Bauers DepeschenSamstag, 17. November 2007, 86. DepescheLIEBE IN BOTNANGIch mache Nachmittagsausflüge, Siebzehnuhrausflüge, das sind praktisch Nachtausflüge. Es ist dunkel um 17 Uhr im November, ein gutes Gefühl, eine Fahrt ins Finstere anzutreten. Ich weiß nie, wohin mich ein Nachmittagsausflug führt. Ich steige in die Stadtbahn, in die nächstbeste. Die nächstbeste fuhr nach Botnang. Wo aussteigen? Beethovenstraße, Eltinger Straße? Ach was, wenn schon, dann die Endstation. Man kommt nicht alle Tage nach Botnang, ich schon gar nicht. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich wenig von Botnang verstehe, und ich hoffe, dass Sie, die Sie diese Zeilen lesen, nicht in Botnang wohnen, obwohl es sicher sehr schön ist, in Botnang zu wohnen. So selten wie da einer hinkommt. Als ich ausstieg, war es dunkler als in der Innenstadt. Natürlich wäre es eine Lüge zu behaupten, in Botnang sei es generell dunkler als anderswo. Aber dort, wo ich ausstieg, an der Endstation, war es furchtbar dunkel. Ich sah fast nichts. Vor mir eine Jugendfarm. So stand es wenigstens auf einem Schild. Was ist eigentlich eine Jugendfarm? Gibt es dort Longhorns und Bisons, Pferde und Cowboys? Womöglich eine Giraffe, in der Lage, aus Botnang hinauszuschauen? Wahrscheinlich nicht, ich fühlte mich einsamer als auf einer Pferdekoppel in Texas. Vielleicht fünfzig Meter vor mir ging eine junge Frau auf der Straße, es war eher ein Feldweg. Es sah so aus, als wollte sie bewohntes Gebiet ansteuern. Im Hintergrund konnte man etwas Licht sehen. Vielleicht ein Aussiedlerhof oder eine Kapelle, eine Hühnerfarm oder eine Penny-Markt-Filiale. Ich traute mich nicht, der Frau in diese Anfänge der Zivilisation zu folgen, ich hätte in einen furchtbaren Verdacht geraten können, so einsam und dunkel wie es hier draußen war. Ich kehrte um zur Station. Neben der Jugendfarm stand jetzt ein Dutzend Jugendlicher, Jungs und Girls. Vielleicht wollten sie Kühe melken oder Schweine füttern oder einen Krieg gegen die Erwachsenen von Botnang vorbereiten. Wollten sie nicht. Sie standen paarweise herum und knutschten friedlich vor sich hin. Das war eine bittere Zeit, dachte ich, als ich im dunklen November draußen auf der Straße stand, um zu knutschen. Einmal stand ich morgens vor einer Mädchenschule und knutschte. Mein Deutschlehrer kam vorbei, blieb stehen und glotzte mich an, ohne einen Ton zu sagen. Der Kerl rührte sich nicht vom Fleck, er starrte mich einfach nur an, bis mir schlecht wurde. Es gibt im Leben kaum eine peinlichere Situation, als mit einer Dame knutschend vor einer Mädchenschule zu stehen und von seinem Deutschlehrer angegafft zu werden. Aus solch einer Liebe kann nichts werden. Diese Liebe hielt nicht mal einen Winter. Ich schätze, in Botnang stehen die Chancen besser. Wer an einem dunklen Novembertag vor einer Botnanger Jugendfarm knutscht, bindet sich für immer. Liebe in Botnang ist für die Ewigkeit, fragen Sie mal nach, wenn Sie nach Botnang kommen. Ich nahm mir etwas Zeit und ging zu Fuß zur nächsten Haltestelle. Dort hing Illustriertenwerbung: "Wahnsinn Pubertät - Zwischen Sex und Zahnspange". In meiner Pubertätszeit - sofern sie je vorüber ging - waren Zahnspangen noch nicht so groß in Mode wie heute. Sex mit Zahnspangen gab es praktisch überhaupt nicht. Ich kann mich an keinen einzigen Sex mit Zahnspange erinnern, auch nicht an eine Zahnspange ohne Sex, wenn ich ehrlich bin, nicht mal an Sex ohne Zahnspange. Das Leben war verdammt hart damals, härter als in Botnang. „Kontakt“ |
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