Bauers DepeschenDienstag, 05. Juli 2011, 751. DepescheNACHTRAG, PASOLINI Der Abend am Mittwoch zu Ehren des 1975 ermordeten italienischen Filmemachers und Schriftstellers Pier Paolo Pasolini war eine schöne Sache. Auf dem Staatsschauspiel-Gelände Türlenstraße wurde zunächst eine dokumentarische Ausstellung in der Galerie Waschstraße eröffnet, danach las ich mit der italienischen Schauspielerin Laura Conte Pasolini-Texte im benachbarten 451 Filmtheater. Jörg Bochow, der Chefdramaturg des Stuttgarter Schauspiels, hatte die Texte zusammengestellt. Ehrengast des Abend war der jüdische Foto- und Filmkünstler Gideon Bachmann. Er wurde 1927 in Heilbronn geboren, er wanderte mit seinen Eltern nach Palästina aus, nach dem Krieg landete er in New York, wo er sich als Lastwagenfaher und Radio-Autor durchschlug. Später lebte er 40 Jahre lang in Rom, war Vertrauter von Fellini, den er in den USA kennengelernt hatte, und von Pasolini. Heute lebt und unterrichtet er in Karlsruhe. Am Mittwoch hielt er eine kurze Rede: Ich hatte ein aufregendes Leben, sagte er, aber ich kann nichts dafür, ich hatte es mir anders vorgestellt ... was passiert ist, ist passiert ... mein einziger Verdienst ist es, überlebt zu haben ... BAD BERG VOR DEM AUS - ein Stuttgart-Skandal Dazu DIE AKTUELLE STN-KOLUMNE - bitte anklicken. Diesmal geht es um was! Im Café Galao, Tübinger Straße 90, wird an diesem Donnerstag, 7. Juli, ein neuer Text- und Fotoband von Klaus Teichmann und Dominik Thewes über das Bad Berg vorgestellt ... u. a. liest unsereiner was aus seinen Beständen. Beginn (angeblich) 20 Uhr. Eine Kolumne, die unterging: WENN DER REGEN FÄLLT Der Regen tropft von meinem Hut, er riecht ungewaschen und vermischt sich mit dem Imbissdunst der Straße. Manchmal regnet es einen Sommer lang, bis sich keiner mehr daran erinnert, wie alles angefangen hat. Im Himmel singt Dalida: "Am Tag, als der Regen kam / Lang ersehnt, heiß erfleht / Da erblühten die Bäume / Da erwachten die Träume / Da kamst du . . ." Oft herrscht Zorn auf den Regen, als wäre er ein Wutregen. Ausgerechnet der Regen. Läppisch, wie sich Schönwetterfußballer und Warmduscher benehmen, wenn es sie kalt erwischt. Als hätten sie nie gehört, wie die Dinge laufen: Der Mensch plumpst feucht ins Leben, und wenn er groß ist und ein Herz hat, tanzt er im Regen wie Gene Kelly in Paris und taucht wie eine reife Dame im Bad Berg. Es ist mir eine Ehre, an schlechten Tagen den Wolken meine Krempe zu bieten, und ich hoffe, sie sind mir nicht böse, wenn ihre Perlen auch mal auf meiner Glatze landen. Eine Wolke, habe ich gelesen, muss sich zehnmal neu bilden, bevor sie einen Tropfen Regen spendet. Würden sich die politischen Wettermacher halb so oft bilden, bevor der Speichel fließt, könnte es nicht so viele dumme Sprüche hageln. Das Festival Jazz Open hat begonnen, in der Stadt spielen Musikanten, und in den Biergärten schauen die Menschen Frauenfußball. Der Regen ist nicht der Freund der Open-Air-Events. Ist aber der Sound der City gut und der Damenpass tödlich, umweht der Wind von Woodstock die Nasen. Die Enkel skandieren im Geiste der Alten "No rain!", und von Rängen schwappt die perfekte Dauerwelle. Gott schütze uns. Womöglich hätte die deutsche Musik bis heute keinen guten Rock'n'Roll-Song hervorgebracht, wäre dem großen Drafi Deutscher nicht in einer feuchten Bar zwischen Marmor, Stein und Eisen die Erleuchtung gekommen: "Weine nicht, wenn der Regen fällt...Dam Dam! Dam Dam!" Und wenn am Morgen Regenfluten die Straßen des Talkessels hinunterstürzen, bevor sich das Wasser friedlich in des bösen Nachbarn Keller sammelt, höre ich von Ferne das wunderbare Lied der Fantastischen Vier: "Ein Tag am Meer". Ohne Regen wären wir nichts. Der