Bauers DepeschenMittwoch, 27. Mai 2009, 331. DepescheBETR.: SEIFE Neulich habe ich die Show „Soap“ im Berliner Varieté Chamäleon besucht, und das erinnert mich an eine Geschichte: MEIN ONKEL AUS AMERIKA Es war ein weißer Borgward, in dem Onkel Heinrich immer vorgefahren ist, ich glaube jedenfalls, dass es ein weißer Borgward war. Ein Borgward war das Größte, man hätte ihn nicht in den Bankrott fahren lassen dürfen. Ich meine nicht Onkel Heinrich, ich meine den Borgward. Onkel Heinrich hat in Seifen und Haarwaschmittel gemacht, er besaß Unmengen von Seifen und Haarwaschmitteln, die man später Shampoos nannte. Heute braucht man keine Seifen und Haarwaschmittel mehr. Es gibt Hair & Body. Eines Tages war Onkel Heinrich samt Borgward weg. Zurückgelassen, so hieß es, habe er lediglich einen Restposten Seife, die nach Fichtennadel roch, womöglich auch nach Kamille, woher soll ich das wissen, meine Nase war noch nicht ausgebildet. Als der Borgward vergessen war und die Männer Opel Rekord fuhren, kam eine Nachricht von Onkel Heinrich. Nicht direkt an mich, ich konnte noch nicht lesen, nur endlich riechen. Bis heute behaupte ich, es wäre mit Deutschland steiler aufwärts gegangen, hätten die Leute statt Opel Rekord Seife und Haarwaschmittel gekauft. Es hätte weniger Missverständnisse gegeben, bessere Freundschaften und weniger Konflikte in Straßenbahnen und Badeanstalten. Onkel Heinrich schickte ein Foto, man sah ihn in einem Auto sitzen. Das Auto hatte rote Ledersitze und kein Dach, es war so lang wie vier Borgwards. Es hieß, Onkel Heinrich lasse sich nicht mehr mit Onkel Heinrich ansprechen, sondern mit Sir Henry. Andererseits hatte kein Mensch Onkel Heinrich jemals mit Onkel Heinrich angesprochen. Er war Onkel Heini. Onkel Heini, erzählte man, sei weiterhin im Seifengeschäft, er habe es in Amerika mit Seifenopern zu etwas gebracht. Ich wusste nicht, was Seifenopern waren, war mir aber sicher, dass es mit Seifenblasen zu tun hatte. Seifenblasen kannte ich; es gab Tage, da traf man kein Kind ohne ein Röhrchen Seifenblasen auf der Straße. Ich nahm an, dass alle Seifenblasen Onkel Heini verkaufte. Vermutlich gab es in Amerika Seifenblasen, die schöner und größer waren als Onkel Heinis Rotes-Leder-Auto ohne Dach. Eines Tages meldete sich Onkel Heini, der jetzt Sir Henry hieß, persönlich. Er rief im Wirtshaus Adler an und richtete aus, man könne sich jederzeit bei ihm melden, sofern es im Dorf ein Postamt gebe. Das bedeutete, Onkel Heini hatte es mit seinen Seifen zu einem Telefon gebracht. Schorsch, der Wirt vom Adler, brachte Onkel Heinis Telefonnummer auf einem Zettel bei uns vorbei. Von da an hing sie über dem Schlüsselbrett. Ich konnte zwar keine Zahlen lesen, aber der Chef vom Postamt, dachte ich, könnte das hinkriegen. Ich ging in unser Kolonialwarengeschäft, das Herrn Sommerbesen gehörte, und klaute sechs Röhrchen Seifenblasen. Die verkaufte ich anderntags Blödi, dem Sohn des Kolonialwarenhändlers Sommerbesen. Dann nahm ich den Zettel über dem Schlüsselbrett von der Wand und ging mit meinem Geld zum Postamt. Ich schob meinen Zettel durch den Schalter zu Herrn Koslowski, dem Postbeamten, und sagte, ich müsse dringend Onkel Heini in Amerika anrufen, da ich vorhabe, ins Seifenblasengeschäft einzusteigen, weil ich zwei, drei Autos mit roten Ledersitzen und ohne Dach bräuchte. Herr Koslowski wählte eine halbe Stunde lang Onkel Heinis Nummer. Dazu brüllte er wie ein Wahnsinniger: „Tschermanie, Tschermanie“. Sir Henry alias Onkel Heini hat sich nie mehr gemeldet. Es hat ihn in Wahrheit auch nie gegeben. Das Seifengeschäft jedoch brummt noch immer, und ich schätze, es hat mein Leben entscheidend beeinflusst. P. S.: Viele glauben, der Begriff „Soap Opera“ leite sich von der Glitschigkeit der Seife, von der Schmiere ab. Das ist Unsinn. Die Seifenoper heißt so, seit in den Anfängen des 20. Jahrhunderts vorwiegend Seifenindustrielle das amerikanische Showgeschäft gesponstert haben. REKLAME: DIE ENTDECKUNG DES NECKARS (Es gibt noch Karten) Joe Bauers Flaneursalon im Fluss - die Lieder- und Geschichtenshow am Donnerstag, 25. Juni 2009, erstmals auf dem fahrenden Neckar-Käpt'n-Schiff "Wilhelma". 230 Passagiere haben Platz. Bordbegehung an der Anlegestelle gegenüber der Wilhelma ab 18.30 Uhr. Die Fahrt dauert ca. drei Stunden. Das Schiff ist bewirtet. Buntes Neckarwellen-Programm mit vorgelesenen Geschichten und musikalischen Weisen von Los Santos (Stefan Hiss), Michael Gaedt, Dacia Bridges und Anja Binder. (Siehe Depesche vom 29. 4.) Karten: T: 0711 / 2 555 555 und www.easyticket.de Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten: www.stuttgarter-nachrichten.de/joebauer „Kontakt“ |
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