Bauers DepeschenSonntag, 29. März 2009, 304. DepescheBETR.: JUBILÄUM (heute vor zwei Jahren erschien auch die erste Depesche) Vor zehn Jahren eröffneten der ehemalige Boxer Claus „Attila“ Parge und sein Kumpel Oli Evers in Stuttgart die Kneipe Attila’s Gentlemen Club. Die Freude dauerte nicht einmal ein Jahr, die Partner trennten sich, und der Ex-Boxer verlor wieder mal die Freiheit. Heute betreibt Oli Evers in der Olgastraße die Eckkneipe Ollinger, Claus Parge ist in der Pfarrstraße im Milieuladen Lucky Punch zu Gange. Als der Gentlemen Club die Türen öffnete, kamen zur Feier des Tag Jungs aus ganz Deutschland. Michael Gaedt gab den Zeremonienmeister, Udo Schöbel spielte mit seiner Band Cleanin Women. Alle arbeiteten für Ehre, nicht für Geld. Als die Cleanin Women nach einer Stunde andeuteten, dass sie ihren Job erledigt hätten, ging ein Herr aus Frankfurt (Box-Kennern und Fernsehzuschauern ist er als Corner Man Hako bekannt) zu den Musikanten, zog einen Tausender aus der Hosentasche und sagte: „Bitte weiterspielen“. Die Band spielte weiter. Unsereiner hatte zuvor die Festrede gehalten, und die wäre verschollen, hätte sie Frau P. nicht zufällig auf einem längst ausrangierten Laptop entdeckt: Rede zur Eröffnung von Attila’s Gentlemen Club Stuttgart, Kolbstraße, 1. April 1999 Sehr verehrte Damen, ehrenwerte Gentlemen, haben Sie keine Angst, ich komme nicht vom Ordnungsamt, um Ihnen die Paragrafen des Gaststättengewerbes vorzutragen. Auch nicht die Gesetze zum Schutz der Jugend, die waren nach allen bisherigen Erfahrungen sowieso für die Katz. Sonst stünden Sie, Ladies and Gentlemen, heute Abend ja nicht hier. Vielmehr haben unsere freundlichen Gastgeber, die Herren Attila Parge & Oli Evers, sowie unser Zeremonienmeister Michael Gaedt und unser Bandleader Udo Schöbel für Sie ein kleines kulturelles Resozialisierungsprogramm zusammengestellt. Es geht heute darum, in unserer Heimatstadt Stuttgart ein Haus der Freuden zu eröffnen, zu würdigen und zu lobpreisen: Attilas Gentlemen Club in der Kolbstraße, eine Geburt des 1. April. Widmen wir uns zur Feier dieses Tages unserer Wirtschaft. Spätestens als in dieser Stadt die Fusion von Daimler & Chrysler vollzogen wurde, brach rundum große Hektik aus. Die langjährigen Stuttgarter Wirtschafts-Kapitäne Claus Attila Parge und Oli Evers wurden an ihrem bisherigen Firmensitz, dem Brunnenwirt in der Altstadt, von der industriellen Globalisierung dermaßen aufgeschreckt, daß sie in einer nächtlichen Sitzung mehrheitlich beschlossen, sofort zu expandieren. Entschieden wurde, den internationalen Operationsbereich vom Leonhardsplatz auf den Marienplatz auszudehnen. Prompt stiegen die Aktien auf dem Trollingermarkt um zwokommafünf Promille. Attila gab die Investitionslinie vor, und das klang so: „Mein guter Junge, wir kämpfen bis zum letzten Kilo“ (Anmerkung: ein Kilo bedeutete damals 100 Mark). Olis Vorschlag, statt einer Kneipe lieber gleich eine Bank zu machen, wurde abgelehnt. Das mobile Unternehmen Attila & Oli, mittlerweile auch als das A & O der Stadt ein Begriff, verfügt inzwischen, wie Sie sehen, über eine eigene Tankstelle. Und steht voll auf dem Schlauch. Anders ausgedrückt: Die Gentlemen bitten zur Kasse, legen Sie, liebe Gäste, Ihre Scheine diskret, aber gut sichtbar auf den Tisch. Aus historischen Gründen möchte ich jetzt auf die bisherige Firmengeschichte