Bauers DepeschenFreitag, 09. Oktober 2020, 2239. DepescheLIEBE GÄSTE, hier geht es zu meiner neuen Kolumne in der Kontext:Wochenzeitung vom 7. Oktober 2020: PAKT MIT DEM TEUFEL Alle zwei Wochen schreibe ich einen Beitrag für das Stuttgarter Online-Magazin, das samstags als Print-Ausgabe der Taz beiliegt. FLANEURSALON IM THEATERHAUS Am Sonntag, 18. Oktober, 19 Uhr: Zum ersten Mal unter Pandemie-Bedingungen im Saal. Die Lieder- und Geschichtenshow mit dem virtuosen Halbsatz-Komiker Rolf Miller, dem brillanten Satire-Autor Dietrich Krauß („Die Anstalt“) - und mit der berührenden, kraftvollen Musik von Thabilé und Toba & Pheel. Hier geht’s zu den Karten: VORVERKAUF FLANEURSALON UNSERE KÜNSTLERSOFORTHILFE STUTTGART ... ... ist weiterhin täglich aktiv. Mehr als 330.000 Euro Spenden haben wir seit der Gründung unserer Initiative am 16. März erhalten - und damit bisher rund 950 Menschen unterstützt, die von der Kulturarbeit leben und in der Krise in Not geraten sind. Nach wie vor bitten wir um finanzielle Hilfe. Alle Infos für Spenden und Anfragen: KÜNSTLERSOFORTHILFE REDE bei der Kundgebung "Für ein solidarisches Miteinander - Gerade in Krisenzeiten" am heutigen Freitag auf dem Lukasplatz in Stuttgart-Ostheim (Beginn 17.30 Uhr). Veranstalter ist die Initiative ZUSAMMEN KÄMPFEN, die in Ostheim das Selbstverwaltete Stadtteilzentrum Gasparitsch betreibt. Die Musik für die Veranstaltung steuere der Sänger/Gitarrist/Songwriter Dr. Jay bei. Schönen Guten Tag in Ostheim, ich bedanke mich für die Einladung hier auf den Lukasplatz. Der heilige Lukas wird übrigens als Patron der Ärzte und Künstler verehrt – wir sind also auf diesem Platz in diesen Zeiten nicht ganz falsch. Solidarisches Miteinander, liebe Freundinnen und Freunde, muss in den Stadtteilen beginnen. Vor unserer Haustür. Ihr alle kennt die Geschichte von Ostheim. Drüben am Eduard-Pfeiffer-Platz, dem früheren Teckplatz, steht das Denkmal für die arbeitenden Klassen. Der Schriftsteller und Bankier Pfeiffer hat Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts in mehreren Stuttgarter Bezirken Wohnungen für die Arbeiter bauen lassen, um das existenzielle Elend zu bekämpfen und die teils katastrophalen hygienischen Zustände zu beseitigen. Dieser Mann warnte mit Blick auf die herrschenden Verhältnisse und die Ausbeutung der arbeitenden Klasse nicht ganz ohne Eigennutz vor einer erneuten Revolution mit den Worten: “Merkt es Euch, Ihr Mächtigen und Reichen, die Ihr behaglich dahinlebt, ohne Euch um das Los derer zu bekümmern, durch die allein der ganze Comfort, der Euch umgibt, geschaffen wurde! Ihr, die Ihr ohne Teilnahme seid für die Leiden, denen Ihr selbst nicht ausgesetzt seid, lasst Euch die Warnungen des Jahres 1848 nicht umsonst gegeben sein.” Ähnliche Warnungen kennen wir aus der Gegenwart. Der amerikanische Milliardär Nick Hanauer etwa, der sich erfolgreich für bessere Mindestlöhne einsetzte und vor dem Freihandelsabkommen TTIP warnte, schrieb schon vor Donald Trumps Amtsantritt in einem Brandbrief an seine Kollegen Superreichen: „Unser Land entwickelt sich von einer kapitalistischen Wirtschaft zu einer feudalen Gesellschaft. Wenn sich unsere Politik nicht dramatisch ändert, wird die Mittelschicht verschwinden … Wenn wir nicht bald etwas tun, um die eklatanten Ungerechtigkeiten in dieser Wirtschaft zu beheben, werden die Mistgabeln zu uns kommen. Keine Gesellschaft kann diese Art von wachsender Ungerechtigkeit auf Dauer aufrechterhalten.“ Warum ich das hier erzähle: Nick Hanauer ist ein Nachfahre des Stuttgarter Bettenfabrikanten Ferdinand Hanauer, der mit seiner jüdischen Familie vor den Nazis aus Cannstatt in die USA fliehen musste. Wir hier auf dem Lukasplatz gehören einer Klasse an, die sich nicht unbedingt mit dem grenzenlosen Reichtum in ihren eigenen Reihen herumschlagen muss. Mit Eduard Pfeiffer und Nick Hanauer will ich auf einen Konflikt beim Thema Solidarität hinweisen: Wem kommt letztendlich was zugute, wenn man, wie man so sagt, Gutes tut? Eingeladen wurde ich zu dieser Kundgebung, weil ich mit ein paar Freunden seit Mitte März die Initiative Künstlersoforthilfe Stuttgart betreibe. Also in der Stadt, in der seit 100 Jahren und bis heute Verschwörungsmythen Konjunktur haben. Wir sammeln Spendengeld, bis jetzt haben wir 340.000 Euro erhalten und davon 300.000 an Menschen verteilt, die von der Kulturarbeit leben und seit der Pandemie existenzielle Probleme haben. Wir unterstützen sie mit schnellen Überweisungen, in der Regel mit 300 Euro oder mehr – viele haben schon mehrere Male Geld bekommen. Wir kümmern uns um diese Sache so unkonventionell wie möglich. Berücksichtigt werden alle, die in irgendeiner Form Kulturarbeit leisten, dazu gehören bei uns auch der Barmann und die Technikerin