Bauers DepeschenDonnerstag, 18. Januar 2018, 1906. DepescheFLANEURSALON LIVE Am Donnerstag, 19. April, ist der Flaneursalon im Stuttgarter Stadtarchiv in Cannstatt, u. a. mit der Sängerin Marie Louise und dem syrischen Sänger/Gitarristen Mazen Mohsen. Der Vorverkauf beginnt demnächst. Ein Abend im Beiprogramm der Ausstellung "Kessel unter Druck. Protest in Stuttgart 1945 - 1989". Hört die Signale! MUSIK ZUM TAG Die aktuelle StN-Kolumne: LUFTOFFENSIVE Scheußliches Novemberwetter mitten im Januar ist nicht gut für die Psyche. Es regnete Katzen und Hunde, bis mir unter meinen beiden Kapuzenjacken beinahe die Seele abgesoffen wäre. Das Klimakatastrophenwetter trieb mich in die U-Ebene, wo auch bei uns Straßen- und S-Bahnen fahren, wenn auch immer öfter ohne Rücksicht auf die Fahrpläne. Aber selbst überfüllte Waggons nehme ich lächelnd in Kauf, wenn ich daran denke, unter welchen Bedingungen unser Ministerpräsident reisen muss. Auf die Frage, wozu er einen 441 PS starken S-Klasse-Mercedes als Dienstauto brauche, sagte er: „Alle denken, wunder wie komfortabel ich in der Gegend rumfahre – es ist leider nicht so. Ich hock’ da wie ‚ne Sardine in der Büchse.“ Mein Beileid. Im heutigen Verkehr bist du sogar als Regierungschef nur ein grüner Hering mit Stern auf der Haube. Unsereins fährt da bequemer, weil er nicht wie Kretschmann einen Gorilla am Arm und eine Aktentasche zwischen den Beinen hat. Mir genügt es, ab und zu in der Bahn den Rucksack eines umweltbewussten Feinmotorikers im Gesicht zu spüren. Immer wenn ich aus der U-Bahnstation Stadtmitte die südlichen Stufen hinaufsteige, bewundere ich ein Plakat mit der geistreichen Botschaft: „Stairway to Shopping-Heaven“. Die Treppe zum Konsumhimmel bringt uns mitten hinein in den Imbissfettgestank der Marienstraße – und weiter zum Einkaufszentrum Das Gerber. Dessen Reklamespruch ist für unsere Breitengrade gut gewählt: „Stairway To Heaven“, ein Song der Rockzausel-Band Led Zeppelin von 1971, landet seit Ewigkeiten beim fortschrittlichen Publikum der SWR-Hitparade weit vorne. An jeder Ecke werden wir mit Werbung, Marketing und Public Relations beschossen. Ständig stapfen wir die Himmelsleiter zur Profitsteigerung hoch, gebaut von Propagandaexperten. Heute sagt man natürlich nicht mehr so oft „Propaganda“, weil dieser Begriff zwischen 1933 und 1945 etwas an Seriosität eingebüßt hat. „Propaganda“ heißt bis heute das Haupt- und Standardwerk von Edward L. Bernays aus dem Jahr 1928. Der Amerikaner, ein Neffe Siegmund Freuds, gilt als Begründer moderner Public Relations (PR), der Öffentlichkeitsarbeit im weitesten Sinn. Er entwarf sowohl geniale Raucher- als auch Antiraucher-Kampagnen, steuerte die amerikanische Kriegspropaganda und diente als Vorbild für Goebbels‘ Nazi-Propaganda. Längst lenken PR-Experten nicht mehr nur die Vermarktung von Bockwürstchen, sondern auch von Parteien und ihren Politikern. Wir in Stuttgart hätten auf dem Gebiet zeitgenössischer Propaganda beinahe Pionierarbeit geleistet, als die CDU 2012 im OB-Wahlkampf nicht etwa einen Berufspolitiker plus Reklamefritzen anheuerte, sondern gleich einen Werbeunternehmer als Kandidaten ins Rennen schickte. Der Berliner Medienprofi Sebastian Turner