Bauers DepeschenSonntag, 14. Dezember 2008, 262. DepescheBETR.: INDIEN / BREITFUSS Am 25. Dezember ist Josef Haders Bühnenstück "Indien" wieder im Stuttgarter Theaterhaus zu sehen. Darin spielt Gottfried Breitfuß den Bösel, und das erinnert mich daran, wie ich 2005 die Rede zum Abschied des Schauspielers vom Stuttgarter Staatstheater gehalten habe. Ein etwas langer Text, aber er gefällt mir, und es ist Winter und bald Weihnachten, und da zwingt man sich zum Lesen: "ICH BIN DER MANN AUF DEN ZWEITEN BLICK" Guten Abend, sehr verehrtes Publikum, keine Angst, ich bin heute Abend nicht der Festredenhalter, der vom Ansehen her bekanntermaßen unter dem Handtuchhalter und Hundehalter rangiert. Ich bin der Leichenredner. Und wie Sie wissen, gibt es gelegentlich auch eine schöne Leich. Herr Gottfried Breitfuß hat uns verlassen, was eine Sauerei ist. Aber er ist halt Österreicher, und mit den Österreichern haben wir uns im Lauf der Zeit an Sauereien gewöhnt. Gottfried Breitfuß habe ich Anfang der achtziger Jahre im Treff Fröhlich unter der Liederhalle kennen gelernt. Wer es nicht weiß: Das war die Kneipe des Journalisten Hans Fröhlich, die bis morgens um fünf geöffnet hatte. Das war damals eine Stuttgarter Sensation, so lebenswichtig wie die Schinkenhörnchen, die es morgens um fünf illegal beim Bäcker Schmälzle in der Hauptstätter Straße gab. In Fröhlichs Fünf-Uhr-Kneipe saß sehr oft Herr Gottfried Breitfuß, um dortselbst mit Hans Fröhlich über die Welt zu diskutieren. Das hörte sich meist an wie aus einem Stück von Thomas Bernhard, nur - was fast unmöglich ist - erheblich gemeiner. Denn hier waren gleich zwei Monologisierer am Werk, und ich glaube, Dialoge mit etwaigen Übereinkünften waren in diesem Etablissement verboten. Im Grunde galt, was die Debatte über die Kunst betraf, der Satz von Karl Kraus: "Schimpft alle in der Garderobe, ich wart doch wehrlos im Saal." Und die Garderobe war in diesem Fall das Wirsthaus Fröhlich. Weil ich damals eher wenig von Karl Kraus und der Bernhardschen Weltsauerei-Interpretation verstand, mischte ich mich mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln ein und nannte zu fortgeschrittener Stunde Herrn Breitfuß einen Knallchargen, weil ich die Schauspielerei jenseits der Kategorie Clint Eastwood nicht für eine ernst zu nehmende Profession hielt. Herr Breitfuß schaute mich daraufhin von oben bis unten an, nahm Maß wie ein westerngeschulter Sargtischler und hieß mich einen Hobby-Zyniker. Ich wiederhole: Hobby-Zyniker. Das war die denkbar schlimmste Beleidigung, die er aussprechen konnte. Das Spiel zwischen Knallcharge und Hobby-Zyniker ging einige Jahre, bis wir aus Gründen des würdevollen Alterns eine Art Annäherung schafften, so wie seinerseits die Amis und Russen, jeder noch eine Atomrakete in der Tasche. Jedenfalls gab es keinen Krieg, und später trafen wir uns verhältnismäßig oft wieder, beispielsweise im Café Weiß, wo wir dann friedlich am selben Tisch saßen und uns mithilfe alkoholischer Getränken gegenseitig Mut zusprachen. Der Zynismus war inzwischen einer Depression gewichen. Von nun an galt ein Vers von Georg Kreisler als Motto, und der geht so: Ich sitz grad im Gasthaus / bei nem Glas Wein / und rast aus / drauf sag ich: Herr Wachtel / trinkens noch oa Achtel Im vergangenen Winter trafen Gottfried und ich uns in freier Wildbahn, in der Natur, und danach habe ich folgende Geschichte aufgeschrieben: "Der Mann auf den zweiten Blick“: ------------------------------------ Werbeblog ------------------------------------- - Samstag, 27. Dezember 2008, Theaterhaus Stuttgart: Der Entertainer Roland Baisch präsentiert die Weihnachtsshow "Solo XXL" mit seinen Countryboys, dem Komiker Otto Kuhnle, den Pubertätspunkrockern 25% Too Young To Shave und als Gast Joe Bauer. Beginn: 20.30 Uhr. Karten: 07 11 / 4 02 07 20 ------------------------------------------------------------------------------------------ ES IST EIN KALTER, klarer Wintertag, ein Tag für zwei verschnupfte Nasen unter freiem Himmel. Wir treffen uns im Bohnenviertel zum Abschiedsmarsch. Der Schauspieler Gottfried Breitfuß, 46, wird das Ensemble des Stuttgarter Staatstheaters Ende der Saison Richtung Zürich verlassen. Ein Sommertag, haben wir gesagt, würde nicht taugen für einen Abschiedsmarsch. Ein Mann geht winters, das Wuschelhaar unterm Hut. 1987 kam der Österreicher zum ersten Mal nach Stuttgart, 1993, nach einem Engagement in Basel, zum zweiten Mal. Seitdem spielte er ensuite am Eckensee. In München, sagt Breitfuß, er ist 46 Jahre alt, habe er mal einen 93 Jahre alten, noch aktiven Kollegen kennen gelernt, der habe ihm gesagt: "90 Prozent von dem, was ich gemacht habe, war Scheiße. Aber der Rest hat sich gelohnt." So gesehen, sagt Breitfuß, habe er Glück gehabt, er