Bauers DepeschenSonntag, 26. Oktober 2008, 242. DepescheDIE WIEDER-DA-DEPESCHE (Die paar Paar Socken sind bereits gewaschen) Zum Abschied von meinem kurzen Ausflug hat mir am Times Square eine Taube auf die linke Schulter meiner schwarzen Jacke geschissen. Es war eine freundliche Taube, sie wusste, dass meine rechte Schulter dauerverletzt und nicht mehr nahkampftauglich ist. Die Fußballtorwart-Macke lege ich trotzdem noch nicht ab, zumal die Theaterhaus-Sportskameraden am 14. Oktober eigens für den Flaneursalon den heiligen Dienstagspielabend ausfallen ließen. God bless you. Der Taubenschiss von New York war insofern gerecht, als ich keinen Grund hatte, mich am Times Square herumzutreiben, sieht man einmal davon ab, dass ich am letzten Ferientag auf Bestellung lebenswichtige Güter wie Glaskugeln, gefüllt mit künstlichen Schneeflocken und halb Manhattan, einkaufen musste. Gewohnt habe ich sieben Tage lang in Brooklyn, und Brooklyn ist im Souvenir-Geschäft noch nicht ausgerüstet. Man könnte sagen, ich sei dem allgemeinen Brooklyn-Trend hinterhergereist, aber der Trip war purer Zufall. Ursprünglich wollte ich im selben Hotel wie im vergangenen Jahr hausen, im Edison an der 47. Straße in Manhattan West. Der schöne alte Laden war aber genauso ausgebucht wie alle anderen Hotels von Manhattan, und so ging ich in ein Hotel mit dem feinen Verlierer-Namen „le bleu“ in Brooklyn, Fourth Avenue. Dieser Ausflug war wie immer sorgfältig vorbereitet, das heißt, ich hatte mich um überhaupt nichts gekümmert außer um den Erwerb von Paul Austers Roman „Brooklyn Revue“. Wie’s der Teufel will - und ohne dass ich es gewusst hätte - spielt diese Geschichte um einen alternden Ex-Versicherungsvertreter, seinen erfolglosen Ex-Literaturstudent-Neffen und einen knasterfahrenen Galerie- und Antiquariats-Gauner im Park Slope von Brooklyn, nahe dem Prospect Park mit dem Brooklyn Museum, also in der Gegend, wo ich wohnte. Es ist lustig, die "Hotel Existenz"-Dialoge von drei Männern in ihrem Seventh-Avenue-Restaurant zu lesen, wenn man gerade in der Seventh Avenue einen Spaziergang bei strahlendem Sonnenschein gemacht hat. Brooklyn ist im Grunde eine eigene Stadt mit viereinhalb Millionen Einwohnern und gut ausgerüstet mit allen internationalen Abteilungen, die man sich denken kann. China, Italien, Gelobtes Land, Afrika, Russland. Vor diesem Ausflug hatte ich von Brooklyn nicht viel und bei den meisten NY-Aufenthalten nur Little Odessa und Cony Island gesehen. Mir kam dieser Stadtteil recht beschaulich vor, ich fühlte mich sauwohl, die Backstein- und Brownstone-Häuser strahlen eine prickelnd Ruhe aus, und selbst das mittlerweile allerorts erwähnte Williamsburg, das man vom Park Slope für 14 oder 15 Dollar mit dem Taxi erreicht, ist ein Marktplatz der Stille verglichen mit dem Affentheater, das einst im Village von Manhattan geherrscht hat und auch ohne die früheren Musik-Clubs immer noch herrscht. Manhattan ist übrigens sehr schnell und sehr einfach per U-Bahn zu erreichen, die Wochenkarte kostet nur 25 Dollar. Ich bin eigentlich nicht für Reiseberichte zuständig, weil ich selten verreise, ich weiß auch nur so viel: Auf Seite 60 der Taschenbuchausgabe von „Brooklyn Revue“ steht zu lesen, Brooklyn sei "New York und doch nicht New York", und das ist ein guter Zustand. Die jüngeren Brooklyn-Leute basteln sich gerade ihre eigene Stadt, die Öko- und Bio-Indianer aus den Vegetarier- und Veganer-Ecken sind schwer an der Arbeit, und selbstverständlich rücken längst auch die Künstler an - Autoren, Musiker, Regisseure. Die Immobilienpreise steigen entsprechend amerikanisch. Ich hatte rechtzeitig mit der Kellnerin im „Brooklynbread“ das Abkommen geschlossen, mir trotz des frischen Öko-Winds und den Hybrid-Bussen in ganz New York immer unauffällig etwas Kernenergie namens Ketchup zu meinen Eiern mit Speck zu servierern. Der Kontrakt funktionierte per Augenkontakt tadellos die ganze Woche, und selbstverständlich liebte ich die Kellnerin so sehr wie Austers Altsack Nathan "die prächtige Marina", die Bedienung seines Stammlokals - ehe er von ihrem Idiotengatten fast die Fresse poliert bekommt, weil er ihr eine Halskette geschenkt hat. Ich gab meiner Kellnerin nicht ganz so üppig Trinkgeld wie Nathan, aber nur deshalb, weil ich nicht über Nathans Vermögen verfüge, und das nicht erst seit dem Börsenproblem. Jedenfalls war es ein schöner Ausflug ohne viel Lärm, ich habe mir außer meiner üblichen Pflichtübung, der „Amateur Night“ im Apollo Theater in Harlem, keine Show gegönnt, wohl auch, weil ich etwas müde und zu früh dran war. Tokyo Hotel spielen erst am 30. Oktober im Roseland, Manhattan. Ich darf noch berichten, dass mit letzter Widerstandskraft gegen den weltweiten Gesundheitswahn am Dienstag, 4. November, im Rampe-Café zu Stuttgart das Buch „Smoke Smoke Smoke that Cigarette“, die definitive Verherrlichung des Rauchens, vorgestellt wird. Es lesen daraus Franz Dobler, Klaus Bittermann, Vincent Klink und meine Wenigkeit. Es spielen Los Gigantes. Ich danke dem guten Vince noch einmal herzlich für seinen Waldhorn-Auftritt bei unserem Flaneursalon im Theaterhaus. Er hat bleibenden Eindruck hinterlassen, das haben mir einige SMS und Mails bestätigt. Ich könnte heute noch reichlich erzählen, zumal ich beim Spiel gegen Bochum zum ersten Mal in meinem Leben per Zufall im Business-/Vip-Bereich des VfB-Stadions gelandet bin, aber darauf – Taube, ich danke dir – ist (vorerst) geschissen. Es gibt auch in Zukunft Depeschenseiten zu füllen. Es ist wohl doch mehr los in der Welt, als ich immer dachte. Gute Nacht. „Kontakt“ |
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