Bauers DepeschenDonnerstag, 08. März 2018, 1916. DepescheVORVERKAUF LÄUFT: FLANEURSALON IN CANNSTATT Einen der wenigen FLANEURSALON-Abende in diesem Jahr machen wir am Donnerstag, 19. Apri, in Cannstatt - in erlesener Besetzung im schönen Saal des Stuttgarter Stadtarchivs, neben der Kulturinsel. Die Sängerin Marie Louise ist mit ihrem Gitarristen Zura Dzagnidze bei uns, der junge syrische Sänger/Gitarrist Mazen R Mohsen tritt auf, Loisach Marci muss wieder ran - und Timo Brunke führt durch den Abend. Meine Stuttgarter Lieder- und Geschichtenshow ist offiziell im Beiprogramm der Stadtarchiv-Ausstellung "Kessel unter Druck - Protest in Stuttgart 1945 - 1989". Und womöglich hab ich zu diesem Thema nebenbei auch ein paar Sätze in meinem Kessel. Das Stadtarchiv ist ohnehin einen Besuch wert: Man nennt es das "Gedächtnis der Stadt". Der Vorverkauf hat begonnen. Hier der Klick RESERVIX Hört die Signale! MUSIK ZUM TAG Die aktuelle StN-Kolumne: VOM BÜGELN Rechtsnationalen im Gemeinderat, so pfeifen es ihre Pfeifen vom Rathausdach, haben ihre Fraktion gesprengt. Weil zwei von ihnen die vierköpfige Truppe verlassen, sind die verbliebenen Stadträte nur noch als sogenannte Gruppe im Spiel. Eigentlich schade. Als Experte für Politmarketing hatte ich vor, sie unter dem von mir erfundenen Namen „Die Fantastischen Vier“ groß herauszubringen. Bedenken kamen lediglich von den Spezialisten konservativer Kreise: Beim Blick des Publikums auf diese Typen, sagte mir einer, könnte der von mir erdachte Name leicht mit „Die Fanatischen Vier“ verwechselt werden. Dieser Einwand, entgegnete zum Glück ein anderer, sei völlig haltlos. Er selbst habe meinen Vorschlag phonetisch absolut korrekt wahrgenommen. Angesichts des internationalen Zeitgeists, sagte er und putzte sich mit dem Zeigefinger das rechte Ohr, klinge der Gruppenname „Die Faschistischen Vier“ ganz fantastisch. Leider aber sei ja nun diese Idee geplatzt, weil sich die Viererbande aufgelöst habe. Dennoch, denke ich, könnte man den verbliebenen Herrschaften angesichts des realen Vorstrafenregisters in ihren Reihen noch eine saubere Karriere aufbauen, etwa als Gangsta-Rapper. Oder ihre krimireife Vereinigung mit einer bierzelttauglichen Schweinerockversion von „Jailhouse Rock“ ins Resterampenlicht stellen. Jenseits meiner Marketingüberlegungen reagierte die Stuttgarter Realpolitik auf die Rathausereignisse mit schneidigem Medientadel: „Unglaublich, wie viel über diese 4 Männer im Stuttgarter Gemeinderat gesprochen, geschrieben“ und „Aufsehen gemacht“ werde, ereiferte sich die Grünen-Fraktionsvorsitzende Anna DeparnayGrunenberg auf Facebook. Mit ihrem Internet-Beitrag betreibt sie genau das, was sie selbst beklagt: Auch ihre Äußerung verschafft ja den Populisten weitere Aufmerksamkeit (wie im Übrigen auch meine Zeilen). Vollends komisch aber wird ihre Empörung über die rechten Räte durch ihre verblüffend scharfsinnige Analyse am Ende des Facebook-Beitrags: „Für die Stadtgesellschaft haben sie rein gar nichts vorangebracht.“ Womöglich keimt in der Stadtgesellschaft jetzt auch der Verdacht, es sei zurzeit selbst fern des Rechtspopulistensumpfs im Rathaus mehr als schwierig, zwischen ständigem Feinstaubalarm, furchterregenden S-21-Baustellen und nervtötendem Nahverkehrsversagen noch irgendwas voranzubringen im Dieselkessel – außer vielleicht mich, den Fußgänger. Bekanntlich lautet meine Devise beim Blick auf die Straße „Lieber zu weit gehen als gar nicht“. Deshalb zog ich, noch bevor ich die Facebook-Zeilen der Grünen-Chefin gelesen hatte, meinen Hut vor einem Schwarz-weiß-Plakat in meinem Viertel: „Frauenkampftag – Heraus zum 8. März!