Bauers DepeschenMittwoch, 29. Juni 2016, 1645. DepescheSeit Mittwoch STREIKEN die Tagszeitungsjournalisten im deutschen Süden. Aus gegebenem Anlass eine alte Geschichte aus Island: Der Klick zum LIED DES TAGES UNTER ELFEN Im Frühjahr 2010, kurz vor dem großen Vulkanausbruch auf Island, erhielt ich eine E-Mail von Frau Dara Profeta aus Heslach. Knapp und freundlich befahl sie mir unter dem Betreff „Einsamer Reiter“: Rufen Sie gefälligst so schnell wie möglich die Elfen. „Sie wissen doch“, schrieb die mir unbekannte Dame, "damals in Reykjavik hatten die Städtebauer überhaupt keine Chance gegen die Elfen." Nichts wusste ich. Gar nichts. Ein einziges Mal nur in meinem Leben war ich in Reykjavik gewesen. Anfang der Achtziger, als mich eine Reise nach New York zu einer Zwischenlandung in Reykjavik zwang. Ich hatte die damals billigste Route gewählt: von Stuttgart mit dem Zug nach Mannheim, mit dem Bus weiter zum Flughafen nach Luxemburg und zu einem weiteren Umstieg mit dem Flugzeug in die isländische Hauptstadt. Kaum angekommen, entdeckte ich auf dem Flugplatz von Reykjavik eine Kneipe mit einem verlockenden Angebot: "Dies ist die einzige Bar der Welt“, stand auf einem Schild, „wo Sie echtes Polar-Bier bekommen.“ Unverzüglich setzte ich mich an die Theke der Flughafen-Gaststätte, um bald darauf festzustellen, dass auch das sechste, siebte und zwölfte Bier wie das einzige Polar-Bier der Welt schmeckt. Es war so gut, dass ich auch den sechsten oder siebten Lautsprecher-Aufruf nicht hörte, Mister Bauer, das Landei aus Stuttgart, möge gefälligst seinen Platz im Flugzeug nach New York einnehmen. Irgendwann, ich trank gerade ein Polar-Bier, kamen mehrere Flughafenmänner- und frauen in die Kneipe, nahmen mich mit, setzten mich in einen Kombi und fuhren mich zur Rollbahn. Als ich im Flugzeug zu meinem Platz ging wie ein Mann, der es gewohnt ist, zur See zu fahren, begrüßten mich die Passagiere mit großem Hallo. Zu meiner Verwunderung wollte keiner wissen, wie das einzige Polar-Bier der Welt geschmeckt habe. Meine Reisegefährten hießen mich einen deutschen Penner und ein Riesenarschloch. Ich hätte Schuld, sagten sie, wenn das Flugzeug zu spät in New York ankomme. Vorsichtshalber schnallte ich mich an. Bevor ich einschlief, beruhigte mich der Gedanke, es könne keine Rolle mehr spielen, wann ein Mann in Amerika eintreffe. Kolumbus, Buffalo Bill und Ronald Reagan hatten das Meiste sowieso schon erledigt. Seit dem Tag, an dem ich Post von Frau Profeta aus Heslach erhielt, bin ich mir sicher, dass es Elfen waren, die mich damals aus der Polar-Bar ins Flugzeug schleppten. Auch wenn man es Elfen nicht ansieht oder anmerkt, ob sie Elfen sind. Keiner kann sagen, ob Elfen hetero, schwul oder beides sind. Kenner des Elfen-Metiers behaupten, sie hätten blonde Haare, große Ohren und lange Beine. Mancher einsame Reiter, erzählt man sich, habe auf der Suche nach einer Elfe erst spät bemerkt, dass seine Elfe mit langen Beinen und großen Ohren in Wirklichkeit ein blonder Polar-Bär war. Heute, da ich alt und erfahren bin, könnte ich fast alles über Elfen wissen, hätte ich damals nicht in einer Bar von Reykjavík das Polar-Bier entdeckt. Nach diesem Vorfall konnte ich mich in Island nie mehr mehr blicken lassen, um meine Studien fortzusetzen. Heute ahne ich, dass Frau Profeta aus Heslach eine Elfe ist. Wenn es in Stuttgart Elfen gibt, dann in Heslach. In besagter E-Mail von 2010 schrieb sie mir: Hör gut zu, einsamer Reiter, keiner würde es je wagen, in unserer Stadt Baulöcher zu graben, hättest du rechtzeitig die Elfen befragt. Zunächst begriff ich nicht, denn Frau Profetas Botschaft hatte einen historischen Hintergrund: In Büchern und im Internet findet man die Geschichte von der isländischen Wunderfrau Erla Stefánsdóttir. In den neunziger Jahren hat sie der deutsche Aktionskünstler Wolfgang Müller in der Frankfurter Rundschau porträtiert: Sie war damals Islands "Elfenbeauftragte" - und bald berühmt. Im Dienste des Bauamts spürte Frau Erla Stefánsdóttir heilige Orte ihrer Heimat auf, geheimnisvolle Plätze, an denen seit jeher Elfen leben. Nach ihren Ermittlungen teilte sie der Regierung mit, welche Orte von Island auf keinen Fall bebaut werden dürften, wolle man nicht die Rache der Elfen heraufbeschwören. Nach der Lektüre dieser Geschichte bat ich einen Bekannten um Recherchehilfe. Er ist seit Jahren regelmäßig in Reykjavik und Umgebung unterwegs und bestätigte mir unverzüglich: In Island leben Elfen. Sie seien unsichtbar, hinterließen aber überall ihre Zeichen. Diese Zeichen nenne man die „Spuren der Ordnung“. Man finde sie am Erdboden, an Felsen und bei genauem Hinsehen auch am Tresen einer Bar, in der es Polar-Bier gibt. Mein Bekannter ist ein Kenner der isländischen Kultur. Er berichtete mir unter anderem, der Isländer an sich benutze aus Gründen der Hygiene nie ein Taschentuch. Er halte sich ersatzweise mit dem Daumen ein Nasenloch zu und befreie sich durch das andere Loch mit einem gut gezielten Schneuzer. Bei uns kennt man dieses Methode vornehmlich von den Rotzlöffeln des VfB - wobei gesagt werden muss, dass es nicht ihr großer Spieler Asgeir Sigurvnisson gewesen sein kann, der es ihnen beigebracht hat. Der isländische VfB-Regisseur der Achtziger war ein Gentleman. Zu unserem großen Unglück aber hat man in Stuttgart nie die Elfen gefragt, bevor Bautrupps mit Baggern das Land besetzten und die Stadt zerstörten. Auch nicht in den Tagen, in denen mir Frau Profeta schrieb und die Menschen in der Stadt schon heftig gegen Stuttgart 21 protestierten. Unseren Grund und Boden verscherbeln seit jeher Politiker an Immobilienhaie, und all diese Typen haben nicht ansatzweise etwas Isländisches. Ungebremst läuft ihnen der Rotz die Backe hoch. |
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