Bauers DepeschenFreitag, 05. Juni 2015, 1471. Depesche-------------------------------------------------------------------- LIED DES TAGES Die aktuelle StN-Kolumne: FINK ZUM LETZTEN Die Eisenbahn rollt Richtung Heimat, während ich diese Zeilen tippe. Ich erinnere mich, wie ich vor vielen Jahren im Zug zum ersten Mal voller Stolz auf meinem allerersten Laptop herumklimperte, er war unförmig, anfällig und schwer. Wie heute, da ich diese Zeilen schreibe, kam ich aus Berlin, wo ich eine Hamburger Folk-Band namens Fink gehört hatte. Einige Textfetzen ihrer Songs hatte ich auf der Fahrt noch im Ohr, schwermütige, gleichzeitig ungewöhnlich schwerelose deutsche Poesie, die sich gut in den Rhythmus der Eisenbahnräder fügte. Als ich meinen neuen Laptop bespielte, kam ich mir vor wie der Mann mit dem Banjo auf dem Knie aus dem berühmten Lied. Ich ritt nicht nach Louisiana, immerhin aber Richtung Südstaaten, nach Stuttgart, und ich dachte: Ein Ding, auf dem man in der Eisenbahn wie auf einem Banjo klimpern kann, ist etwas Intimes, es braucht einen Namen. Also taufte ich beim Blick auf das weite Land, auf vorbeifliegende Wiesen und Bäume meinen Laptop Fink. Ein guter Name, zumal ich mithilfe des Laptops erfahren hatte, dass Fink nicht nur ein Vogel ist. In Amerika nennt man Fink miese Typen, die singen. Dreckskerle, die ihre Freunde verraten, beispielsweise in einem Streik. Von Frank Sinatra wissen wir, dass er jedem verdammten Fink den Tod gewünscht hat. Mit meinem Laptop Fink habe ich einige Zeit harmlose Kolumnen-Späße getrieben, ich unterhielt mich mit ihm wie mit einem Menschen und demütige ihn wie einen Sklaven. Das war zu einer Zeit, als mir die Leser viele Briefe und E-Mails schrieben, und bald merkte ich, dass Knecht Fink entschieden beliebter war als sein Begleiter, der Flüche und Fußtritte austeilende Schreiberling. Womöglich liebten die Leute Fink auch, weil er die Wahrheit sagte, wenn er mich einen Trottel nannte. Dennoch pflegte ich ihn gut, aus purer Angst: Den frühen Vogel fängt bekanntlich die Katz. Fink hinkte bald dem technischen Fortschritt hinterher und war schon so gut wie hinüber, als ich ihn einer älteren Leserin vermachte, damit sie ihre Pamphlete gegen mich nicht länger auf ihrer klapprigen Schreibmaschine tippen musste. Unterdessen blieb ich ein Fan von Fink, der Band, und kaufte mir fast alle ihre Platten. Leider hatte sie nicht den verdienten Erfolg. Eines Tages startete ihr Sänger eine Solokarriere. Selbstverständlich blieb ich auch ihm treu, und es traf mich hart, als der große Songdichter Nils Koppruch im Oktober 2012 mit 46 Jahren starb. Von seinem Tod erfuhr ich, als ich während der Frankfurter Buchmesse im Hotelzimmer auf meinem Laptop klimperte. Seit diesem Tag denke ich auf allen Zugfahrten an Fink und an Nils Koppruch, wie er die Liebe, den Tod und den Wind von Oklahoma besang. Wir erinnern uns, wo wir waren, als ein Mensch gestorben ist, der einem wichtig war. Gerade habe ich im Berliner Gropius-Bau die Ausstellung zum 70. Geburtstag von Rainer Werner Fassbinder gesehen. Seinen privaten Flipper-Automaten „Six Million Dollar Man“, das rote Trikot des FC Bayern mit der Nummer 8 von Paul Breitner, die Kassettenrekorder, in die er seine Drehbücher diktierte. In