in einem Live-Club. Klar ist: Unsere Arbeit ist nur ein Tropfen im Ozean. Und politisch betrachtet, ist unsere Aktion auf den ersten Blick auch nicht ganz konfliktfrei. Man könnte sagen: Wir betteln Geld und verteilen Almosen in einem Land, in dem prekäre Verhältnisse in der Kulturarbeit schon vor Corona gang und gäbe waren. Wir betreiben also Flickschusterei, während die Folgen dieser Krise wie in allen anderen kapitalistischen Wirtschaftskrisen auf dem Rücken der ohnehin schon Benachteiligten und Verletzlichen abgeladen werden. Deshalb kurz zur Entstehung unserer Initiative: Als klar war, dass der Lockdown kommen würde, habe ich so reagiert, wie wir es bei üblen politischen Ereignissen tun. Es ging darum, wenigstens einem Teil der Betroffenen Solidarität zu zeigen, wie mit einer Spontan-Demo. Da ich seit jeher viel mit Leuten aus der Kulturarbeit zu tun habe und KünstlerInnen in meinen Augen auch bei der politischen Arbeit eine wichtige Rolle spielen, war diese Art Soforthilfe naheliegend. Die Betroffenen hatten keine Auftritte, keine Arbeit mehr – und auch noch ihre Nebenjobs als Lehrkräfte oder Kneipenpersonal verloren. Natürlich aber beschränkt sich unser politischer Blick nicht auf die Kulturarbeit. In diesem Zusammenhang eine Bemerkung: Von vielen Linken werden KünstlerInnen bei politischen Aktionen nicht selten als Pausenfüller betrachtet, ihre Mitwirkung ist dann der sogenannte Kulturbeitrag zwischen den politischen Reden. Die emotionale Kraft von Musik bei Demos wird dabei völlig unterschätzt. Manchmal bewirkt sie mehr als Reden. Zurück zur Künstlersoforthilfe. Die Hilfen des Landes, die in Baden-Württemberg vergleichsweise ganz gut sind, brauchten einige Zeit. Und so wurden wir gewissermaßen die Kühlschrankfüller. Wenn du überhaupt kein Geld mehr hast, sind 300 Euro auf die Schnelle gar nicht so wenig. Man kann damit ganz gut Lebensmittel einkaufen oder einen Teil seiner WG-Miete bezahlen. Das Motiv für die Sache war aber durchaus der politische, der solidarische Gedanke. Von Anfang an wollten wir mit unserer Initiative auch auf die politische Relevanz der Kulturarbeit hinweisen. Kunst und Kultur, liebe Freundinnen und Freunde, sind für die herrschende Politik nicht machtrelevant – und werden deshalb oft wie ein Freizeitvergnügen oder ein Anhängsel des Tourismusgeschäfts behandelt. Die Herrschaften beklatschen die Kunst ein wenig, so wie die Pflegekräfte, und benutzen sie als Repräsentationsvehikel. Ändern aber wollen sie nichts an der miesen Situation vieler KünstlerInnen. Kulturarbeit ist für uns so wichtig wie Bildungsarbeit oder medizinische Versorgung. Kultur reduziert sich nicht auf den Veranstaltungsbetrieb. Kultur beeinflusst und spiegelt eine Lebensart. Und weil unsere Lebensart international und antirassistisch ist, wird sie permanent von Rechten und Nazis angegriffen. Faschisten führen seit Jahren nach dem Vorbild der alten Nazis einen strategischen Kulturkampf gegen demokratische, gegen fortschrittliche Kräfte und Einrichtungen. Damit wollen sie den Boden für ihre Realpolitik bereiten. Und zwar mit allen Mitteln – mit ständigen Anfragen der heutigen Nazi-Partei in den Parlamenten oder auch mal mit Gewalt. Viele Bereiche der Kulturarbeit sind jetzt wegen der Pandemie in ihrer Existenz bedroht, vor allem die kleinen, die experimentellen, die radikalen Formate, für die es keine Subventionen gibt. Dazu sollte man wissen: Die große Mehrzahl der 1,2 Millionen Selbstständigen im Kulturbereich musste sich schon vor Corona mit Hungerlöhnen von nicht mal 1400 Euro im Monat durchschlagen. Frauen mit noch weniger. Fakt ist aber auch: In der Fußballsaison 2017/18 haben 21,4 Millionen die Spiele der oberen drei Ligen besucht. 34 Millionen aber waren im Theater oder in einem klassischen Konzert. Und 114 Millionen Karten wurden in Museen sowie 118 Millionen Tickets in mehr als 1700 Kinos verkauft. Ich will der Kulturarbeit keineswegs das widerliche Wort „systemrelevant“ anheften. Sondern auf die Unverzichtbarkeit guter Kulturarbeit für ein menschliches Klima in unseren Lebensbereichen hinzuweisen. Das gilt gerade auch für das solidarische Miteinander in den Stadtteilen. Hier müssen wir die Kulturarbeit mit antirassistischer, mit antifaschistischer Haltung verknüpfen. Und bei unserem Bemühen, diese Arbeit aufrechtzuerhalten, haben Spenden auch einen kleinen psychologischen Effekt. Die Menschen in Not fühlen sich dadurch weniger allein gelassen. Kurzum: Es geht uns nicht darum, die Benefiz-Onkel zu spielen. Vielmehr wollen wir mit etwas finanzieller und psychologischer Unterstützung das tun, worum es hier und heute geht: Zusammen kämpfen. In Ostheim, in Südheim – und überall. Vielen Dank. |
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