Bauers DepeschenSamstag, 17. Oktober 2009, 391. DepescheBETR.: RATZER / Schlesinger Der Flaneursalon mit Buchvorstellung am Donnerstag, 22. Oktober, im Theaterhaus ist nahezu ausverkauft (www.theaterhaus.com). Unsere nächste Leseshow findet am 25. November in der Kneipe Schlesinger statt, mit Stefan Hiss, Dacia Bridges, Michael Gaedt. Karten gibt es am Tresen. Heute ist es Zeit, auf einen anderen Termin hinzuweisen: Ratzer Records, einer der letzten Plattenläden der Welt, feiert am Samstag, 31. Oktober, im Stuttgarter Keller Klub 25-jähriges Bestehen. Glückwunsch! Über Ratzer habe ich in den Depeschen schon einmal berichtet, inzwischen habe ich eine ältere kleine Geschichte über ihn gefunden, die ich vor etwa neun Jahren geschrieben habe: MUSIK IN DER MÄNNERPENSION Wenn Ratzer morgens gegen elf in der Paulinenstraße 44 die Metallgitter hochfährt, klingt das nach Musik. Dann öffnet sich ein Paradies für Platten-Freaks. Eine Tieftönergarage für Erwachsene und solche, die es vielleicht noch werden wollen. Ratzer hat auch einen Vornamen, Karl-Heinz, aber man geht "zum Ratzer". Ich war eine Ewigkeit nicht dort gewesen. Jedenfalls nicht seit damals, als die Rolling Stones noch eine populäre Band waren und CDs unbekannt. Vinyl war an der Macht. Neben CDs verkauft Ratzer heute noch immer Vinyl. Er hat ein Verhältnis zum Material, Ratzer hat Kaufmann für Eisenwaren gelernt. Man kann davon ausgehen, dass ein Plattenhändler, den die Charts nicht die Bohne interessieren, eine Scheibe hat. Ratzer hat 25 000 Scheiben zu Hause. Alle im Computer erfasst und alphabetisch sortiert. Mehr als eine viertel Million Songs. Wenn seine Frau einen davon hören will, sagt er, findet er ihn auch. Alles im Laden erinnert an Nick Hornbys tragikomischen Roman „High Fidelity“ und an Stephen Frears' gleichnamige Verfilmung. Ratzer ist Ende vierzig, Hornbys Held Rob Fleming, der Chef des Plattenladens Championship Vinyl, erst Mitte dreißig. Aber Typen, die Pop-Platten horten, haben kein wirkliches Alter. Sie sammeln, um die Zeit anzuhalten. Ratzers Stammkunden – eine Hundertschaft – sind zwischen 14 und 65. Der 14-Jährige unterscheidet sich vom 65-Jährigen nur darin, dass der 65-Jährige mehr Platten hat. Sammler sind Männer. Männer sind Sammler. In Ratzers Laden riecht es wie in Flemings Klitsche nach Männerpension. Ratzer kennt nicht die Namen seiner Käufer, dafür ihre Gesichter. Die sagen ihm etwas über den Geschmack. Er hat einen Kunden, der ihn jedes Vierteljahr anruft mit der Bitte, ihm ein Paket im Wert von 500 Euro zusammenzustellen. Etwa 50 Scheiben. In der Regel teilt der Kunde später mit, fünf davon hätten ihm nicht gefallen. Ratzer wird versuchen, das Problem bis zum nächsten Deal in den Griff zu bekommen. Vielleicht möchten Sie wissen, welche Art von Musik bei Ratzer in den Regalen steht. Kann ich nicht sagen, weil mir die Namen der Bands nichts sagen. Eine Freundin, im Business auf dem Laufenden, hat mich in den vergangenen Monaten mit aktuellen Produkten aus Ratzers Reich versorgt. Sparklehorse, Keith Caputo, Feeder. Vielleicht darf ich bei kontinuierlicher Betreuung und guter Führung in fünf Jahren mitreden. Ich meine, über sehr junge Musiker, die sich stur mit Gitarren, Melodien und Inhalten beschäftigen, obwohl sie Bob Dylans Urenkel sein könnten. Ratzer wurde in den Sechzigern von den Beatles infiziert, ein paar Jahre später hat er bei den Sounds von Led Zeppelin „den großen Schlag“ gespürt. Danach gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder Musik machen oder sie verkaufen. Obwohl Ratzer im Kirchenchor gelernt hatte, scheiterte er als Sänger einer Band. So jobbte er im Alternativ-Laden Govi auf dem Kleinen Schlossplatz, wo auch mal Marc Sundermann, der Sohn des Fußballtrainers, tagegelöhnert hatte, ehe er bei der Brüsseler Plattenfirma Pias einstieg. Mein Gott, fast vergessen, Fußball. Ratzer, seit 1984 selbstständiger Plattenhändler, hat eine rote Seele. Er ist VfB-Fan, seit 1965 im Neckarstadion der Franzose Gilbert Gress 1965 auftauchte, langmähnig wie Georgie Best, der stürmende Popstar von Manchester United. George Best steht als Pappkamerad in Ratzers Laden. Es gäbe noch viel zu erzählen über die Männerpension Ratzer. Aber ein guter Popsong dauert auch nur drei Minuten. NEUE LEKTÜRE: Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten „Kontakt“ |
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