Bauers DepeschenSonntag, 11. Oktober 2015, 1535. DepescheDer Klick zum LIED DES TAGES DIE GASTDEPESCHE zur Demo an diesem Sonntag: Gespräch mit LAURA HALDING-HOPPENHEIT Am heutigen Sonntag (14 Uhr) findet auf dem Stuttgarter Schillerplatz wieder eine sogenannte "Demo für alle" statt - ein Aufmarsch konservativer, reaktionärer und rechtsextremer Kräfte "für Ehe und Familie und gegen Gender-Agenda und Sexualisierung unserer Kinder". Die erste Gegendemo beginnt um 12 Uhr auf dem Schlossplatz, die zweite um 14 Uhr auf dem Marktplatz unter dem Motto "Regenbogen für alle". Zahlreiche Organisationen und Unterstützer kämpfen für die sexuelle Vielfalt. Dazu heute als Gastdepesche ein Interview von Sabine Vogel mit Laura Halding-Hoppenheit: Die Chefin des Kings Clubs engagiert sich seit mehr als 40 Jahren für die Gleichberechtigung von Homosexuellen, für die Aids-Stiftung und andere Projekte. 2014 erhielt sie für ihren Einsatz als „Mutter der Schwulen“ das Bundesverdienstkreuz. Kurz darauf wurde sie zur Stadträtin für DIE LINKE im Stuttgarter Gemeinderat gewählt. 2014 erschien auch der Film "Laura - Ein Juwel aus Stuttgart" von Rosa von Praunheim. DAS INTERVIEW: „ARMUT WIRD GEGEN FREIHEIT AUSGESPIELT" FRAGE: Laura, man kennt dich als „Mutter der Schwulen“. Wie kam es dazu? Du selbst warst lange mit einem Mann verheiratet, hast Kinder. LAURA: Es ist 45 Jahre her, da bin ich ganz jung nach Deutschland gekommen, war Ausländerin. Ich habe Kunstgeschichte studiert, in der Kulturszene viele Schwule kennengelernt. Und die waren die einzigen Menschen, die mich damals nicht diskriminiert und ausgegrenzt haben. Wir haben uns angefreundet, sie waren die einzigen, die mir nicht das Gefühl gegeben haben, unerwünscht zu sein. Ich habe mich unter ihnen wohl gefühlt, dachte mir: das ist meine Familie, das ist mein Platz, hier bleibe ich. Die haben eigentlich ganz andere Sorgen gehabt, die mussten ums Überleben kämpfen, darum, nicht tot geschlagen zu werden. Damals war es noch verboten, schwul zu sein. Aber trotzdem hatten sie eine große Menschlichkeit. Sie haben mir dann von ihren Problemen erzählt, und im Vergleich dazu waren meine Probleme nichts. Und dann habe ich gesagt: Eines Tages, da bin ich stark, da mache ich auch etwas für euch. Ich hatte einen Sinn gefunden, für den ich kämpfen wollte, gegen Diskriminierung, für Gleichberechtigung. FRAGE: Eines der ersten Dinge, die du in Stuttgart für die Schwulenbewegung getan hast, war die Übernahme des Kings Clubs vor vierzig Jahren. Was bedeutet dieser Ort für euch? LAURA: Der Kings Club war der erste Ort in Stuttgart, an dem Hunderte von Schwulen zusammenkamen, jung und alt. Der Club war ein geschützter Raum für sie, dort konnten sie feiern und tanzen und einfach sie selbst sein. Später kamen viele Jüngere dazu, die waren zu Hause rausgeflogen, nur weil sie schwul waren, mit 14, 15, 16 Jahren. Ihre Eltern wollten nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Und dann wurde ich ihre Mutter und der Kings Club ihr Zuhause. Weil ich selbst eigene Kinder habe, weiß ich, was für Liebe und Geborgenheit ein Kind braucht, und die habe ich ihnen gegeben. Aber der Kings Club ist auch ein politischer Ort, weil die Schwulen von Anfang an mehr wollten als nur feiern. Sie wollten das Schwulsein aus der Illegalität holen. Als es in den Achtzigern mit Aids losging, wurde alles noch viel schlimmer. Alle waren total verängstigt, verzweifelt und wurden noch mehr diskriminiert. Da habe ich gesehen: Ich bin ihre Mutter, ich nehme sie in den Arm, aber ich muss auch politisch was machen. Ich muss auf die Straße gehen, muss zeigen, dass man niemanden stigmatisieren darf wegen seiner Veranlagungen. Man musste Aids als Virus bekämpfen, aber nicht die Menschen, die den Virus in sich tragen. Und dann