verlor dann gegen den altvorderen Grünen Fritz Kuhn, weil seine aufgebrezelten Großplakate selbst konservativen Stammwählern sauer aufstießen. Heute betreibt auch unser amtierende OB bei jeder Gelegenheit Marketingpolitik. Werbeleute entwerfen ihm Plakatkampagnen für etwas mehr Fußverkehr oder zur Eindämmung der Armutsprostitution („Nutten sind Menschen“). Seine bisher lustigste PR-Aktion steht uns allerdings erst noch bevor. Weil angeblich die extreme Luftverschmutzung in der Stadt im vergangen Jahr sensationell zurückgegangen ist, macht er reichlich Wind: „Ich freue mich auf den Tag, an dem wir die Grenzwerte einhalten. Dann wird es eine ungeheuer gute Vermarktung geben.“ Kann nur heißen: PR-Geschwader sollen die Kunde vom betörenden Klima im brummenden Kessel in die Welt tragen. Was da ungeheuer gut vermarktet werden soll, ist mir schleierhaft. Denkbar, dass die schlechte Luft in der Stadt von der heißen Luft der Werbebüros verdrängt werden soll. Bisher wurde unsere Luft ja nur deshalb nicht in Dosen vermarktet, weil ihr wahrer Wert von Politikern, ihren Marketingberatern und anderen Luftikussen nicht erkannt wurde. Im Rathaus herrschte wohl die Meinung, mit Luft ließe sich nicht mal – wie bei anderen Projekten – ordentlich Luftgeld machen. Anders als Laubsauger, Ballonfahrer und Trompeter brauchen die meisten die Luft ja nur zum Atmen – und zahlen nicht mal dafür. Die wichtigeren Herrschaften haben ohnehin eine Klimaanlage in ihrer Karre, falls mal das Deo ihres Leibwächters versagt. Was also willst du aus dem Stuttgarter Luftbereich verkaufen? Die Mooswände an der B 14 versteigern? Schneekugeln mit rieselndem Feinstaub und einem Modell vom Schweinemuseum drin? Hauptbetroffene beim Thema sind aus medizinischer Sicht die Lungen. Aber auch diese Organe sind überschätzt. Unser werter Darm zum Beispiel kann nicht nur selber umwerfende Luft erzeugen. Ärzten schätzten ihn sogar als „zweites Gehirn“ : Als einziges menschliches Organ kommt er ohne Steuerung aus dem anderen, meistens im Kopf angesiedelten Gehirn aus. Das ist wissenschaftlich erwiesen, seit vorzugsweise CDU- und SPD-Politiker in der Klimadiskussion nur noch ihr Zweithirn benutzen. Sie greifen nicht mal dann aufs primäre Hirnschmalz zurück, wenn noch welches vorhanden ist. Mitten in diesen Turbulenzen und Flatulenzen plant Kuhn eine Marketing-Offensive. Vermutlich sucht er Investoren. Nach den Polizeiaktionen im italienischen Familienmilieu sind Appelle an Unternehmer aus der Müll- und Immobilienbranche durchaus angebracht. Schlau wäre ein Plakat mit der Aufschrift: „Mafiosi, auf nach Stuttgart! Die Luft ist rein!“ Selbst unsere tapferen Bullen sind inzwischen Opfer der miesen Auto- und Umweltpolitik. Ihre Großrazzia neulich im Mafiamilieu hatte noch nicht begonnen, da stand schon in der Zeitung: „Stinkende Luft – Polizisten müssen umziehen.“ Es geht um drei Hundertschaften, die jetzt ihr verseuchtes Gebäude an der Pragstraße räumen und auf den Fasanenhof ausweichen müssen. Bis sie zurückkehren, wird es eine Weile dauern. Dann hat der große Fritz Stuttgart längst als Luftkurort mit grünem Weltstadtgeist vermarktet: Stäffele to heaven. |
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