Bauers Depeschen


Dienstag, 22. Januar 2013, 1045. Depesche

IM MAI IN DER RAMPE:

DIE FLANEURSALON-FAMILIENSAGA

Für Freitag, 17. Mai, ist die Flaneursalon-Familiensaga im Theater Rampe geplant: Roland Baisch tritt mit seinem Sohn Sam Baisch auf, Zam Helga mit seiner Tochter Ella Estrella Tischa. Dazu haben wir den Rapper Toba Borke und seinen Beatboxer Pheel im Programm. Talkin' 'bout my generation ... Am Samstag, 6. Juli, sind wir beim großen Flaneursalon-Hafen-Picknick am Neckarufer - mit Yasmine Tourist u. v. a.



DER FLANEURSALON am 19. Februar im SCHLESINGER ist ausverkauft.



SIGNIERTE BÜCHER BEI RATZER

Die Berliner Edition Tiamat hat eine kleine Nachauflage meines Buchs "Im Kessel brummt der Bürger King - Spazieren und über Zäune gehen in Stuttgart" herausgebracht. Ab heute gibt es auch wieder signierte Bücher im Plattencafé Ratzer Records am Leonhardsplatz.



SOUNDTRACK DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



WEG MIT DEN WURZELN

Der Januar geht zu Ende, und mir scheint, es wird ein gutes Jahr für mich. Als der kalte Regen die Straßen und Gehwege in Eis­bahnen verwandelte, ging ich wie immer am Sonntagmorgen in Turnschuhen hinaus, um der Realität des Lebens davonzulaufen. Eine halbe Stunde lang hielt ich mich aufrecht, torkelte an parkenden Autos entlang, ehe mich Gott zu einem respektvolleren Umgang mit der Natur ermahnte. Er zog mir die Füße weg, der Aufprall war arschhart, und der Himmel über mir öffnete sich in all seiner grauen Pracht.

Diese Sache wäre keine Notiz wert, hätte ich nach meinem Ausflug ins beinahe ­ewige Eis nicht im Kino gesehen, dass nicht alle Männer wieder aufstehen, die am Boden sind. In Quentin ­Tarantinos „Django Unchained“ bleiben einige mit stattlichen Einschuss­löchern liegen. Im Kampf gegen die Sklaverei glänzt Django als bewundernswert kreativer Mann auf dem Gebiet der Vernichtungstechnik.

Die Männer in diesem Film reiten auch mal durch eine Winterlandschaft, wie Jean-Louis Trintignant und Klaus Kinski in Sergio Corbuccis „Leichen pflastern seinen Weg“, aber sie sind nicht so dumm wie ich. Sie tragen Stiefel. Keine Turnschuhe.

Django hat im Film gelegentlich eine Sonnenbrille auf der Nase, die dunklen Gläser des Superstars, und ich erinnerte mich, wie ich vor nicht langer Zeit bei einem Sommerlauf meine Sonnenbrille zerstörte. Den Sturz damals schob ich auf eine Wurzel im Asphalt. Seltsamerweise war die Wurzel am nächsten Sonntag nicht mehr zu sehen.

Filmeschauen verändert den Blick auf das Leben. Nach einem Kinobesuch sieht man die Dinge mit schärferen Augen. Vom Winde verweht, trieb es mich durch die Stadt mit ihrem zuletzt bis zur „New York Times“ vorgedrungenen Südstaaten-Dialekt und ihren weithin unbeliebten Spätzle-Terroristen. Nach Süden ging ich, hinein in den ­Imbissfettgestank der Marienstraße, wo früher die Schuhschachtel-Kinos namens Kali waren und es heute einen großen ­Bedarf an großen Mülleimern gibt.

Der neue Oberbürgermeister Kuhn hat gleich nach seinem Amtsantritt mit seinem in Berlin geschärften Weitblick erkannt: Wir brauchen größere Mülleimer und Papierkörbe in der Stadt. Damit nimmt er die weltläufige Let’s-putz-Idee seines Vorgängers wieder auf. Vor allem größere Papier­körbe fehlen. Die Leute müssen dort ihre Mietverträge hinein­werfen, wenn sie demnächst nichts mehr wert sind. Überall im Land ist vom „Mietwahnsinn“ zu lesen, sogar vom „neuen Häuserkampf“. Der Anteil von Luxuswohnungen wächst auch in Stuttgart dramatisch, und viele Menschen haben Angst, ihre Wohnungen zu verlieren. Der neue Oberbürgermeister aber entdeckt erst mal „Handlungsbedarf“ auf dem Mülleimergrößensektor. Dieses Problem ist so wichtig wie der vom Kollegen Minister­präsident ermittelte Bier- und Schnaps­verzehr auf öffentlichen Plätzen. Bei gutem grünem Zusammenspiel werden die entsorgten Alkohol­leichen optimal in die neuen Mülleimer passen.

Ich ging weiter in die Sophienstraße. An einer Hauswand auf der Riesenbaustelle mit dem irreführenden Namen „Das Gerber“ liest man die Propaganda: „Hier wächst das Gerber in die Höhe. Und Stuttgart weiter zusammen.“ Die Marketing­-Fritzen teilen mit: „Ein Ort zum Einkaufen. Zum Arbeiten. Zum Genießen. Zum Leben. Ein Ort, der Stuttgart verbindet. Und uns noch ­näher zusammenbringt.“

Wahr ist, dass die Einheitsbunker der Shopping Malls Müll produzieren und das Stadtbild und das Zusammenleben zerstören. Schuld daran haben die politischen Sklaven der Immobilien-Investoren. Von Containern zugestellt, wartet an der Sophien­straße die Auferstehungskirche der evangelisch-methodistischen Gemeinde auf ihren (genehmigten) Abriss. Das Gotteshaus von 1879 wurde im Krieg zerbombt, steht nach dem Wiederaufbau nicht unter Denkmalschutz und wird seit zwei Jahren nicht mehr genutzt. Der Stuttgarter Unternehmer Peter Seydelmann, ein vermögender Denkmalschützer aus Passion, spricht sich gegen den Abriss aus. Er sieht die Kirche als städte­bauliches Charaktermerkmal des Viertels, verweist auf die Handwerkskunst des Baus: den Glockenturm, die Bleiverglasungen. Es gibt Beispiele in anderen Städten, wo leer stehende Kirchen für die Kultur genutzt werden, auch für junge Kultur.

Bei uns widmen sich die neuen Stars der Stadt der Mülleimerkultur. Stadt­geschichte wird platt gemacht. Wurzeln stören nur. Das bisschen Straßendreck putzt man mit populistischem Getue weg, um vom wahren Schmutz der Stadt abzulenken.



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