Bauers Depeschen


Donnerstag, 02. Oktober 2014, 1357. Depesche



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WERTES PUBLIKUM,

hochverehrte Gäste, liebe Freundinnen und Freunde, gottverdammte Hurensöhne und elendige Entaklemmer, Strauchdiebe und Schnorrer, sanfte Seelen und Gutmenschen, für den Flaneursalon am Montag, 13. Oktober, gibt es noch Karten, und zwar hier:

THEATERHAUS und 0711/4020 720

Vielen Dank für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit.



AUSFLUG

An diesem Donnerstag nehme ich an der Vorstellung des Buchs "Wegsehenswürdigkeiten" in der Romanfabrik in Frankfurt am Main teil. Frankfurter Autoren beleuchten in diesem Band ihre Stadt, Herausgeber sind Jürgen Roth und Stefan Geyer; unsereins hat als auswärtiger Gast das Vorwort geschrieben. Siehe: WEGSEHENSWÜRDIGKEITEN  



SUPPENKÜCHE am Samstag, 11. Oktober, in der Leonhardstraße. 13 Uhr bis 18 Uhr. Drei verschiedene Eintöpfe, einer vegan. Live-Musik mit der Sängerin Anja Binder, dem Gitarristen Jens-Peter Abele, dem Tastenmann Marquis de Shoelch. - Für kleine Geldspenden sind wir dankbar. Wer etwas übrig hat, kann mir schreiben: Bitte "Kontakt" anklicken. - Schon mal ganz herzlichen Dank an: Susann Breinbauer, Carmen Klees, Heike Schiller, Wolfgang Kaemmer, Thomas Maiwald, Uwe Horst Pfeifer, SvC, Horst Walter, Daniela Horvath, Regina K. ...



Der Klick zum

LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne

zur bevorstehenden Eröffnung des MÜLLANEO:



SHOPPEN, SHOPPEN

Ärgerlich am Kolumnenschreiben ist, dass ich nie dort anfangen kann, wo ich beim letzten Mal aufgehört habe. Kaum war ich im Gerberviertel und habe ein paar Stationen meiner Schnitzeljagd erwähnt, stehe ich schon im Europaviertel. Das ist schade. So erfährt keiner, dass im Gerberviertel eine Kriminalpolizeiwache einquartiert ist, darunter die gute alte „Sitte“, heute Ermittlungsdienst Prostitution. Keiner kriegt mit, wie ich im Gerberviertel eine Übergangsjacke kaufe bei Flaming Star, einem Wunderladen mit eingebautem Friseursalon. Kein Wort über das städtische Pfandleihhaus, im Volksmund „Pfanne“. Keine Silbe vom Auktionator Helmut Stetter, der besseres Kalaschnikow-Schwäbisch spricht als der Digitalkommissar Oettinger.

Als ich an der Pfanne vorbeiging, lagen eine Trompete, eine Querflöte und eine akustische Gitarre zum Verkauf im Schaufenster. So viel zum Zustand unserer Stadtmusikanten. Ach ja, die Musik. Der Sänger und Mundharmonikaspieler Mick Jagger hat mal bei einem Stuttgart-Gastspiel der Rolling Stones im Punto Fisso im Gerberviertel zu Abend gegessen, weil ein paar Rundfunkmenschen der Meinung waren, in dieser Kneipe sei die italienische Kultur zu Hause. Herr Jagger hat überlebt.

An das alte Gerberviertel erinnern sich jetzt einige Leute, weil außerhalb des Quartiers das Einkaufszentrum mit dem gestohlenen Namen Das Gerber eröffnet hat. Dieser Kasten steht so unwirklich himmelwärtsstrebend in der Nähe der Kirche St. Maria, dass ich ihn mit Blick auf die Gestrauchelten und Verlorenen von der Paulinenbrücke und zur Ehrenrettung des Gerberviertels umbenenne: Fortan heißt er Sankt Berber.

Kommende Woche, am 9. Oktober, geht das nächste Ladenlabyrinth in Betrieb. Dieser Komplex steht in einem Baugebiet in der Nähe der Eisenbahnschienen. „Opening“ ist morgens um acht. Auf diese Uhrzeit verweise ich ausdrücklich, damit Sie rechtzeitig kommen, um noch alles vor Ihrem Ableben sehen zu können. Es heißt, es gebe 200 Läden und 20 Imbisse. Das Ganze nennt sich Milaneo. Diese Bezeichnung hat man in der Ära des Immobilien-Virtuosen Schuster in einem sogenannten Ideenwettbewerb ermittelt, sie passt gut in das Stuttgart-21-Gelände namens Europaviertel hinterm Bahnhof. An diesem Ort hat man bekanntlich auch den Mailänder Platz erfunden, das großartige Exil der zugestellten Stadtbibliothek. Das Eurodings habe ich früher schon als Hommage an seinen Pariser Platz umgetauft: in Quartier Kretin. Mit dem Sankt Berber hat es eine würdige Namensschwester.

Der Investoren-Bau Milaneo aus dem ECE-Imperium mit seinen austauschbaren Konfektionsteilen steht zurzeit noch wild eingerüstet neben der Baugrube mit dem Veronika-Tunnel und dem Andrea-Tunnel. Wenn die Shopping-Kinder kommen, um ihren Kaufrausch in üblen Lohnschinder-Läden wie der Primark-Filiale auszuleben, haben alle ihren Spaß. Horden von Zahnlücken zwischen den Bauzäunen. Die Stadt hat man längst flächendeckend mit Werbung für die neuen Einkaufsklötze dekoriert. Auf den Plakaten steht der Slogan: „WEIL STUTTGART NEUES SHOPPEN WILL“. Da man diese Zeile komplett in Großbuchstaben gestaltet hat, lässt sich nicht feststellen, was genau gemeint ist. Version A könnte heißen: Das Milaneo eröffnet, „weil Stuttgart Neues shoppen will“. Etwa eine neue Übergangsjacke. Version B des Slogans könnte meinen: Das Milaneo eröffnet, „weil Stuttgart neues Shoppen will“. Bei dieser Sprachauslegung ginge es um eine neue Art der Schnäppchenjagd. Neues Shoppen im Milaneo ist im Übrigen schon deshalb garantiert, weil kein Mensch je zuvor im Milaneo geshoppt hat. Noch nicht geklärt ist, wer mit jenem „Stuttgart“ gemeint ist, das Neues shoppen oder neues Shoppen will. Beides schafft Stuttgart nie und nimmer ohne Böblingen.

Insgesamt darf Stuttgart wieder einmal stolz sein auf seine einzigartige, von demokratischer Unbestechlichkeit und kreativem Reichtum beseelte Stadtplanung. Was man in anderen langweiligen Städten irgendwo draußen in die Prärie verbannt, um die Menschen und ihre Räume zu schützen, stellt man in Stuttgart mitten ins Dorf. Damit es ein Leben gibt.

Komme keiner auf die Idee, im Baugruben-Geschäft investierten Leute, die es schwer haben, ihr mühsam verdientes Shopping-Geld woanders unterzubringen. So etwas behauptet, wider alle guten Sitten, nur die Kriminalpolizei. Alles und jeder Tunnel mit Gottes Segen, in St. Stuttgart 21.

PS: Als diese Kolumne schon geschrieben und gedruckt war, fiel mir nachts im Bett ein, dass auch das Milaneo einen neuen Namen braucht: Nennen wir es Müllaneo.



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