Bauers Depeschen


Donnerstag, 19. März 2015, 1434. Depesche



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FLANEURSALON-TERMINE

AUSFLUG: Der nächste Flaneursaon mit Stefan Hiss, Dacia Bridges und Roland Baisch findet am Donnerstag, 16. April, in Stetten im Remstal statt, in der Glockenkelter, dem Domizil der politisch-kulturellen Initiative Allmende. 19 Uhr. Reservierungen sind möglich: 071 51/36 88 06 und info@allmende-stetten.de. Oder einfach auf der Flaneursalon-Seite via "Kontakt" anmelden.

HEIMSPIEL: Am 6. MAI sind wir in neuer Besetzung in der Stuttgarter ROSENAU. Mit Michael Dikizeyeko & Steve Bimamisa (afrikanische Songs), Marie Louise (Indie-Folk), mit dem Freestyle-Rapper und Zeremonienmeister Toba Borke sowie dem Beatboxer Pheel. Reservierungen ab sofort online: ROSENAU



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Die aktuelle STN-KOLUMNE:



MACHT UND DIENEN

Ausstieg Stadtbahn-Haltestelle Prag. Über den Zebrastreifen zur Hahnemannstraße, benannt nach dem Begründer der Homöopathie. Für viele ist es die Straße der schlechten Erinnerungen. Im Haus Nummer eins residiert das Polizeipräsidium.

Ich komme freiwillig, genieße gute Betreuung. Der Kriminaldirektor Michael Kühner i. R. (67), ein drahtiger, fast kahlköpfiger Mann mit kräftiger Stimme, wird mich zweieinhalb Stunden durch das neue Polizeimuseum führen. Es behandelt die Geschichte der Stuttgarter Ordnungshüter seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Spektakuläre Fälle: Entführungen, Morde, politische Verbrechen. Kuriose Anekdoten: eine Vorkriegs-Harley als Polizeimotorrad, der als untauglich abgelegte Dienstrock für Polizistinnen, Dienstbücher mit Autogrammen von Sepp Herberger und Pelé vom Einsatz im Neckarstadion.

Michael Kühner startete als Streifenpolizist, war bei der Sitte, bei der Mordkommission, schließlich stellvertretender Polizeipräsident. In den Siebzigern hat er in der ehemaligen Gestapo-Zentrale, dem früheren Hotel Silber gearbeitet. Er erinnert sich auch gut an das Polizeirevier 1 in der Schmalen Straße: Die „Schmier“, so nannte man die Polizei, war direkt neben den legendären Rotlicht-Buden stationiert.

Kühner ist Bulle mit Leib und Seele. Bis heute auch ein ­exzellenter Florett-Fechter und Trainer. Wie andere Kollegen, darunter Günther Rathgeb, der ehemalige Stuttgarter Schutzpolizei-Chef während der RAF-Zeit, engagiert sich Kühner im Polizeihistorischen Verein Stuttgart. Mit 120 000 Euro Spenden haben sie in siebenjähriger Arbeit ihr 220 Quadratmeter großes Museum eingerichtet. Maßgeblich beteiligt die Ex-Beamten Hans Pache und Pit Schülen sowie der Grafiker Lutz Eberle.

Kühner sagt, allein an dem Kapitel über die Rolle der Polizei bei den Nazis habe er ein Jahr gearbeitet. Diese Zeit habe ihm schwer zu schaffen gemacht. Seine gründlichen Ermittlungen in den braunen Abgründen haben womöglich biografische Gründe. Er ist im Stuttgarter Westen aufgewachsen, in der Lerchenstraße 52. In diesem Haus hat sein Vater 1939 miterlebt, wie die SS Maria Hirth, die Schwester des schwäbischen Hitler­Attentäters Georg Elser verhaftete. Maria Hirth und ihr Mann wohnten mit den Kühners unter einem Dach. Der Geschichtsforscher Kühner wertet, eher nicht zur Freude vieler Kollegen und Politiker, die Stuttgarter Polizeiarbeit während der Hitler-Diktatur kompromisslos als Nazi-Verbrechen. Man erfährt die Namen von Mitläufern und Massenmördern aus den Polizeireihen, liest die Texte: „Ehemalige und aktive Beamte der Stuttgarter Polizei aller Sparten beteiligen sich an den Kriegsverbrechen und Mordaktionen. Als Angehörige von Polizeibataillonen sind Schutzpolizisten bei Massenerschießungen oder Gettoräumungen in Polen oder der ­Sowjetunion beteiligt oder als Feldgendarmeriesoldaten bei Racheakten auf dem Balkan . . . Kriminalkommissare sind als Kommandeure von Vernichtungslagern in Polen am Holocaust beteiligt … aber auch an der Heimatfront in Stuttgart vollzieht die Gestapo die Deportationsbefehle gegen die jüdische Bevölkerung . . .“