hat sich meine Mutterrolle stark erweitert: Ich wurde eine politische Mutter. Meine eigenen Kinder haben immer gesagt, wenn sie gehört haben, dass ich die Mutter der Schwulen bin (lacht): Mama, haben wir so viele Brüder und Schwestern? Und ich habe gesagt: Ja, wir sind eine große Familie. Und die liebe und beschütze ich und für die kämpfe ich. Das war schön und ist bis heute schön. FRAGE: Heute könnte man denken, die LSBTTIQ-Gemeinschaft habe es leichter, schaut man beispielsweise auf die breite gesellschaftliche Zustimmung zur Einführung der Homo-Ehe. Aber gleichzeitig finden regelmäßig schwulen- und lesbenfeindliche Proteste statt – und da sind wir beim Bildungsplan und seinen Gegnern. Wie schätzt du diese Widersprüche ein? LAURA: In Großstädten ist es auf jeden Fall besser geworden. Wir leben in Stuttgart in einer Großstadt, und Stuttgart hat ein großes Herz, wir haben hier viel erreicht. Aber gehen wir mal ein Stückchen weiter in den Schwarzwald oder in andere Provinzgebiete. Dort ist es wie vor 40 Jahren. Schwule werden diskriminiert, die trauen sich nicht, sich zu outen, aus Angst vor dem Gerede der Nachbarn, vor dem Verlust des Jobs. Deswegen kommen die jedes Wochenende nach Stuttgart. Hier fühlen sie sich wohl und frei. Die Bildungsplangegner versuchen jetzt, uns zu zeigen, dass wir nicht erwünscht sind. Das tun sie, indem sie alles verdrehen: Die reden die ganze Zeit von Sex, sagen, wir wollten den Kindern verfrüht Sexualkundeunterricht geben. Der politische Gedanke, der hinter dem Bildungsplan steckt, geht aber in eine ganz andere Richtung: Es geht darum, dass die Kinder von ganz klein auf erklärt bekommen, dass es verschiedene Formen von Familien und von Liebe gibt. Dass niemand diskriminiert werden darf, ob er krank ist oder behindert, ob er zwei Mütter oder Väter hat, oder nur eine Mutter oder einen Vater: alles ist normal. Es geht um Gleichberechtigung, um Respekt gegenüber allen Kulturen und Hautfarben. Es gibt heute gesellschaftliche Rückschritte. Da laufen Leute auf die Straßen, weil sie meinen: Die Schwulen, die wollen jetzt alles haben. Die wollen heiraten … Natürlich wollen die heiraten! Die wollen die gleichen Rechte haben, die gleichen Pflichten haben sie sowieso. Wieso sollen zwei Männer oder zwei Frauen sich nicht heiraten, wenn sie sich lieben? Liebe ist Liebe. Es gibt keine Liebe der ersten oder der zweiten Klasse. Und niemand kann die Kinder zum Schwulsein erziehen, niemand. Das sage ich aus eigener Erfahrung: ich habe eigene Kinder, die sind in der Schwulen-Szene groß geworden und nicht homosexuell geworden. Aber man kann Menschen zur Akzeptanz erziehen, dazu, respektvoll zu sein, hilfsbereit. Das sind Werte, die man den Kindern geben kann. FRAGE: Was glaubst du, woher diese Rückentwicklungen kommen? Warum wird der Hass gerade jetzt wieder stärker? LAURA: In vielen intoleranten Ländern, in denen Homosexualität verboten war, sind die Kirchen und die reaktionären Kräfte wieder stärker geworden. Dabei ging es nicht nur um die Schwulen, sondern auch um die Ausländer, um die Minderheiten. Die Leute haben eine bestimmte Vorstellung davon, wie die Gesellschaft sein sollte, und alles, was anders ist, wird diskriminiert. In Osteuropa und anderen Ländern werden diktatorische Verhältnisse stärker, es herrscht eine sehr menschenfeindliche Stimmung. Und die Schwulen gehören da zu den ersten Opfern. Ich glaube, dass sich diese politische Stimmung auch in Deutschland verbreitet. Die reaktionären Politiker haben Angst, ihre Macht zu verlieren. Wenn alle Menschen sich frei bewegen können, dann lassen sie sich nicht mehr so gut dominieren und regieren von der dogmatischen Politik. Die heutigen Entwickelungen sind ein Angriff auf die Freiheit und die freien Gedanken. Wenn die Menschen sich im Kopf