Bauers Depeschen


Samstag, 01. Juni 2019, 2095. Depesche



 



Samstag, 6. Juli: Flaneursalon am Fluss. Das 5. Stuttgarter Hafenpicknick. Und hier der Link zum Vorverkauf: EIN TAG AM NECKAR — Telefon 0711/22 11 05



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Neue StN-Kolumne

SAUERKRAUT

Über Kuckucksuhren, Fußballbosse und andere Vögel

Es war Zufall, dass unser fünfköpfiger Männerverein zur Erkundung heimischer Mittagsküche nach dem VfB-Spiel in Berlin in einen Laden namens Rothaus einkehrte. Diese gastronomische Großraumstation zur Versorgung ganzer Hundertschaften hat sich im Einkaufszentrum Gerber eingenistet. In einer gewissen Altersmilde habe ich diesen Konsumkasten inzwischen beinahe akzeptiert. Manchmal ist er ganz praktisch, weil er neben einer Apotheke auch eine Buchhandlung im Angebot hat, sodass er eine spirituelle Grundversorgung verspricht.

Solche Einkaufskomplexe sind heute Spielplätze für junge Menschen, die in den Ladenstraßen vor allem an etwas kälteren Tagen ihre Liebesnester finden. Und vermutlich atmen sie auf den Air-Condition-Korridoren bessere Luft als bei ihren ehrenwerten Aktionen für den Klimaschutz draußen auf der Straße.

Rothaus klingt wegen seiner Farbe im Namen verdammt nach VfB-Klubhaus. Auch erinnerte mich die Speisekarte an den gerade abgestiegenen Verein für Bewegungsspiele: Es gab Schweinebacken mit Sauerkraut, eine Mischung, die einem speziellen Stil von Fußball bestens gerecht wird. Wenngleich die Küche der Staatsbrauerei Rothaus leichter zu verdauen war als am Abend zuvor der Mampf der sogenannten Roten. Sehr passend im neuen Lokal übrigens die üppige Kuckucksuhr als Symbol für uns Hinterwäldler.

Seit ich halbwegs denken kann, habe ich mit Fußball zu tun, mal mehr, mal weniger. Es gab schöne und schlimme Erlebnisse, und auch die schrecklichen fand ich irgendwann schön, weil es was Schönes über das Schreckliche zu erzählen gab. Das Niveau des Fußballs ist nur in Ausnahmefällen wichtig: Das 2:3 von Ajax Amsterdam neulich gegen Tottenham Hotspur beispielsweise hat mich wieder mal gelehrt, wie kollapsverdächtig einen ein Spiel aus dem Gleichgewicht ballern und buchstäblich begeistern kann. Allerdings können dich auch die Stuttgarter Kickers in der fünften Liga ganz schön umhauen. Ähnliche Depressionen wie bei den Blauen erlebst du nur, wenn du irgendwo in der Prärie den letzten Bus verpasst und der nächste erst zwei Tage später fährt. Am übelsten beim Fußball ist, dass du dich nicht wie in anderen Lebensdesastern mit Humor schützen kannst. Scheitern und Schmerz beim Fußball sind immer nur im Rückblick lustig.

Andererseits hält sich die Bedeutung von Fußball in Grenzen. Wenn ich nach Hamburg fahre, um ein wenig in Hamburg herumzuschnüffeln, ist es meinem Gefühlsleben wurscht, ob der HSV gerade erste Liga oder Holzklasse spielt. Gibt spannendere Unterhaltung. Und wenn ich in Stuttgart herumstiefele, reagieren meine Glückshormone so gut wie gar nicht auf die Frage, ob der VfB gegen den FC Bayern oder den SV Sandhausen spielt. Sauerkraut ist Sauerkraut.

Aufregender ist, wenn der Präsident des gerade abgesackten VfB dem Publikum erzählt, die „wirtschaftlichen und strukturellen Voraussetzungen“ des Vereins seien voll in Ordnung – nur „die sportliche Sicht“ sei etwas getrübt. Mit diesem Geldmacherblick auf das Unterhaltungsgeschäft Fußball mit alle seiner komplizierten Ensemblepsychologie dürfte es nach menschlichem Ermessen schwierig sein, ein Verhältnis zum Fußballspiel an sich und zum Zusammenleben überhaupt herzustellen.

In Managerkreisen herrscht oft der Glaube, wer schon mal richtig Kohle gemacht habe, egal ob mit Auspuffrohren oder Schweinehälften, sei jeder Aufgabe gewachsen: als Intendant eines Sinfonieorchesters oder als Dirigent eines Fußballvereins. Hauptsache, „Strukturen“. Mehr Schmerzen als ein verschossener Elfmeter bereitet es Vereinsfunktionären aus der Wirtschaft, wenn zwischen Mercedes-Benz und Arena ein Bindestrich gesetzt wird. Dann ist das Wording der Marketingabteilung zum Erhalt des Alleinstellungsmerkmals der Marke hinüber. Dieser Frevel grenzt an Disruption, wie wir Manager heute sagen.

Dieselbe unternehmerische Sprachregelung gilt übrigens bei den Absteigern für den Präsidenten und andere VfB-Glieder: bloß keinen Bindestrich. Dass bei der von Marketingleuchten diktierten Schreibeweise „VfB Präsident“ die Satzzeichenlücke als symptomatisch für ein kohlebetriebenes Vereinsleben ohne menschliche Bindungen und geistige Brücken gedeutet werden könnte, fällt nicht weiter auf.

Zum Glück ist Fußball nicht unser aller Leben, sodass sich nach dem VfB-Abstieg niemand in der Stadt als Mensch zweiter Klasse fühlen muss. Erstligastadt sind wir eh nur in den Augen unserer weltstädtischen Stadtvermarkter und Rathauspolitiker. Entsprechend klingt ein Werbeslogan der VVS, auf den man erst mal kommen muss: „Hipper als Berlin: unsere Preise“. Wer Bahn- und Busfahrkarten mit dem Komparativ „hipper“ und einem Hinweis auf eine sechs Mal so große Stadt verkaufen muss, hat womöglich ein dickes Landei zu viel in der Hose. Da ist es nur logisch, wenn dich ein Zweitligaklub aus dem Berliner Stadtteil Köpenick mal hipp und hopp aus der ersten Liga kegelt. Die Vollstreckung ging übrigens in einem Stadion mit dem mondänen Namen Alte Försterei über die Bühne, während sich zu Hause alle Bindestriche freuten, dass sie raus sind aus der Big-Business-Arena auf dem Wasen, wo die Hasenfüße grasen.

Wir aßen sorgfältig unsere Teller leer und gingen schweigend nach Hause, nachdem wir dank unserer wirtschaftlichen und strukturellen Voraussetzungen die Rechnung beglichen hatten. Ich schätze, wir sind die hippsten Schweinebacken der Welt.



 

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