Bauers DepeschenMittwoch, 15. Februar 2012, 864. DepeschePARKNOTIZ War von fünf bis sieben am Morgen im Schlossgarten. Surreale Szenen im Regen bei Schneematsch. Einige Akrobaten in den Bäumen, die fallen werden. Polizeiarmee, darunter berittene Kräfte, gegen Demonstranten, meist Leute wie du und ich. Wer vom "harten Kern" faselt, soll es tun. Ahnungslosigkeit, Dummheit und Bösartigkeit liegen oft dicht beeinander. Um sieben ging ich, eskortiert von zwei (freundlichen) Polizistinnen, über die Ferdinand-Leitner-Brücke Richtung Staatstheater. Meine Frage, warum ich Begleitschutz bräuchte, beantwortete mir ein dritter Polizist: Man müsse darauf achten, dass die Brücke nicht überlastet werde. Ich schätze, die Balance in dieser Stadt ist zerstört, siehe unten. SOUNDTRACK DES TAGES Die aktuelle StN-Kolumne: DER KOMIKER Der Winter schneite lustlos vor sich hin, vielleicht war es sein letzter Auftritt in dieser Saison, und ich hatte keine Lust, länger durch den Matsch zu stapfen. Ich ging zum Bahnhofsturm und fuhr in den achten Stock. Mehr als fünfzig Meter über der Stadt kommt man in der Bar Bonatz an. Es ist keine richtige Bar, dazu hat sie der Designer zu üppig, ohne Auge für die Wirkung der Schlichtheit ausgestattet. Immerhin, das ist ein feiner Zug, trägt das Lokal den Namen des Bahnhof-Baumeisters, dessen wichtigstes Werk man gerade verstümmelt. Eines Tages, wenn das Geschichtsbewusstsein der Zukunftspolitiker und ihrer Fortschrittsmanager aus der Immobilienbranche Früchte trägt, wird man sagen: Bonatz, das war doch diese Kneipe im Bahnhofsturm, als der Bahnhof der Zukunft und dem Fortschritt im Wege stand. Stuttgarts Planer hatten in der jüngeren Vergangenheit selten Sinn für die Einzigartigkeiten der Stadt. Bis vor kurzem, als das Turm-Lokal noch nicht Bonatz hieß, führte der schöne Aussichtsplatz hoch über dem Schlossgarten ein lausiges Dasein. Auch als vor Jahren das Kunstmuseum auf dem Schlossplatz gebaut wurde, fehlte den Gestaltern das Gespür für das große Stuttgart-Spiel, den topografischen Zauber von Oben und Unten. Nur einem Zufall ist es zu verdanken, dass im Museumswürfel am Ende doch noch ein Restaurant mit guter Aussicht Platz gefunden hat. Als ich in der Bonatz-Bar stand, ärgerte ich mich, weil ich meinen Klapprechner Fink nicht bei mir hatte. Am Fenster öffnet sich einem der Kessel, man müsste die Geschichten aus den Abgründen der Stadt nur noch in Fink hineintippen. Vielleicht die Geschichte vom Immobilen-Deal der LBBW-Bank. 21 500 Wohnungen hat sie für 1,5 Milliarden Euro an die Augsburger Immobilienfirma Patrizia AG verkauft. Die Landesbank musste Besitz abstoßen, weil ihre Berufsspieler zu viel Geld verzockt hatten. Dass ein städtisches Konsortium mit einem etwas schwächeren Angebot scheitert, dass man die Wohnungen der Bürger und womöglich den sozialen Frieden dem deregulierten Markt opfert, überrascht mich nicht. Grün & Rot, unter Führung von Schmiedel & Schmid, profilieren sich als beste CDU, die es je gab. Unbezahlbar jedoch die Reaktion des CDU-Finanzbürgermeisters Föll. Über Föll ist nicht viel bekannt, er kommt daher wie ein subalterner Beamter, und sein Privatleben schützt er besser als jeder Agent. Erst nach dem Patrizier-Deal wurde mir klar, warum Föll in Wahrheit ein Komiker ist. Kaum hatte die Bank ihre Wohnungen, angeblich meistbietend, verscherbelt, sprach er einen Satz, der in die Zitatenbibel großer Ironie gehört: „Heute“, sagte er, „heute hat das Geld über die Vernunft gesiegt.“ Bitte lassen Sie sich diese Worte auf der Zunge zergehen, sie sind, wie wir es sonst nur von Frauen im Fasching kennen, zu wahr, um nicht schön zu sein. Noch einmal: Das Geld siegt über die Vernunft! Das ist neu. Auf diese Idee käme kein Mensch, seit Föll & Konsorten gegen alle Verlockungen des Geldes das Milliardending S 21 durchziehen. Wie kein anderes Bauloch steht demnach S 21 für Vernunft und Verstand. Wie kommt mitten in diesem durch und durch humanistisch gesteuerten Plattmacherprozess ausgerechnet eine Bank dazu, Profit über Ratio zu erheben? Erst dachte ich, da war der Teufel im Spiel. Dann aber war es nur einer von der FDP. Die Schlusspointe der Liaison zwischen Bankern und Patriziern lieferte gar nicht Herr Föll (der gern mal schwülstige Verse von Hermann Hesse zitiert). Es war der in Liebesdiensten erfahrenere Herr Döring, Walter. In guter liberaler Tradition dient er den Augsburgern nämlich als Lobbyist. Vor den Umtrieben des 2004 wegen einer Spendenaffäre zurückgetretenen Wirtschaftsminister hatte erst unlängst der Deutsche Mieterbund gewarnt: „Als Minister hat Herr Döring den Mietwohnungsbau im Lande zum Erliegen gebracht. Jetzt will er noch die in direktem Landesbesitz verbliebenen Mietwohnungen privatisieren.“ Döring, wegen Falschaussage vorbestraft, gelang dank seiner guten Kontakte zu den alten Seilschaften eine späte Karriere. Noch in Ministerwürden, hatte er sich um die verdorbenen Fischbrötchen einer befreundeten Wasen-Wirtin oder die Solarium-Eröffnung einer Verwandten kümmern müssen. Da war es noch nicht das Geld, das die Vernunft besiegte. Da war es Kleingeld. Es lebe der Fortschritt. KOMMENTARE SCHREIBEN IM LESERSALON DIE STN-KOLUMNEN FRIENDLY FIRE: NACHDENKSEITEN FlUEGEL TV RAILOMOTIVE EDITION TIAMAT BERLIN Bittermanns Fußball-Kolumne Blutgrätsche VINCENT KLINK KESSEL.TV GLANZ & ELEND |
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