liege auf der Scheiße-Skala bis jetzt bei 87 Prozent. Warum er trotzdem geht? Mein Gott, weil er lange genug hier gewesen ist. Anfang der Neunziger traf er im Zug von Frankfurt nach Basel zufällig den Intendanten Friedrich Schirmer. "Ich hole dich, wenn ich ein gutes Engagement habe", hat Schirmer gesagt. Bald darauf saß Breitfuß im Zug von Basel nach Stuttgart. Dabei hatte er damals keine so gute Erinnerung an diese Bühne. "Als ich zum ersten Mal in Stuttgart gespielt habe", sagt er, "wünschte ich mir einen schwarzen Verfolgerscheinwerfer." An den Titel des Stücks kann er sich noch erinnern, er hieß "Sünden der Landbewältigung", an das Stück selbst nicht. Wir gehen am Theater vorbei, durch den Schlossgarten, und man kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass dieser Mann bald nicht mehr spielt in Stuttgart. Über 150-mal ist er bis heute allein in der fürs Wirtshaus konzipierten Tragikomödie "Indien" aufgetreten; erst in Zuffenhausen, später in der Rosenau. In "Indien" geht es um die Gastronomie-Tester Bösel und Fellner, die durch Österreich reisen und die Restaurationsbetriebe unter die Lupe nehmen. Den Herrn Bösel spielt Breitfuß, den Herrn Fellner sein Freund und Landsmann Ernst Konarek. Der Bösel ist ein quadratschädliges Vertreterfossil, Breitfuß in dieser Rolle eine Art Böselfuß. Ein Böselfuß kann einem Angst machen, wenn er am Wirtshaustisch die Kellnerin mit den Augen verschlingt, bevor er in eine lebensgefährliche Melancholie versinkt. Breitfuß will in Stücken spielen, sagt er, "in denen der Zuschauer mit uns mitkommen kann". Er sei nun mal der Typ Volksschauspieler: "Ich will sein, wer ich bin", sagt er in Anspielung auf die Lakonie guter Western, "der Rest ergibt sich." Gottfried Breitfuß ist im Salzburger Land aufgewachsen. Seine Eltern bewirtschafteten einen Bauernhof im Tal und eine Skihütte auf der Alm. Er hat eine Bergmenschenseele, weiß der Teufel, wie ein Mensch das aushält, fortwährend rauf- und runterzukommen, das ganze Leben lang. Es war nur eine Frage der Zeit, dass sich der Erzkomödiant Breitfuß das Singspiel "Im Weißen Rössl" vorgeknöpft hat, 1999 als Regisseur und in der Rolle des Oberkellners Leopold. Kellnern hatte er als Fünfjähriger bei den Eltern gelernt. Überhaupt beutet Breitfuß dauernd sein Leben aus. Das sei sein Handwerk, sagt er. Er sagt nicht Kunst, er weiß aber, was sich künstlerisch gelohnt hat in all den Jahren: das "Weiße Rössl", "Indien", Nestroys "Frühe Verhältnisse" - lauter Produktionen der Austro-Connection am Stuttgarter Schauspiel. Das sei das Schöne hiergewesen, sagt er, die Freiheit bei Schirmer, sein eigenes Ding zu machen. Unvergessen die Solo-Abende mit Liedern des Taubenvergifters Georg Kreisler, die Vorstellungen unter dem Titel "Meschugge", in denen man glaubte, Gottfried könne für eine Zehntelsekunde über dem Bühnenboden in der Luft stehen, geladen mit magischer Energie. Ich glaube, er kann es wirklich. Wir sind ein Stück gelaufen, bis zu den Mineralbädern. Gottfried Breitfuß dreht sich um die eigene Achse, sagt, was er vermissen werde: Ja, das alte Bad Berg; Stuttgarts Mineralquellen nicht zu kennen, sagt er, sei wie nach Ägypten zu fahren, ohne die Pyramiden zu sehen. Und dort oben die Rotenbergkapelle, zu der er unzählige Male gewandert ist, oder der Kappelberg, drüben das dörfliche Uhlbach, Ziel seiner Spaziergänge, die Freuden der Landbewältigung. Er ist viel gewandert, auf der Suche nach dem Leben. Von Pforzheim zu Fuß nach Basel und von Basel nach Genf. Immer gemäß der Kreislerschen Lehre: "Am Anfang fiel mir ja das Kriechen schwer. Jetzt schaff ich sieben Arsch pro Tag und montags fünfzehn oder mehr. Ja man braucht schon ein bisschen Routin / um so wie ich von Arsch zu Arsch zu ziehn." Unterwegs, von Arsch zu Arsch, hat Gottfried Breifuß Stuttgart lieben gelernt. "Stuttgart tut nicht mehr, als es ist", sagt er und meint damit wohl auch sich selbst: "Ich bin", sagt er. "ich bin der Mann auf den zweiten Blick." Einer, der das Abenteuer liebt, auf der Bühne vielleicht nur zwei-, dreimal im Leben "die vierte Wand einzureißen", wie er sagt, und zu wissen, dass es damit genug ist mit der Kunst. Ja, den alten Freund Konarek, sagt Gottfried Breitfuß am Ende unseres Spaziergangs, den werde er wohl vermissen, wenn er gehe. Das hört sich an, als könnte er eines Tages wiederkommen. So und jetzt feiern wir heute diesen Abend und trinken darauf, dass wir unsere schöne Leich, den Herrn Böselfuß, hier bald wieder sehen. Alles andere wäre meschugge. Und so sag ich, frei nach Wolfgang Neuss: Herr Ober, die nächste Lage - ist ernst. - Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten: www.stuttgarter-nachrichten.de/joebauer „Kontakt“ |
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