“. Rechtzeitig zu diesem Termin habe ich mit sicherem Griff ein Buch aus meinem Regal gefischt, das leider nicht mehr im Handel, aber noch immer irgendwo im Internet zu finden ist. Geschrieben hat es 1990 die Stuttgarter Publizistin Maja „Mascha“ Riepl-Schmidt: „Wider das verkochte und verbügelte Leben“. Das Buch wurde nach einem Zitat der Frauenrechtlerin und Philosophin Louise Dittmar (1807 bis 1884) benannt und behandelt die „Frauenemanzipation in Stuttgart seit 1800“. Ein stadtgeschichtliches Standardwerk mit zahlreichen Frauenporträts und Essays. Wie wenig sich in den vergangenen Jahrzehnten geändert hat, beweist ein Satz aus Mascha Riepl-Schmidts Vorwort vom April 1990: „Das Wort ‚Emanzipation’ (lateinisch: Freilassung) ist – vor allem in der zusammengesetzten Form ‚Frauenemanzipation’ – noch heute für viele Männer und auch für manche Frauen aus unterschiedlichen Gründen ein rotes Tuch der Provokation, ein Grund zum Weghören, zur Ereiferung oder auch zur Resignation.“ Eigentlich müssten die Menschen unserer Stadt eine besondere Beziehung zu diesem Kampftag am 8. März haben, schließlich war es ganz wesentlich Clara Zetkin, die den Internationalen Frauentag 1911 in Deutschland auf den Weg gebracht hat. Die Revolutionärin lebte in Sillenbuch und war Mitglied einer Partei, die sich aus unerfindlichen Gründen bis heute SPD nennt. Wenn ich ein wenig auf die heimische Historie und ein nicht mehr druckfrisches Buch hingewiesen habe, dann auch, um an die immer wiederkehrenden, nie beendeten Kämpfe für Bürgerrechte, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit zu erinnern. Zurzeit sind wir in einer der heftigsten Phasen politischer Auseinandersetzungen, die ich bisher vor der eigenen Haustür erlebt habe. Der zunehmende Rechtsruck hierzulande und in Europa ist bedrohlich, davon sollten uns nicht interne Scharmützel und Pleiten der Rechtspopulisten ablenken. Ihre Partei findet trotz ihres asozialen Programms Zuspruch, und bisher haben weder Affären noch Skandale dem Rechtsruck geschadet. Schon deshalb hat ein politisches Datum wie der Internationale Frauentag heute eine ganz andere politische Bedeutung als viele Gedenktage, an die man eher routiniert erinnert. Weil meine Solidarität mit dem Frauenkampftag leicht und womöglich – böses Unterbewusstsein – nicht ganz zu Unrecht als Anbiederung verstanden werden könnte, steige ich noch kurz hinab in die Abgründe meiner Gedankensprünge. Kaum hatte ich das Buch „Wider das verkochte und verbügelte Leben“ in der Hand, fiel mir ein, dass der österreichische, in Stuttgart wohnende Schriftsteller Heinrich Steinfest diese Woche im Literaturhaus seinen neuen Roman „Die Büglerin“ vorgestellt hat. Eine im Wortsinn fantastische Geschichte um das so kosmische wie komische Leben einer auf hoher See geborenen Heldin namens Tonia, die zweimal auf ein Millionenerbe verzichtet, um für eine tödliche Schuld mit ihrer Arbeit als Büglerin im Dienst saturierter Herrschaften zu sühnen. Diese Frau aber kehrt nicht an Herdplatte und Bügelbrett zurück: Bügeln ist hier eine Metapher für die Kunst, das ganze Leben zu entfalten. Kaum kreist mir dieser Gedanke durchs Hirn, wächst auch schon der Wunsch, sich gegen all die rohen und geistlosen Versuche des Niederbügelns unseres halbwegs freien Lebens zu wehren. Heraus zum 8. März. Und danach sowieso. |
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