Regen steht für Fruchtbarkeit, und geschieht, wider die Symbolik und frei nach Raymond Chandler, ein "Mord im Regen", dann dämpft der Regen die Schüsse und die Schreie. Es gibt viele Verbrechen in der Stadt. Schleierwolken verhüllen den Kessel, bevor der Geldregen kommt. Ich gehe ans Fenster, als sich hinter den Schlieren der Vorhang öffnet: Im Garten vor dem Haus radelt Paul Newman im Kreis, Katharine Ross, eben erst Robert Redfords Bett entstiegen, reitet auf dem Velo-Lenker, und aus den Wolken über dem Westen singt B. J. Thomas die schönste Duschkopf-Lyrik aller Zeiten: "Rain Drops Keep Falling On My Head". Kaum ist diese für die Ewigkeit gedrehte Szene aus "Butch Cassidy und Sundance Kid" zu Ende, gehe ich ans Plattenregal, damit Jimi Henrix singt, als flüsterte der Sommerwind: "Rainy day, dream away / Ah, let the sun take a holiday . . ." Ach, schick die Sonne in Ferien. Das ist gut. Auch die Festplätze, erotische Kontakthöfe wie der Fischmarkt auf dem Karlsplatz, wären nichts wert, triebe die Angst vor dem Starkregen die Menschen nicht ineinander wie Schafe. Starkregen, lese ich im Lexikon, verursache ein "plötzliches Anschwellen" (der Flüsse) und führe zu "Erosionen" (des Bodens). Auf diese Weise erklärt sich Mörikes unheilvolle Sehnsucht bei schlechtem Wetter. Wohl unter starkem Druck hat er die erste Strophe seines Gedichts "Der Jäger" zu Papier gebracht: "Drei Tage Regen fort und fort / Kein Sonnenschein zur Stunde / Drei Tage lang kein gutes Wort / Aus meiner Liebsten Munde!" Da glaubt man gar, mit nassen Füßen die Beatles zu verstehen: "Wenn der Regen kommt, ziehen sie ihre Köpfe ein, genauso gut könnten sie tot sein", singt John Lennon in "Rain". Tot aber bin ich nicht, solange ich spüre, wie der Regen den Rücken hinab in die Hose und in die Kimme fließt. Die Stiefel halten etwas aus, ich lausche John Fogerty, wie er die wichtigste aller Fragen anstimmt: "Who'll Stop The Rain"? Keiner weiß, wer den großen Wasserwerfer stoppen wird. Es pisst bedrohlich in der Stadt. Im Bad Berg hat der Angriff der Beton-Krokodile begonnen. Am Neckar spucken die Piraten gegen den Wind. SOUNDTRACK DES TAGES KOMMENTARE SCHREIBEN: LESERSALON DIE STN-KOLUMNEN NOTIZ Ich mache darauf aufmerksam, dass die Zeitungsredakteure heute und morgen, Mittwoch, wieder streiken (siehe Depesche vom 28. 6.) NÄCHSTER FLANEURSALON Ich darf einen speziellen Abend in der Reihe unserer Lieder- und Geschichtenshow ankündigen. Am Mittwoch, 28. September, machen wir in den Rosenau einen Abend mit vergleichsweise kleiner Besetzung, einen intimen Flaneursalon mit dem Songschreiber/Sänger/Saitenvirtuosen/Fußtrommler Zam Helga und der amerikanischen Sängerin Dacia Bridges. Könnte eine schöne Sache werden, eine familiäre Show mit pointierten leisen Tönen. Der Vorverkauf ist eröffnet: ROSENAU KICKERS-SHOW Fußball, Männer: Zum dritten Mal steigt „Hurra, wir kicken noch!“, die Unterstützer-Show für die Fans der Stuttgarter Kickers. Der Abend geht am Samstag, 6. August - am ersten Spieltag in der Regionalliga - im Stuttgarter Theaterhaus über die Bühne. 20 Uhr. Wir haben gute und vor allem hilfsbereite Künstler am Start; Stefan Kiss vom SWR-Fernsehen moderiert (unsereins organisiert und arrangiert). Alle spielen umsonst, der Einritt kostet zehn Euro – nur wenig mehr als eine Stehplatzkarte auf der Waldau. Der Vorverkauf ist bereits eröffnet. Siehe TERMINE und THEATERHAUS FRIENDLY FIRE: NACHDENKSEITEN FlUEGEL TV VINCENT KLINK RAILOMOTIVE UNSERE STADT KESSEL.TV GLANZ & ELEND EDITION TIAMAT BERLIN (Hier gibt es mein Buch "Schwaben, Schwafler Ehrenmänner - Spazieren und vor die Hunde gehen in Stuttgart") Fußball-Kolumne Blutgrätsche |
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