Bauers Depeschen


Sonntag, 21. Juni 2020, 2224. Depesche



 



Kolumne

LIEBE GÄSTE,

hier findet man meine NEUE KOLUMNE in der Kontext:Wochenzeitung:

ATMEN

Alle zwei Wochen schreibe ich einen Beitrag für das Stuttgarter Online-Magazin, das samstags als Print-Ausgabe der Taz beiliegt.



KÜNSTLERSOFORTHILFE STUTTGART -

WIE IMMER BITTE ICH UM SPENDEN

Unsere kleine Initiative ist weiterhin aktiv, den Juni können wir voraussichtlich noch überstehen, Infos gibt es hier:

SPENDEN UND ANFRAGEN



Hört die Signale!

SONGS FÜRS LEBEN



FLANEURSALON LIVE, THEATERHAUS

Mit diesem Text habe ich am vergangenen Samstagabend den Flaneursalon eingeleitet, der den Garten des Theaterhaus-Restaurants als neuen Spielort eröffnet hat:



GUTEN ABEND,

willkommen zurück im Theaterhaus.

Meine Damen und Herren, wir danken Ihnen, dass Sie heute Abend da sind, an diesem historischen Tag eines Neubeginns mit offenem Ende. Schauen wir zusammen auf diesen Platz - dieses neue Open-Air-Gelände, das das Theaterhaus-Team wunderschön gestaltet hat. Dafür herzlichen Dank!

Liebes Publikum: Alles ist anders. Und die wichtigste Frage lautet: Was machen wir jetzt und in Zukunft anders? Werden wir wirklich etwas Anderes machen, werden wir anders denken und uns anders verhalten – oder machen wir einfach so weiter wie bisher, nur unter anderen Bedingungen.

Aber ich will ja nicht mit der Tür ins Haus fallen, kaum dass die Tür wieder einen Spalt offen ist. Deshalb wechsle ich schnell mal das Thema:

Dieser Flaneursalon heute Abend, verehrtes Publikum, ist ein absolutes Zufallsprodukt – aber mit politischem Hintergrund. Das Ganze kam so: Am 2. Juni, einem schönen Sommertag, fuhr ich mit einem jungen Kollegen aus der linken Bewegung in einem Kleinbus ins Theaterhaus, um Bühnenteile zurückzubringen, die wir uns für eine Kundgebung im Schlossgarten geliehen hatten. Als Stuttgarter Krisenbündnis hatten wir eine Aktion organisiert zum Thema: Die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen dürfen nicht wie andere Krisen zuvor auf dem Rücken der ohnehin schon Benachteiligten und Verletzlichen abgeladen werden.

Bei dieser Demo spielte nicht nur die existenzielle Not der internationalen Schlachthofarbeiter oder der geplagten Elten eine Rolle, da ging es auch um die fatale Situation der Kulturschaffenden. Diese sogenannten Freiberufler arbeiten ja nicht erst seit Corona, sondern seit jeher unter prekären Bedingungen. Und würde ich mich jetzt weiter mit diesen Ungerechtigkeiten beschäftigt, dann wäre der Abend gelaufen …

Deshalb zurück auf Anfang, wie wir in Hollywood sagen. Als wir den Bus vor dem Theaterhaus entladen hatten, ging ich am Biergarten des Restaurants vorbei, und dort saßen in der Juni-Sonne Eric Gauthier und Gudrun Schretzmeier, die Chefin des Theaterhaus-Chefs Werner Schretzmeier. Sie winkten, ich setzte mich dazu, und wir sprachen über das Leben, das jetzt ein anderes ist.

Irgendwann schaute ich mich um fragte ganz naiv, ob das Theaterhaus in diesem schönen Garten vor der Tür nicht irgendetwas machen wolle, dachte aber nicht mal ansatzweise an einen Flaneursalon.

Die Antwort lautete, ich könne doch selber was machen - und Eric sagte: Ich mache mit. Ja, und das war's dann.

Und jetzt sind wir hier – tatsächlich im Garten, und nicht wetterbedingt im Saale, wo bekanntlich auch schon Revolutionen stattgefunden haben. Aber egal. Es geht heute hier auf der Prag um den Neustart des Live-Betriebs im Zeichen der Seuche, und wir sind der Versuchsballon. Sie wissen, was das qualitativ bedeutet: Es ist noch sehr viel Luft nach oben.

