Bauers DepeschenSamstag, 24. April 2010, 489. DepescheAKTUELLES Da meine heutige StN-Kolumne zum Thema Stuttgart 21 nicht online steht, kann sie der geneigte Kunde in meinem eigenen Kramladen lesen: KANNIBALISCHE NOTSCHLACHTUNG Heute, am 24. April 2010, wo es im Park nach Frühling riecht, findet eine große Demonstration gegen Stuttgart 21 statt. Das Programm zur „Protestveranstaltung“, wie das Aktion im Schlossgarten heißt, hat einer der Initiatoren, Gangolf Stocker, unter dem Betreff „S 21-Widerstand“ verschickt. Widerstand ist ein großes Wort. Der Widerstand in diesem Land hat eine Geschichte. Es ist nicht möglich, dieses Wort zu verwenden, ohne sich seiner Dimension in der Vergangenheit bewusst zu sein. Mit Blick auf Stuttgart 21 klingt es – selbst beim Gedanken an Menschen, die sich im Park an Bäume ketten – anmaßend und pathetisch. Historisch gesehen wäre es im Fall Stuttgart 21 vergleichsweise einfach, „im Widerstand“ zu sein. Man bedient sich, wo man kann. Neulich schrieb Herr Helmut Bauch zum Thema S 21 an die Redaktion: „Wessen Geistes Kind die Gegner sind“, hätten sie bei der Attacke auf die neue Werbeagentur von Stuttgart 21 bewiesen. Das Firmenschild wurde zerstört, und Herr Bauch kennt die Schuldigen: „Geistiger Brandstifter“ sei auch der Schreiber dieser Zeilen. Der Begriff „geistiger Brandstifter“, deshalb erwähne ich den Brief, ist von der jüngeren deutschen Vergangenheit belegt. Man hat ihn vorzugsweise in den Terrorjahren der RAF gebraucht. Die Chancen auf eine fruchtbare Diskussion über Städtebau und Stadtentwicklung zwischen Politikern und Restbevölkerung, Gegnern und Befürwortern, wie man sie zurzeit in Hamburg oder in Berlin-Tempelhof erlebt, wurde schon lange vertan. Der Architekt Max Bächer (er war 30 Jahre lang Ordinarius für Entwerfen und Raumgestaltung an der TU Darmstadt und einer der wichtigsten Architektur-Juroren) schreibt in der „Frankfurter Rundschau“: „... die Tausende, die da draußen stehen, protestieren nicht als linke Störer gegen Fortschritt und Zukunft, sondern gegen die Abschaffung von Erinnerung, Geschichte und Heimat. Die charakteristischen Merkmale stehen oft nur noch auf dem Papier und werden kaum mehr wahrgenommen. Ihre Spuren vergehen immer schneller und damit auch Interesse und Verständnis für deren Herkunft und Bedeutung. Wir sehen keine Räume mehr, sondern nur noch digitalisierte Flachbilder, weshalb sich manche - auch Architekten - fragen, was denn an der kannibalischen Notschlachtung der beiden Flügel des Bahnhofs so schlimm sei. Die zahlreichen Modelle in der Monsterschau "Stuttgart 21" geben darauf keine Antwort, weil Größenverhältnisse und Maßstäbe fehlen und räumliches Vorstellungsvermögen nicht vorausgesetzt werden kann. Dem kastrierten Bahnhof würde ohne die Flügel eine Wand als unverzichtbare Abgrenzung und Einbindung in die Umgebung fehlen, sein Torso wie eine Kreuzung aus Kirche und Ordensburg haltlos herumstehen.“ Was Bächer Kastration nennt, gilt amerikanischen Kritikern als „Fassadism“, als Methode, Fassaden ohne sichtbare historische Bezüge stehen zu lassen. Diese rüde Strategie reicht weiter, als man denkt. Neulich habe ich berichtet, wie mir eine Dame aus dem Modellbausatz für 7 Euro 95 vom Kiosk den Hauptbahnhof bastelt. Danach meldeten sich Väter, sie wollten ihren Kindern den Bahnhof als Papp-Denkmal bauen. Jetzt ist mein Bahnhof fertig, und ich bin am Boden: Am Südflügel fehlen zwei Drittel der Bonatz-Architektur, am Nordflügel hat man den hinteren Teil weggelassen. Unser Leser Wolf-Andreas Richter hat dies früh bemerkt, er schreibt: „So viel subversive Energie hätte ich den S 21-Pappnasen gar nicht zugetraut.“ Der Bausatz wurde „mit freundlicher Unterstützung“ der Deutschen Bahn produziert, und die Botschaft ist klar: Nicht einmal vor Kinderzimmern macht der kulturelle Kannibalismus halt. KOMMENTAR SCHREIBEN E-Mail- „Kontakt“ UND DIESE DREI DINGE: 1.) Wir sind am Boden: Joe Bauers Flaneursalon am Mittwoch, 28. April, mit Stefan Hiss, Michael Gaedt, Dacia Bridges & Alex Scholpp in der ROSENAU. Beginn: 20 Uhr. Es gibt noch Karten - allerdings nur noch wenige. 2.) Wir gehen ins Wasser: Neckar-Ausflug am 17. Juni mit Los Santos, Roland Baisch, Dacia Bridges... Der Vorverkauf läuft bereits. FLANEURSALON IM FLUSS 3.) Ich fresse Gras: Nach dem jetzigen Stand findet am Samstag, 7. August, im Theaterhaus zum zweiten Mal die Unterstützer-Show für die Stuttgarter Kickers statt: "Hurra, wir kicken noch!". Bin am Anfang. Näheres demnächst. KOMMENTAR AMTLICHES JOE BAUER IN DER STADT - DIE STN-KOLUMNEN LESERSALON E-Mail- „Kontakt“ FRIENDLY FIRE: www.kessel.tv www.edition-tiamat.de (Hier gibt es mein aktuelles Buch "Schwaben, Schwafler Ehrenmänner - Spazieren und vor die Hunde gehen in Stuttgart") www.bittermann.edition-tiamat.de (mit der Fußball-Kolumne "Blutgrätsche") www.unsere-stadt.org |
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