Bauers DepeschenDienstag, 27. Oktober 2009, 395. DepescheBETR.: AGGRESSIVE VERKAUFS- UND VERANSTALTUNGSWERBUNG So viel Zeit muss sein: Die "Stuttgarter Zeitung" schreibt im Kulturteil ihrer Ausgabe vom Samstag, 24. Oktober: OBACHT VOR DAMEN MIT LIEGERECHT Geschichten: Joe Bauer hat ein neues Stuttgart-Buch geschrieben: "Schwaben, Schwafler, Ehrenmänner". In seinem Flaneursalon im Theaterhaus stellt er es nun vor - im Kreis seiner Freunde. Von Michael Werner Wenn man entfernte Bekannte beschenken will, die garantiert nie nach Stuttgart kommen, dann empfiehlt sich einer dieser fotografischen Prachtbände, in denen Stuttgart wie ein Museum aussieht und die Bewohner wie Besucher, die sich über freien Eintritt freuen. Wenn man aber gute Freunde hat, die erwägen, nach Stuttgart zu ziehen, dann könnte man ihnen als Entscheidungshilfe Joe Bauers neues Buch schenken. Es heißt "Schwaben, Schwafler, Ehrenmänner" (Edition Tiamat, 14 Euro), und die sechzig Geschichten, die dieses Buch versammelt, kommen der Stadt so nahe, wie ein Buch das eben kann. Der Kolumnist der "Stuttgarter Nachrichten" sieht der Stadt flanierend oder Straßenbahn fahrend beim Fiebern zu und ringt seiner Verzweiflung über den Zustand des erhitzten Patienten lakonische Liebeserklärungen ab. Die Quintessenz des Buchs ist sein Untertitel: "Spazieren und vor die Hunde gehen in Stuttgart". Bauer konfrontiert seine Leser mit einer virtuos aufgerauten Wirklichkeit. Und seine Zuhörer noch mehr. Der Abend im Theaterhaus firmiert als Buchpräsentation, aber vor allem ist er eine bunte Show mit Musikern, die den Country zu Bauers Cowboystiefeln spielen können und den Blues zu Bauers assoziativ sich durchs Leben schlängelnden Geschichten, denen immerfort das Happy End wegfault. Die Show heißt "Joe Bauers Flaneursalon". Und wenn der Gastgeber hinter seinem schwarzen Tischchen das Wort "Heslach" hervorfaucht, dann klingt das so, als sei in Heslach ständig ein Orkan am Tosen, als müsse man sich in Heslach mit halb zugekniffenen Augen gegen den Wind stemmen, als bestünde eine magische Verbindung zwischen den halb zugekniffenen Augen und dem Blick auf das Wesentliche. Das Wesentliche passiert in der Bahn: "Manche junge Menschen haben einen respektablen Bauch unter ihrem dicken Buch, und wenn sie einen Anlagebanker sehen, sagen sie: lieber stattlich als verstaatlicht." Später sieht der Autor andere Menschen, auf deren Rücken zwei Kapuzen hängen. Joe Bauer zelebriert das vorbehaltlose Staunen als die dem Outlaw angemessenste Kunstform. Er leitet zu Veganern über, zu einem Cowboyladen im Gerberviertel. Aber eigentlich handelt diese Geschichte vom Umgang des Oberbürgermeisters mit den hiesigen Kläranlagen. Joe Bauers Thema ist selten weniger als alles. "Solange sich Mann und Frau lieben, spielen sie Federball. Wenn ihre Liebe erloschen ist, spielen sie Badminton", schreibt er in einer Geschichte über den Stuttgarter Osten. Und in seiner Hommage an das Mineralbad Berg gelingt es ihm, große Philosophie am Beckenrand zu vertäuen: "Ein Fremder könnte nicht einfach sein Handtuch auf einen Liegestuhl legen. Blitzartig käme eine Furie angerannt, um brüllend zu behaupten, sie habe hier Liegerecht wie demnächst auf dem Friedhof." Joe Bauers Geschichten klingen schonungslos oder zärtlich, wütend oder wehleidig, wenn er wegen eines schwarzen Flecks auf dem großen Zeh vom Arzt die Amputation seines angeblichen Raucherbeins fordert. Was sie verbindet, ist ihre Haltung: Der warmherzige Blick des ewigen Fremden auf jene, die sich im Talkessel zusammengefunden haben, um der seltsamen Beschäftigung nachzugehen, die sie Leben nennen. Kaum jemand ist virtuoser darin, sich als dauerhaft Durchreisender auszugeben, als der Inhaber des Ein-Mann-Idyllen-Abrissunternehmens namens Joe Bauer. Dabei hat sich dieser Strapatenkünstler der Sprache längst sein Privat-Stuttgart für die Bühne zurechtgebastelt: Da ist Michael Gaedt, der Conférencier des Flaneursalons, der so wunderbar unakademisch jedes Niveau unterbietet, das ein lesender Mann auf einer Theaterbühne vor sich herzuschieben hat. Da ist Roland Baisch, der Countrybarde, der hochkarätig heiter von heimatlosen Gesellen raunt. Da singt Eric Gauthier, der Tänzer, anrührend schöne Balladen. Und womöglich interpretiert keine Frau hierzulande Leonard Cohens Song "Chelsea Hotel #2" eindrucksvoller als Dacia Bridges. Als Joe Bauers Verbündete nach drei Stunden mit einem halben Dutzend Gitarren gemeinsam singen, da verzieht sich der Gastgeber hinter die Bühnenbar und klopft auf dem Tresen den Takt. Er singt nicht mit. Womöglich fühlt er mit. Sofern man von einem Mann sagen kann, dass er es geschafft hat, hat er es geschafft. *$* NÄCHSTER FLANEURSALON: Mittwoch, 25. November (20 Uhr), in der Stuttgarter Kneipe Schlesinger mit Stefan Hiss, Dacia Bridges, Michael Gaedt. Telefon 0711 / 29 65 15 KOLUMNEN in den Stuttgarter Nachrichten „Kontakt“ |
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