Bauers DepeschenDienstag, 24. Januar 2012, 853. DepescheNÄCHSTER FLANEURSALON ... ... am Dienstag, 28. Februar (20 Uhr), im Schlesinger - mit Stefan Hiss, Dacia Bridges, Toba Borke & Pheel. Karten nur im Lokal. Telefon: 07 11/29 65 15. SOUNDTRACK DES TAGES Di StN-Kolumne von diesem Dienstag: DSCHUNGELCAMP Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich das Leben nach Fernseh- und Internetbildern beurteilen oder meinen Beobachtungen in der Realität trauen soll. Man weiß nicht, wer wen imitiert. „Dschungelcamp“ das Leben oder umgekehrt. Von Mafiosi ist bekannt, dass sie erst nach Coppolas Filmen aussahen wie Al Pacino in „Der Pate“. Auf Platz eins der Rangliste angesehener Berufe rangiert nicht nur bei uns der Feuerwehrmann, obwohl die großartige TV-Serie „Rescue me“ mit erstaunlichen Quoten sogar die September-Helden des New York City Fire Department als rassistische, suchtkranke Psychopathen zerlegte. Auf dem zweitletzten Platz der Jobtabelle findet man unter 30 Kandidaten die Werbung. Ein Metier, dessen Moral uns eine andere starke TV-Serie, „Mad Men“, näher gebracht hat; sie lehrt uns, dass gerösteter giftiger Tabak nicht mehr als gerösteter giftiger Tabak gilt, sobald ihn uns der Werber als „toasted“ unterjubelt. Schlechter als der Werber wird nur der Versicherungsvertreter bewertet (während die Journalisten-Brut auf Rang 19 landet). Ziemlich dumm wäre, die Chancen des ehemaligen Berliner Werbeunternehmers Sebastian Turner, 45, als CDU-Kandidat bei der Stuttgarter OB-Wahl mithilfe der Sympathie-Charts zu beurteilen. Das Wort Werbefuzzi geht einem zwar so leicht über die Lippen wie Presse- oder Versicherungsfritze. Herr Turner jedoch hat sich nie mit Fuzzi-Belangen herumgeschlagen. In der Branche gilt er als eisenharter Stratege und Kopfmensch, ein Unternehmer, der schnell merkt, wer Freund und Feind ist. Ihn auf seine Vita-Eintragung als Schöpfer folkloristischer Floskeln wie „Wir können alles. Außer Hochdeutsch.“ zu reduzieren, wäre für die Gegner mehr als fahrlässig. Anders als gewisse Würdenträger von Merkels Gnaden ist T. mit seiner Bildung, seiner Abgeklärtheit und seinem Selbstbewusstsein nicht als Meister Propper an den Rändern des Schmuddels zu Hause, sondern im Zentrum der Macht vernetzt. Bekanntlich hat er sich aus seiner Berliner Top-Agentur Scholz & Friends zurückgezogen. Er sucht eine neue Aufgabe. Sein früherer Scholz & Friends-Partner Thomas Heilmann, 50, hat die Politik-Nummer in der CDU-Arena bereits vorgemacht. Neulich wurde er als Berliner Justizsenator vorgestellt. Als machtpolitische Herausforderung ist dieser Job nur halb so erregend wie die OB-Kandidatur als parteiloser CDU-Star. Zum Berliner Senator wird man am Feierabend ernannt. Um den Stuttgarter Rathaus-Stuhl muss man zwischen den S-21-Fronten kämpfen. Heilmann ist als Vorturner erwähnenswert, weil Turners Partei-Pate, der CDUler Kaufmann, auf das Trittbrett aufgesprungen ist. Man sollte ihm nicht ähnlichen strategischen Scharfsinn unterstellen wie dem äußerlich unscheinbaren Berliner. Kaufmanns Propaganda-Talent reduzierte sich zuletzt auf die Verlosung von 200 Freikarten für das „Stuttgarter Elektronik Musik Festival“ (SEMF) via Facebook. Einmal sah ich ihn als Redner auf Merkels Wahlkampf-Show. Verglichen mit seiner Rhetorik hätte mich beinahe die Kaufhausmusik der abgehalfterten Cover-Band geweckt. Der Plan, einen auch finanziell erfolgreichen Ex-Werber als OB-Kandidaten aufzustellen, ist konsequent: Auch die Kommunalpolitik der etablierten Parteien folgt nur noch den Inszenierungen der Marketingmanager. Nebenbei dient es dem bis zum Erbrechen bemühten Synergie-Effekt, wenn die Hintermänner des Täuschungsmanövers namens Wahlkampagne die Kandidatenrolle selbst übernehmen, bevor es Dilettanten der Kundschaft vermasseln. Heute, da Politiker pausenlos von „Marke“, „Standort“ und „Positionierungen“ faseln, ist ein mit allen Wassern gewaschener Verkaufsstratege genau richtig, Sprechblasen und Worthülsen als lebende Werbefigur selbst zu verkörpern. Wer jedoch glaubt, statt Turner könne man auch den Marlboro-Mann in den Wahlkampf schicken, hat nicht nur vergessen, dass der Marlboro-Mann an Krebs gestorben ist. Hinter der CDU-Offensive stehen Profis. Es wird eine Superman-Show mit Biedermann-Gesicht. Um ihr zu trotzen, müssen die Gegner mit reichlich Fantasie den Rauch reinlassen. Ab zur Klausur ins Stuttgarter Dschungelcamp. KOMMENTARE SCHREIBEN IM LESERSALON DIE STN-KOLUMNEN FRIENDLY FIRE: NACHDENKSEITEN FlUEGEL TV RAILOMOTIVE EDITION TIAMAT BERLIN Bittermanns Fußball-Kolumne Blutgrätsche VINCENT KLINK KESSEL.TV GLANZ & ELEND |
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