Begonnen hatte unsere Museumstour harmlos, nostalgisch. Eine Bürotür mit Durchreiche und Theke. Auf dem Tisch dahinter eine uralte Mercedes-Schreibmaschine und ein Ventilator-Winzling, mit dem sich Philip Marlowe nicht die Fingernägel putzen würde. Der alte Fernschreiber, das lange auch für Zeitungen unersetzliche Telegrafie-Gerät zur Nachrichtenübermittlung. So sah ein Amtszimmer aus, als sich Polizisten von der Kneipe nebenan noch ein Bier fürs Vesper kommen ließen.

Wir gehen weiter, zu den großen Kriminalfällen, präsentiert mit Film- und Ton­aufnahmen. Die Entführung und Ermordung des siebenjährigen Joachim Göhner 1958 in Degerloch (später in der legendären ARD-Reihe „Stahlnetz“ verfilmt). Die Stimme des gesuchten Mörders wurde im Radio gesendet – nach einer heute undenkbar langen „wissenschaftlichen“ Einleitung. Die damalige Kritik an der Polizeiführung findet man nicht im Museum.

Oder der zweifache Polizistenmord 1989 auf der Gaisburger Brücke. Wir hören den aufgezeichneten Funkverkehr der Beamte vom Tatort, im Stress berichten sie von der Attacke eine „Negers“. Die Texttafel dazu sucht zu erklären: Das Wort „Neger“ habe schon in den siebziger Jahren als rassistisch gegolten, sei aber noch Ende der Achtziger in der Alltagssprache verwendet worden.

Das Museum birgt viele bewegende, aufschlussreiche Kapitel Stadtgeschichte. Egal, wie man ihre Darstellung beurteilt: Die Schau wirft Fragen auf, lehrt uns generell etwas über die Macht und das Dienen. Über Staat, Befehle, Untertanen.

Einer halbwegs objektiven Nachbearbeitung bedarf wohl die von gutem Korpsgeist beeinflusste Sicht des Stuttgart-21-Protests. Der Wasserwerfer-Prozess ist (aus zeitlichen Gründen) nicht erwähnt. Und der rigide Polizeieinsatz am Schwarzen Donnerstag wird allein mit „emotionalisierten“ Demonstranten begründet, mit S-21-Gegnern, die nach Internet-Aufrufen „den Schlossgarten stürmten“.

Beenden wir die Tour mit einer heiteren Anekdote: Die bereits erwähnte Harley­Davidson, eine Dreigang-Maschine Baujahr 1941 mit 23,5 PS, landete nach dem Krieg als Dienstvehikel bei der Stuttgarter ­Polizei. Damals fuhren die Wachtmeister noch mit dem Fahrrad Streife auf der Autobahn. Um die Nachwuchsarbeit im neuen Deutschland zu fördern, hatten die Amerikaner die Harley einem Kreis Backnanger Hebammen geschenkt. Den Damen war das 300 Kilo schwere, 105 Stundenkilometer schnelle US-Monster allerdings nicht ­geheuer. Sie tauschten es bei der Stuttgarter Polizei gegen eine NSU-Quickly ein.

Der empfehlenswerte Besuch im Polizeimuseum ist möglich in Gruppen von mindestens zehn Leuten nach Anmeldung. Telefon: 07 11 / 89 90 51 47 oder online: www.polizeimuseum.de



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