Bauers Depeschen


Samstag, 19. Juli 2014, 1321. Depesche



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TERMIN

Flaneursalon am 13. Oktober im Theaterhaus. 07 11 / 4020 720.



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Die aktuelle StN-Kolumne:



AM STRAND

Wenn es heiß ist in der Stadt, wird sie enger, dichter, flirriger. Die Menschen bevölkern die Plätze, als seien es Strände. Um die ­Wellen kümmern sich die Event-Manager.

Die zweite Hälfte des Julis scheint große Hektik zu verbreiten, ­als könnte irgendwer zu spät kommen, bevor es Herbst wird. ­Etwas verpassen, womöglich ein ­Geschäft. Ich gehe über den Marktplatz, wo die Buden und die Bühne des Festivals der Kulturen stehen. Freier Eintritt. Volksmusik.

Weiter zur Markthalle. Im Sommer kühlt sie den Herumgeher auf Spaziergänger­temperatur herunter, im Winter ist sie für eine Weile seine Wärmestube. Die Markthale riecht nach Strand, im Sommer wie im Winter, sie duftet kräftig nach Fisch und stinkt gut nach Geld.

Vor der Tür die Baustelle für den neuen Kaufhauskomplex. Ein gewaltiger Bohrer dringt vertikal ins Erdreich ein. Es ist wie im Kino. Es gab immer Ölsucher, Gold­gräber, Banditen. Heute gibt es Investoren.

Auf dem benachbarten Karlsplatz der Geruch des All-inklusive-Urlaubstrands. Tote Fische schwimmen im Öl. Der Hamburger Fischmarkt gibt sein Gastspiel. In einer Laube singt, begleitet vom Computer, ein Alleinunterhalter im Seemannskostüm. Als ich ihn sehe, setzt er, ich lüge nicht, zu „La Paloma“ an. Hans Albers macht Rummel: „Auf, Matrosen, ohé, einmal muss es vorbei sein, / einmal holt uns die See, und das Meer gibt keinen von uns ­zurück. / ­Seemanns Braut ist die See, und nur ihr kann ich treu sein . . . “ Das ist Stuttgart.

Neben dem Karlsplatz, vor dem Alten Schloss auf dem Stauffenberg-Platz, die drei Skulpturen des Wiener Bildhauers Alfred Hrdlicka; von 1975 bis 1986 war er Professor an der Stuttgarter Kunstakademie. Ein Charakter-Boxer in der roten Ecke. Seine drei Werke heißen ­„Maryas“, „Sterbender“, „Hommage à Sonny Liston“. ­Liston war Schwergewichtsweltmeister, verlor zweimal gegen Muhammad Ali. Beim ersten Mal, 1964, hieß Muhammad Ali noch ­Cassius Clay. Im zweiten Kampf, ein Jahr später, ging Sonny Liston in der ersten ­Runde k. o. Gefällt vom legendären, fürs Publikum fast unsichtbaren „Phantom Punch“, einem Crosshieb an Kiefer und Schläfe. Nach 105 Sekunden im Ring war alles vorbei, unfassbar wie vier Tore in sechs Minuten auf dem Fußballplatz.

Der Champion Sonny Liston kämpfte auch gegen den Rassismus seines weißen Publikums. 1970 starb er, 38 Jahre jung, unter mysteriösen Umständen in Las Vegas. Es heißt, an einer Überdosis Heroin.

Hrdlicka schuf die erste Version seiner Liston-Würdigung 1963/64. Danach hackte er seiner Figur den linken Arm ab. Die ­starke Rechte des Boxers mit der Innenfaust hängt jetzt weit am Bronze-Torso ­herunter, als wollte sie zu einem tödlichen Uppercut ansetzen. Hrdlicka starb 2009. Früher standen seine Figuren auf dem Schlossplatz, seit 2008 sind sie auf dem Stauffenberg-Platz.

Viele Male habe ich sie ehrfürchtig ­umkreist. Vielleicht eine Wahrnehmungsstörung, aber ich finde auf dem Stauffenberg-Platz ­keinen Hinweis auf den Künstler und seine Arbeiten. Mr. Liston, sage ich, gegen Ali hatten Sie keine Chance. Manche Leute behaupten bis heute, die Mafia habe die Kämpfe verschoben. Sie haben verloren, Mr. Liston. Die Mafia siegt weiter.

Am Tag, als ich Mr. Liston besuchte, sang Mavis Staples beim Festival Jazz Open auf dem Schlossplatz. Mavis Stapels wurde sieben Jahre nach Sonny Liston in den USA geboren. Mitglied der berühmten Staple Singers, Solokünstlerin, aktiv in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Ihre jüngste Platte hat 2013 Jeff Tweedy, Kopf der Band Wilco, produziert: „One True ­Vine“. Zeitlose, ergreifend schöne, vom ­Gospel inspirierte Songs. Im Programm des Festivals ist Mavis Staples eine Fußnote.

Wenn du um Sonny Liston herumgehst, kannst du die Wellen der Event-Strände hören und spüren. Den Baumaschinenkrach an der Dorotheenstraße. Vom Marktplatz herüber die Weltmusik-Rhythmen des Festivals der Kulturen, auf dem Schlossplatz die Stimme des Nordiren Van Morrison; noch einmal singt er „Gloria“, seinen Klassiker aus den Sechzigern. Es ist einer der Lieblingssongs der amerikanischen Sängerin und Poetin Patti Smith (sieben Jahre jünger als Mavis Staples ). Am 5. August gastiert sie auf der Freilichtbühne Killesberg. ­Verglichen mit den Stadtstränden ist die Freilichtbühne ein Waldseeufer. Das Wasser in der Stadt muss man erst entdecken.



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