eingehen, ich versuche mich an einer kleinen Milieubeschreibung. Wer am frühen Morgen, also gegen 12.30 Uhr, Richtung Altstadt stiefelt, tut gut daran, einen Blick Richtung Leonhardstraße und Brunnenwirt zu werfen. Dort erfährt man alles über den aktuellen Börstenstand im Klatsch- und Tratschgewerbe. Bei gutem Wetter bezieht der pensionierte Altstadt- und Sexual-Manager Rolf Mühleisen, genannt Eisen, in Höhe von Herrn Kevorks mondäner Bar Schinderhannes Position (Anmerkung: der Schinderhannes heißt heute Schatten). In der Regel meldet Eisen Vollzug - dort kennt er sich aus. Er schmettert dann weit über den Leonharsplatz die Nachricht, daß es sich bei einem prominenten deutschen Formel-1-Rennfahrer nicht, wie bisher angenommem, um einen Schumacher handelt, sondern um einen Scherenschleifer. Dieser Herr wird im Abstrafregister des Herrn Eisen ausschließlich als Nußknacker geführt. Der Begriff Nußknacker scheint mit Herrn Schumachers Gesichtsausdruck zusammenzuhängen. Desweiteren erfährt man an dieser Stelle, daß es sich im Fall der Altstadt nicht mehr um einen Rotlichtbezirk, sondern um ein Elendsviertel, um eine Art Tschernobyl handle: alles komplett verseucht. Dem Vernehmen nach fällt in diesem Revier selbst bei schönstem Sonnenwetter heftig Schnee. Frau Holle sei im Übrigen der einzige Grund, warum gewisse Herrschaften dort noch immer die Nase oben trügen. Sagt Eisen. Die Damen im Viertel berichten derweil von gewaltigen Hängern. Trotzdem beschwören sie weiterhin ihre familiäre Tradition: Unsere Muschi ist die beste. Nichts ist, wie es war. Viele der Herrn, die früher hoffnungsvoll im Schampusbad- oder Sauna-Metier tätig waren, haben das Handtuch geworfen. Jetzt sitzen sie auf dem Trockenen und malen statt Dollarzeichen ihr Sternzeichen: Sie sind Stier (Anmerkung: stier heißt pleite). Soweit zur Lage der Nation. Im Gastraum des Brunnenwirts tagen unterdessen die in Ehren ergrauten Box-Experten Attlia und Oli beim geschätzten Herbergsvater Mini. Dort besprechen sie die Wirkung von sauber gesetzten Leberhaken in allen Lebenslagen. Daß sie sich im Faustkampf bis zum heutigen Tag auskennen und auch aktiv noch voll dabei sind, daran gibt es keine Zweifel: Sie gehen immer noch locker und aufrecht über zwölf Runden - beim Bestellen von Trollinger. Das Szenario in der Kneipe sieht Tag für Tag so aus: Am runden Stammtisch liegen circa 14 Handys von 16 Telefongesellschaften - und sechs Trinker aus sieben Anbaugebieten. Wenn die Handys klingeln, wähnt man sich in einem Konzert leicht verstimmter Trötenbläser aus dem A-Block des VfB oder bei einem Auftritt der Kleinen Tierschau im benachbarten Sieglehaus. Da es in der Altstadt inzwischen verboten ist, Kanonen zu tragen, liegen auf dem Tisch hochkalibrige Feuerzeuge französischer und englischer Firmen bereit. Und wer versehentlich einschläft, wird blitzartig von den Lichtreflexen handtellergroßer goldener Uhren geweckt. Man unterscheidet im Brunnenwirt drei Gentleman-Kategorien: Linksträger, Rechtsträger und Rolexträger. Allesamt besitzen die gleiche Liebenswürdigkeit, verfügen aber über eine unterschiedliche Anzahl von Eiern - im Portemonnaie. Ich will nicht vergessen zu erwähnen, dass mitten in der Runde regelmäßig auch ein Anwalt sitzt. Es heißt, er sei Rechtsausleger. Das Thema Frauen möchte ich an dieser Stelle mit Rücksicht auf die weltweiten