Bauers Depeschen


Samstag, 02. Januar 2010, 420. Depesche



BETR.: NOCH EINE KURZE GESCHICHTE im Winter

(Von kommenden Dienstag an mache ich zwei Wochen orthopädisch verordnete Schreib- und Depeschenpause)



KALTER RAUCH



Es war einer dieser Sonntage, die nichts taugen. Als ich das Haus verließ, begann es zu dunkeln. Mit der Linie vier nach Osten. Nach Gaisburg, dachte ich, Gaisburg klingt gut. Als ich an der Haltestelle Gaisburg ausstieg, schneite es heftig. Ich konnte nichts sehen. Gaisburg war nicht da. Ich wechselte die Gleise. Sei vorsichtig, dachte ich, es gibt diese Tage, die in Gaisburg anfangen und in Gaisburg enden. Verschwinde, so lange du kannst.

Es war dunkel und nass in Gaisburg, ich zog mir die Kapuze meiner Jacke über und wartete auf die Bahn. Ich hatte Angst, sie könnte nicht kommen. Es gibt diese Tage, da kommt nicht einmal die Bahn bis Gaisburg. Als sie kam, traute ich mich nicht, auf dem schnellsten Weg nach Hause zu fahren. Ich machte Rast.

Am Stöckachplatz stieg ich aus. Zweimal umrundete ich den damals verwaisten Kiosk mit den eingebauten Klohäuschen, ich dachte an die vielen Männer, die hier einen Jägermeister tranken, bevor sie sich nach Gaisburg getraut haben, und ich schaute auf das alte Tanzrestaurant Gutshof, Hackstraße 1B. Der Gutshof ist verlassen wie sonntags der Kiosk. Der Stöckachplatz ist sonntags ein Geisterplatz.

Tausendmal bin ich in meinem Leben am Gutshof vorbeigefahren, hundertmal habe ich mir vorgenommen, ihn mir einmal von innen anzuschauen. Es wäre besser gewesen, als im Schnee nach Gaisburg zu fahren. Der Gutshof ist eine Ruine. Die Fenster sind eingeschlagen, die Wände mit den Plakaten schlechter Popgruppen vollgeklebt.

Im Gutshof gab es früher Tanztee, im Gutshof gab es Frauen, und in den Gutshof gingen Männer, wenn sie Durst hatten auf ein Herrendgedeck und Angst vor dem Morgen ohne eine Frau. Ich kenne Zeugen aus vielen Nächten, und wenn sie erzählen, wäre ich gern Gutsherr gewesen. Schon von weitem kann man sehen, dass im Gutshof die Musik gespielt hat. Man kann es auch hören, wenn der Wind weht. Der Gutshof verrottet wie bankrotter Adelsbesitz. Er sieht aus, als hätte man nach dem Vorbild einer Polonaise seine Mauern geformt, und er steht an der Straße, als käme bald der Glaser mit Scheiben, um einen Tango-Laden zu eröffnen. Dann könnten am Geisterplatz die Untoten tanzen.

Was für ein Entrée ist der abgewrackte Gutshof für die Hackstraße. Emil Molt hat ein Stück weiter oben seine berühmte Zigarettenfabrik Waldorf Astoria betrieben, bis 1927, dann wurde sie von Reemtsma geschluckt.

Herr Molt war Mitgründer der ersten Waldorfschule, 1919 wurde sie auf der Uhlandshöhe eröffnet. Er war sozial engagiert, seinen Arbeitern ging es gut, und seinen Tabakwaren lagen "Bunte Heftchen mit Lesestoff" bei. So startete er seine "Rauche Dich gebildet!"-Kampagne, für dieses Aktion korrespondierte er mit Hermann Hesse, Thomas Mann, Lion Feuchtwanger.

Heute ist das Rauchen verboten und die Bildung nicht besser geworden. Im Gutshof hätte das Leben ohne Rauchen nicht funktioniert. Wie hätte ein Mann nachts um drei eine Frau finden können, ohne ihr Feuer zu geben mit einem Dupont und sein letztes tailliertes Hemd für die Nacht.

Gut, dass ich an diesem Sonntag nicht in Gaisburg geblieben bin. Aus Neugier wäre ich fast durch die zerbrochenen Scheiben des Gutshofs gestiegen. Der kalte Rauch ist noch zu riechen, sonntags am Stöckachplatz.



Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten



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