Bauers DepeschenFreitag, 10. Mai 2013, 1106. DepescheNACHTRAG: Stuttgarter Kickers - FC Chemnitz 1:1TERMINE An diesem Freitag, 10. Mai, lesen Wolfgang Schorlau, Volker Lösch und unsereins im Cinema in der Veranstaltungsreihe "10. Mai" zum Thema "Bücherverbrennung". Beginn 18.30 Uhr. - Wenn ich mir die Bemerkung zu diesem Tag erlauben darf: Das Veranstaltungsmotto "Lesen statt Verbrennen" ist gedanklich und sprachlich mehr als fragwürdig. Es veharmlost das verbrecherische Fanal des Nazi-Terrors, lässt das "Verbrennen" gewissermaßen als Alternative zum Lesen erscheinen. - Und dann war da noch der heiß geliebte Flaneursalon: Freitag, 17. Mai, Theater Rampe. 20 Uhr. Es gibt noch ungeliebte Karten. INFOS & VORVERKAUF - KARTENTELEFON: 07 11 / 6 20 09 09-16 SPENDENAUFRUF Der Spendenaufruf zur Abwendung der Privatinsolvenz im Fall der Zeitung "einund20" hat eine stattliche vierstellige Summe gebracht. Die juristische Entscheidung in dieser Sache fällt kommende Woche. DAS LIED DES TAGES KICKERS, ZUR ERINNERUNG An diesem Samstag (13.30 Uhr) spielen die Stuttgarter Kickers auf der Waldau gegen den FC Chemnitz. Es ist das letzte Heimspiel der Saison im Kampf gegen den Abstieg aus der dritten Liga. Als die Blauen im vergangenen Jahr in die dritte Liga aufstiegen, schrieb ich die folgenden Zeilen - interessant der Unerschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit ... DIE ASCHE UNSERER FANS Die Sache war erledigt, der Rest Kür. Zwei Spieltage vor Saisonende 2011/12 stiegen die Stuttgarter Kickers in die dritte Liga auf. Rein dramaturgisch ging dieser Triumph am ersten Maiwochenende 2012 eher unspektakulär über die Bühne. Unter Ausschluss weiter Kreise der Bevölkerung. Die Kickers-Fans hingen am Sonntag an ihren Taschentelefonen und Klapprechnern und starrten auf den Live-Ticker aus Hoffenheim. Als die zweite Mannschaft der TSG Hoffenheim den schärfsten Konkurrenten der Kickers, den TSV Großaspach, in einem sensationellen Endspurt 3:2 geschlagen hatte, war das Ding gelaufen, ausgerechnet mit Badener Hilfe. Unverzüglich setzte ich mich an meine Kiste, bestückte mein elektronisches Tagebuch mit der Kickers-Hymne von Erwin Lehn (Musik) und Joachim „Blacky“ Fuchsberger (Text) und schrieb ein Gedicht darunter. Das Gedicht war unter aller Sau, erfüllte aber seinen therapeutischen Zweck: ein Befreiungsrülpser. Dann drehte ich die Hymne auf: „Blau und Weiß sind unsere Farben, hoch die Kickers überall . . .“ Am Freitag vor der Entscheidung hatten George der Grieche und ich wie gewohnt im B-Block auf dem Kickersplatz Posten bezogen. Nach einem grausamen Spiel bejubelten wir das 1:0 der Blauen über den FC Memmingen. Wir sind alte Säcke, wir jubeln gebremst, und wir nehmen die Sache ernst. Außenstehende belächeln uns, vor allem Außenstehende, die zum großen Verein der Stadt gehen. Das ist uns wurscht. Diese Leute haben keine Ahnung. Sie machen auch Witze über Fußball. George der Grieche und ich haben uns zwei Exemplare eines neuen Buchs besorgt. Es heißt „Warum England immer verliert“ und erklärt in einem von vierzehn Kapiteln, „warum Fußballvereine fast nie verschwinden“: „Fußball ist mehr als ein Geschäft. Fans wünschen sich, dass ihre Asche auf dem Spielfeld ihres Vereins verstreut wird. Kein Kunde eines Supermarkts würde das tun.