Menschenrechte nicht weiter diskutieren, will aber folgendes klar stellen: Anders als in Amerika bläst in Stuttgart ein frischer Wind. Keiner steht hier am Ende wie Billy Clinton ohne Hosen da. Ich bitte Sie, ehrenwerte Gentlemen, dies heute im Verlauf des Abends bei der individuellen Ablage Ihrer Zigarren zu bedenken. Zum Thema Gentlemen Club fällt mir ein, dass der amerikanische Komiker Groucho Marx folgenden Spruch verewigt hat. Ich zitiere: Einem Club, der mich als Mitglied akzeptiert, möchte ich nicht angehören. Die Herren Attila und Oli sollen sich das gefälligst hinter die Ohren schreiben - und zwar, ich bitte darum, hinter ihre eigenen (Anmerkung: Ohren nennt man in der Altstadt sekundäre Geschlechtsmerkmale von Frauen). Dass einige herausragende Persönlichkeiten der Szene heute abend nicht unter uns weilen, hat damit allerdings nichts zu tun. Die Herren Ebby Thust und Rene Weller nehmen zur Zeit berufsbedingte Engagements in der gehobenen Sicherheitsstufe wahr und haben nach eingehenden Gesprächen mit ihren juristischen Beratern von einem Ausbruch nach Stuttgart abgesehen. Sie lassen aber ausrichten, Attila und Oli hätten in ihrem neuen Lokal Bewährung. Wir begrüßen heute statt dessen einen berühmten Heslacher Nachbarn, Herrn Konrad Kujau. Herr Kujau, der Stern des Südens, hat dereinst, wie wir alle wissen, Hitlers Tagebücher formuliert und per Hand geschrieben. Als Fälscher vom Führer gelang es ihm, seine Nazi-Kladden so lange im heimischen Backofen zu rösten, bis sie den Fischköpfen vom Hamburger braun genug erschienen. Seitdem wissen wir, daß Nordlichter jede gut gelegte Bremsspur für eine Goldader halten. Der Grund für meine heutige kleine Rede ist, daß ich die Herren, um die es geht, also vornehmlich die Gentelmen Attila und Oli, schon ziemlich lange kenne und sie mir trotzdem nie Böses getan haben. Neulich habe ich hier in der Nachbarschaft zusammen mit Attila, seiner Frau und seinen Männerfreunden den Schwergewichtsboxkampf zwischen den schwarzen Amerikanern Holyfield und Lewis angeschaut. Es war ein gemütlicher und gastfreundlicher Morgen, der bis zum Abend des übernächsten Tages gedauert hat. Kurz nach dem Kampf, der bekanntlich unentschieden endete, rief Oli aus Heslach an. Er hatte wie immer richtig getippt: Die Schwarzen, sagte er, seien beim Boxen zur Zeit einfach nicht zu schlagen – höchstens Muhammad Ali. Ich komme zum Ende. Unser kleines Resozialisierungsprogramm heute Abend soll auch beweisen, dass in Stuttgart mehr los ist, als unsere Frankfurter und Hamburger Gäste denken, sofern sie das können. In einer Fußball-Kolumne habe ich mal versucht, gewisse deutsche Großstädte zu charakterisieren. Ich erwähne dies, weil ich von Oli immer wieder darauf angesprochen werde. Damals habe ich folgende Sätze geschrieben: München - das ist Hefe und Loden. Hamburg - das ist Hafen und Luden. Was aber, frage ich Sie, ist Stuttgart? Ich sage es Ihnen: Haipfler und Nudeln! In diesem Sinne: einen scharfen Abend in Attila’s Gentlemen Club. BILLIGE REKLAME: Joe Bauers Flaneursalon am Sonntag, 19. April (20 Uhr), in der Rosenau. Mit Roland Baisch & The Countryboys, Dacia Bridges und Michael Gaedt. Neues Kartentelefon: 01805 700 733 (siehe "Termine"). Kolumnen in den Stuttgarter Nachrichten: www.stuttgarter-nachrichten.de/joebauer „Kontakt“ |
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