Bauers Depeschen


Samstag, 29. November 2014, 1388. Depesche



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NACHTRAG: Am Samstag hatten wir einen atmosphärisch sehr schönen Flaneursalon im selbstverwalteten Stadtteilzentrum Gasparitsch in Stuttgart-Ostheim. 70 Gäste in dem kleinen Raum. Ich hatte für den Abend einige spezielle, zum Ort passende November-Themen ausgesucht, und am Ende lag ein sehr ordentlicher Betrag im Hut für das Haus. Dank an alle, die die Sache unterstützt haben, Dank dem großzügigen Publikum, den Flaneursalon-Musikern Zam Helga, Ella Estrella Tischa, Toba Borke.



FUßBALLSPORT: Stuttgarter Kickers - Holstein Kiel 0:0



LIEBE GÄSTE,

es gibt noch einige Karten für Die Nacht der Lieder, die Benefiz-Show zugunsten der Aktion Weihnachten am 9./10. Dezember im Thaterhaus. Schade, wenn Plätze frei blieben. Auch Ticktes in den hinteren Reihen helfen Menschen in Not. Ich sag es immer wieder, und jeden Tag geht eine Tür im Advenstkalender auf.

KARTEN: THEATERHAUS. Telefon: 07 11 / 4 02 07 20.

Siehe unser kurzes VIDEO ZUR NACHT DER LIEDER

Für den FLANEURSALON am heutigen Samstag im Stadtteilzentrum Gasparitsch in Ostheim sind keine Reservierungen mehr möglich.



Der Klick zum

LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



ES WAR EINMAL

Wenn ich meinen Heimathafen, die Haltestelle am Hölderlinplatz, anlaufe, komme ich an der Werbetafel eines Solariums vorbei: 15 Minuten schmoren für sechs Euro. Ich denke, für ein paar Euro mehr unter falscher Sonne könnte ich mir mühelos das eigene Fell über die Ohren ziehen und vergessen, was mir auf der Haut brennt.

Alles geht weiter. Im sogenannten Wasserwerfer-Prozess, der juristischen Betrachtung des Polizei-Einsatzes gegen Stuttgart-21-Demonstranten am Schwarzen Donnerstag 2010, hat man die Verfahren gegen zwei Einsatzführer der Polizei eingestellt. Ist ja ein Wasserwerfer-Prozess. Kein Wasserwerfer-Führer-Prozess. Womöglich führen Maschinen ein Eigenleben. Wirft dagegen ein Demonstrant eine Kastanie oder eine Torte, können die Juristen vor lauter Gerechtigkeit das Wasser nicht halten.

Das Verfahren konzentrierte sich erst gar nicht auf die von der Politik gesteuerte Polizei-Offensive im Park, es stellte nur die Frage, wie die Panzerwagenkanonen geballert und wen sie getroffen haben. Der Prozess sollte den Eindruck erwecken, die brutale Gewalt gegen die Demonstranten am 30. September 2010 werde „aufgearbeitet“. In Wahrheit ging es Politik und Justiz darum, der Öffentlichkeit weiszumachen: Widerstand und Kritik sind nach diesem Verfahren Geschichte. Diese Art von verlogener Historisierung des S-21-Protests hatte schon begonnen, als man den aufmüpfig-fantasievoll dekorierten Bauzaun vom Bahnhof hurtig ins Haus der Geschichte beförderte, nach dem Motto: Es war einmal.

Das Herumgehen in der Stadt schärft den Blick auf Zusammenhänge. Das Verleugnen, das Verdrängen und Vergessen ist überall präsent. Bestes Beispiel ist das Hotel Silber, die ehemalige Gestapo-Zentrale am Karlsplatz. Bis heute leben Menschen in der Stadt, die im Hotel Silber einsitzen mussten. Ewald Conzmann (94), den Gewerkschafter und Bürgerrechtler vom Raitelsberg, hat man gleich zweimal im Hotel Silber eingesperrt. 1938 einige Tage im „Dritten Reich“, 1956 ein paar ­Wochen in der Bundesrepublik (er war Kommunist).

Die Stadt hat bekanntlich vor, wenigstens Teile der ehemaligen Gestapo-Zentrale als Lern- und Gedenkort zu gestalten. Mit welchem Inhalt, ist auch fast 70 Jahre nach dem Ende der Nazi-Diktatur nicht klar. Die jahrzehntelange Verschandelung des Hotels Silber, die Hinweise reaktionärer Stadtpolitiker auf die nicht mehr vorhandene Ursprungsarchitektur sind zynisch und schäbig angesichts der Geschichte dieses Orts.

Kommen wir auf diesem Weg zu einem bitteren Jubiläum. Vor genau 70 Jahren, am 30. November 1944, haben die Nazis neun Mitglieder der Stuttgarter Widerstandsgruppe Schlotterbeck aus Luginsland im KZ ­Dachau ermordet. Maria Schlotterbeck, Gotthilf Schlotterbeck, Gertrud Lutz, Else Himmelheber, Erich Heinser, Emil Gärttner, Sofie Klenk, Emmy Seitz, Hermann Seitz. Zwei weitere Antifaschisten, Theodor Seitz und Hermann Schlotterbeck, hat man 1945 umgebracht.

Nur einem der Widerstandskämpfer, Friedrich Schlotterbeck (1909 bis 1979), gelang die Flucht in die Schweiz; seine Braut, die oben erwähnte Else Himmelheber, schaffte es nicht. 1996, mehr als 50 Jahre nach dem Krieg, hat man ihr, gegen den Willen der CDU, eine Staffel in der Nähe des Marienplatzes gewidmet.

Über all diese Dinge gibt es heute Literatur und Internet-Einträge. Darin erfährt man auch etwas über den Verräter Eugen Nesper, einen ehemaligen Kommunisten und späteren Gestapo-Agenten, der die Widerstandskämpfer ans Messer lieferte. Sinnvoll ist es nach wie vor, man fährt hinaus nach Luginsland, in die frühere Arbeiterkolonie. In der Annastraße 6, vor dem einstigen Haus Friedrich Schlotterbecks, steht man am Denkmal für die Ermordeten. So begreift man im Gegensatz zu gewissen Stadträten etwas von der Psychologie eines Ortes.

Bei der Beschäftigung mit der Gruppe Schlotterbeck führen viele Spuren ins Hotel Silber. Dass man dieses Haus bis heute nicht als NS-Dokumentationszentrum eröffnet hat, ist umso peinlicher, wenn man weiß, dass die Stadt ihr Mahnmal zum Gedenken an die Opfer der Faschismus bereits 1970 bewusst in der Nähe des Hotels Silber platziert hat, auf dem Karlsplatz.

Immer schön vergessen. Erst jetzt gibt es im Landtag einen Untersuchungsausschuss für die haarsträubenden Fehler und Verflechtungen staatlicher Ermittler im Nazi-Sumpf der NSU-Mörder. Man wünscht dem Ausschuss viel Erfolg. Vielleicht hat man ja beim Schreddern in den Jahren des öffentlichen Wegschauens etwas übersehen.



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