befreien, dann wollen sie auch Gleichberechtigung, sie kämpfen gegen Diskriminierung, gegen ungerechte Verteilungen zwischen Arm und Reich, versuchen, andere Maßstäben zu leben. Davor haben die Reaktionäre Angst. Deshalb sagen sie: Du lebst so, wie wir es bestimmen. FRAGE: In etlichen Ländern haben die BürgerInnen die reaktionären Kräfte vermehrt gewählt und so gestärkt. Wie erklärst du dir dieses Wahlverhalten? LAURA: Armut wird gegen Freiheit ausgespielt. Im Ostblock zum Beispiel wird den Leuten erklärt: Euch geht es schlecht, weil es immer mehr Schwule gibt, und die wollen immer mehr. Die Leute glauben das, weil sie sehen: Wir werden immer ärmer, aber den Schwulen geht es immer besser. Wenn wir in Bukarest einen Christopher Street Day organisieren, dann kriegen wir dort Steine und Eier an den Kopf. Früher haben die Schwulen, die Künstler, Schriftsteller und Tänzer die Kultur im Ausland repräsentiert. Niemand hat darüber geredet, man hat sie in Ruhe gelassen. Die hatten damals ein besseres Leben als heute. Die Reaktionäre haben Angst vor der Demokratie. Deutschland war schon fortschrittlicher als jetzt, auch Frankreich oder Spanien. Klar, Amerika hat jetzt die Homo-Ehe frei gegeben, aber Amerika ist nicht tolerant und nicht demokratisch. Die Diskriminierungen nehmen zu, die Freiheiten werden eingeschränkt. Die Intoleranz kommt zurück, und da müssen wir aufpassen. Alles soll in den alten Schablonen bleiben: Kirche, Ehe, die Rolle der Frauen. Auch die Frauen werden unterdrückt: Eine Frau zu Hause am Herd, die sich von ihrem Mann sagen lässt, was zu tun ist, ist nicht so frei wie zwei Lesben, die zusammen leben und Kinder adoptieren. FRAGE: Was sind in Deutschland die Ursachen für die zunehmende Intoleranz? LAURA: Auch in Deutschland bekommen viele Menschen zu wenig Bildung. Der Kampf gegen den Bildungsplan ist auch ein Kampf gegen die Aufklärung. Viele, die sich mit diesem Thema nicht beschäftigen, die hören jetzt: Diese Schwulen, die denken nur an Sex. Die, die das hören, fangen dann auch an, sie zu diskriminieren, obwohl sie gar nicht wissen, was im Kopf eines Schwulen wirklich vorgeht. Schwule, Ausländer, Migranten, alle, die nicht in die Schablonen passen, werden klein gemacht. Damit sich ja nicht Kreativität und Gedankenfreiheit entwickelt. Das ist eine Gefahr für die reaktionären Mächte. Wenn ein Mensch wirklich aufgeklärt ist, und sagt, hallo, was redet ihr denn da?! Alle Menschen sind gleich! Alle Menschen haben das Recht, zu lieben und zu leben in Freiheit, und auf freie Entscheidungen! Wir wollen auf dieser Welt nicht nur Reiche haben, die alles entscheiden. Wir wollen selbst mitdenken und entscheiden. Dann ändert sich etwas in der Gesellschaft. Aber dann verlieren die ganz oben ihre Macht. Deshalb brauchen wir mehr Bildung, von klein auf. Man muss praktisch auf diesen Bildungsplan bestehen. Wir brauchen mehr Aufklärung, in den Schulen und durch politische Arbeit, in allen Schichten der Gesellschaft. Ich bin in den letzten 40 Jahren immer wieder auf die Straße gegangen, in Veranstaltungen, in die Öffentlichkeit, auch wenn die Menschen uns am Anfang beschimpft haben. Und damit haben wir im Lauf der Jahre viel erreicht. Viele Menschen haben die Ohren aufgemacht und zugehört, haben bemerkt, dass wir Menschen sind wie alle anderen auch. Damit darf man nicht aufhören. Es kommen ständig neue Generationen mit neuen Vorstellungen, und denen muss man es auch erklären. (Das Gespräch führte Sabine Vogel) BEITRÄGE schreiben im LESERSALON FRIENDLY FIRE: NACHDENKSEITEN INDYMEDIA LINKS UNTEN BLICK NACH RECHTS INDYMEDIA STÖRUNGSMELDER FlUEGEL TV RAILOMOTIVE EDITION TIAMAT BERLIN Bittermanns Fußball-Kolumne Blutgrätsche VINCENT KLINK KESSEL.TV GLANZ & ELEND |
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