Es gibt für uns heute Abend jedoch keinen einzigen Grund, irgendetwas zu beklagen, auch nicht, dass sich in den gelichteten Reihen ein Witz schwerer verfängt als in einer Masse, in der rein emotional die Lachsäcke serienmäßig eingebaut sind.

Es ist alles anders, meine Damen und Herren, aber alles andere als die Beachtung der hier und jetzt herrschenden Schutzmaßnahmen wäre fahrlässig. Krisen-Maßnahmen zu akzeptieren heißt im Übrigen nicht, jedes Dekret der Regierung hinzunehmen – wie die verschwörungsinfizierten Hygiene- und Querkopf-Schwurbler behaupten. Im Gegensatz zu diesen von rechts unterwanderten Wissenschaftsleugnern haben viele von uns nicht auf das Virus gewartet, um gegen die Angriffe auf demokratische Rechte zu demonstrieren.

Als Flaneursalon sind wir heute Abend die Corona-Gang, angesteckt von dem Gedanken, mit dem Live-Leben vernünftig umzugehen. Und da bin ich wieder bei der Politik. Die neue Situation könnte allen Beteiligten einen anderen Blick öffnen: den Veranstaltern, den Mitwirkenden auf der Bühne und auch Ihnen, liebes Publikum. Vielleicht erleben wir in Zukunft ein anderes Miteinander und Beieinander – ein Zusammensein in solidarischem Bewusstsein. Solidarität ist nicht nur ein Wort. Und das bedeutet: Wir müssen körperlich Abstand halten, aber in den Köpfen zusammenrücken.

Wir sind es, die aktiv etwas tun müssen, damit sich in dieser Krise nicht die Haltung durchsetzt, den Menschen sei genug gedient, wenn ihr Steuergeld in die Lufthansa und die Autoindustrie gepumpt wird.

Die Kulturarbeit ist nicht nur wirtschaftlich ein ganz wesentlicher, völlig unterschätzter Faktor in unserer Gesellschaft. Die Kulturarbeit ist mit ihren Fähigkeiten zur Kritik an den herrschenden Verhältnissen, mit ihrer Aufklärung und mit ihrer emotionalen Kraft für das gemeinsame Erlebnis für jede demokratische Gesellschaft unverzichtbar. Physische Distanz bedeutet keineswegs menschliche Distanz.

Damit bin ich bei unseren Anstandsregeln:

Einskommafünf Meter Abstand, liebes Publikum, sind zu wenig gegenüber Faschisten und Rassisten.

Und jetzt wieder Schnitt. Ursprünglich war geplant, am heutigen Samstag wieder den wunderschönen Flaneursalon am Fluss im Stuttgarter Neckarhafen zu feiern. In einer Uferkulisse mit Blick auf den Neckar, auf Schiffe und Kräne, auf Wein- und Schrottberge. In Stuttgart selbst wird der Neckar ja ignoriert, die meisten Politik betrachtet ihren Fluss als ein Industrievehikel. Er taugt ihnen nicht zum Protzen, weil er für die provinzielle Engstirnigkeit etwas zu schmal ausfällt.

Mir aber liegt dieser Neckar am Herzen. Heinrich Heine hat in seinem „Wintermärchen“ gedichtet: „Ich möchte nicht tot und begraben sein / als Kaiser zu Aachen im Dome / Weit lieber lebt' ich als kleinster Poet / in Stukkert am Neckarstrome.“

Und als kleinster Stuttgart-Poet habe ich den Flaeursalon am Fluss in diesem Jahr frühzeitig abgesagt, weil es dort unmöglich wäre, Abstand zu halten. Eine solche Entscheidung kann mir privat vergleichsweise leichtfallen, ich selber bin nur ein Hobby-Auftreter mit relativ sicheren Rentnerbezügen. Alle anderen im Flaneursalon aber sind Berufskünstler, die meisten von ihnen Freischaffende. Und für mich ist auch in diesem Jahr der Seuche alles im Fluss – und wir versuchen, mit unserer Art Unterhaltung ein wenig gegen den Strome zu schwimmen.

So, das war das Wort zum Sonntag.







 

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