der Schau kann man die Aufnahmen mit seiner Stimme hören. Unfassbar, wie präzise und gefühlvoll er seine Texte in die Maschine sprach. Als er am 10. Juni 1982 mit 37 Jahren starb, erfuhr ich davon erst anderntags bei der Show der Rolling Stones im Münchner Olympiastadion. Damals war ich nicht mit dem Zug angereist, ich saß auf dem Rücksitz eines Motorrads. Bis heute gilt diese Unternehmung als mein wichtigster Beitrag zur Geschichte des Rock ’n’ Roll. Wäre ich schon 1982 Laptop-Besitzer gewesen, hätte ich ihn auf dem Sozius wie eine Gitarre gequält und wäre wie jeder gute Rockstar on the road gestorben. Die Kolumnen-Figur Fink war eine etwas läppische Angelegenheit, ein Versuch, mit Dialogen das Leben des Spaziergängers anzureichern. Seltsamerweise aber werde ich bis heute auf Fink angesprochen, einige glauben, ich schleppte ihn immer noch mit mir herum. Wahrscheinlich lesen sie keine Zeitung mehr, weil sie Tag und Nacht auf namenlosen Laptops, Tablets und Smartphones herumhacken. So wie ich. Dauernd greife ich aus niedrigsten Beweggründen zu meinem Taschentelefon wie früher zur Roth-Händle, wenn ich zwei Minuten auf die Bahn warten musste. Oft waren meine Finger dunkelgelb wie eine verschmutzte Straßenbahn. Mit meinem Laptop auf dem Klapptisch über den Knien fahre ich mit dem Zug jetzt mitten hinein in die Stuttgarter Evangelen-Kirmes. Vorübergehend verbreitete das Land Baden-Württemberg auf seiner Facebook-Seite die Notstandsbotschaft: „100 000 Protestanten. Und kein einziger Wasserwerfer“. Vermutlich waren Kretschmanns unterbelichtete PR-Lakaien in der aufkommenden Sommerhitze an einer Lachzwangsneurose erkrankt. Unterwegs im Zug habe ich gelesen, dass auch Stuttgart-21-Gegner heftig über einen Kirchentag-Slogan diskutierten. Einige von ihnen wollten mit Blick auf unseren kaputten Bahnhof im vollen Ernst einen – in Wahrheit als Landeier-Scherz produzierten – Aufkleber mit dem Motto tragen: „Jesus würde oben bleiben“. „Jesus würde oben bleiben“ klingt wie die Kreisklassekomiker-Variante der vorchristlichen Dosenfutter-Kampagne „Katzen würden Whiskas kaufen“. Und schon dieser Spruch war verlogen. Gott sei mein Zeuge: Jede Katze mit gutem Geschmack frisst lieber einen Fink, noch bevor er singen kann. FLANEURSALON LIVE: DER NECKAR RUFT! Joe Bauers Flaneursalon am Fluss 3. Stuttgarter HAFEN-PICKNICK Große Samstagsshow am wilden Neckarufer mit: Ginger Redcliff - die Indie-Königin The Tremolettes - die beste Band der Welt Wiglaf Droste - der Poet und Entertainer Ekkehard Rössle Duo – All that Jazz rahmenlos & frei - der Chor der Vesperkirche Joe Bauer - der Levitenleser Samstag, 4. Juli 2015 Picknick-Gelände mit Grill, geöffnet ab 16 Uhr Showbeginn: 18.45 Uhr Uhr Neckarhafen, 70327 Stuttgart Stahlbau Heil, Mittelkai 12 -16 Anfahrt über B 10, Ausfahrt Hedelfingen Siehe: STAHLBAU HEIL VORVERKAUF: MUSIC CIRCUS - Kartentelefon: 07 11 / 22 11 05 ° Unser Hafen-Gelände ist überdacht ° BEITRÄGE schreiben im LESERSALON FRIENDLY FIRE: NACHDENKSEITEN INDYMEDIA LINKS UNTEN BLICK NACH RECHTS INDYMEDIA STÖRUNGSMELDER FlUEGEL TV RAILOMOTIVE EDITION TIAMAT BERLIN Bittermanns Fußball-Kolumne Blutgrätsche VINCENT KLINK KESSEL.TV GLANZ & ELEND |
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