wie einst die Menschen in Neapel hüpften, als er in Italien Fußball spielte.

Normalität, sagt Kusturica, taugt nicht für Liebe und Verehrung. Gott schütze Maradona, Gottes Stiefsohn. Nach Luginsland reicht es noch, wenn ich tot bin.



DIE STN-KOLUMNEN - WM auch auf GLANZ & ELEND



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