“ Nein, wird werden nicht in einer Plastiktüte von Lidl enden. Drei verdammte Spielzeiten in der vierten Liga haben wir hinter uns. Vierte Liga gilt als Nebensache. Eine sozialpolitische Fehleinschätzung. Als wir den FC Memmingen mit 1:0 wegmachten, waren 5400 Besucher auf der Waldau (darunter etliche Erfolgstouristen). Mit so vielen Leuten lässt sich fast dreimal der Beethovensaal der Liederhalle oder einmal die Porsche-Arena füllen. Wir bewegen uns damit in einer Bob-Dylan-Dimension. Viele Leute gehen zu den Events der Erstligaclubs nur deshalb, weil sie das Spiel nicht begreifen. Weil ihnen die Grundausbildung im Fußball der Holzklasse fehlt. Holzklasse heißt Wald und Waldau. Die Vereinsbosse betrachten Fußballclubs als „Wirtschaftsunternehmen“. Vergleichen ihre Clubs mit Firmen für Autobleche, ignorieren das Drama der Emotionen und Zufälle. Man lernt das Leben nicht in BWL-Kursen. Weltweit gibt es kein besseres Verständigungsmittel als Fußball. Fußball ist das größte, beste und traurigste Spiel der Welt. Keine andere Show verbindet Menschen so global wie ein Fußballspiel. Zurück in den Wald. Den größten Unterschied zwischen der vierten und der dritten Liga ist das Fernsehen. Die Spiele der vierten Liga gibt es nicht im Fernsehen. Die der dritten sind auf Regionalsendern und in der „Sportschau“ zu sehen. In der neuen Saison sind die Kickers ein Live-Club mit TV-Anschluss. In der Dritten siehst du besser! Das heißt noch lange nicht, den Medien könnte in Zukunft den Spielmacher der Kickers wichtiger nehmen als einen Flutlichtmasten des VfB. Zunächst geht es bei den Kickers darum, sich in der dritten Liga zurechtzuwurschteln. Und der Club muss nach 113 Jahren seines Bestehens endlich mal versuchen, die Einzigartigkeiten seiner Fußballnische dem Publikum zu vermitteln. Auf der Waldau stehst du so nahe am Kickersplatz, da kannst du die Stollen der Flügelspieler und die Uhren des Schiedsrichters zählen. Es gibt Leute, die neben der großen Arena auch die Klitsche lieben, und es gibt Leute, die mit der großen Arena nichts anfangen können, aber den Fußball lieben. Wir müssen es allen erzählen: In der Stadt gibt es außer der Bundesliga-Arena für ausschweifend Fußball-Partys eine Live-Bühne für intime Fußballkultur. Dieser Laden heißt Kickersplatz. Wir sind nicht die Underdogs. Wir sind die blaue Bande. Wir haben gelernt, warum das englische Wort „blue“ traurig bedeutet, und warum Blau für Treue steht. Lächerlich der Gedanke, die Kickers seien VfB-Konkurrenz. Das waren sie nicht einmal vor zwanzig Jahren, als sie in der ersten Liga spielten. Rot ist Rot. Blau ist Blau. Die Kickers sind eine kleine, dürftig überdachte Open-Air-Bühne mit guter Waldluft und kurioser Naherholungsakrobatik im Unterhaltungszirkus der Stadt. Diese Fankultur unterm Fernsehturm muss der Club den Leuten vermitteln. Die Fans wiederum müssen sich sagen: Wir machen unser eigenes Ding, ohne Blick auf die anderen. Herz in der Hand, Eier in der Hose. Sonst wird der Fußballgott unsere Asche nicht auf dem Kickersplatz verstreuen. Er wird unsere kläglichen Reste den Hunden auf der Cannstatter Kirmes vorwerfen. So sieht’s aus. 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