WILLKOMMEN!
Liebe Besucher:innen, es geht weiter:
Netzwerk Gemeinsam gegen rechts – für eine bessere Demokratie
Samstag, 1. März, Schlossplatz, 13 Uhr:
KUNDGEBUNG
Jetzt erst recht:
Auf die Straße – NACH der WAHL!
Es ist unsere Aufgabe, uns außerparlamentarisch gegen eine Politik zu wehren, die immer öfter demokratische Rechte missachtet und rechte Gesinnungen verbreitet. Die Parole „Wir sind die Brandmauer“ genügt nicht. Die herrschende Politik muss mit den sozialen Ungerechtigkeiten und existenziellen Problemen in unserer Gesellschaft konfrontiert werden.
Mitwirkende: Frank Bsirske (Gewerkschafter, Politiker), Sabine Foth (Präsidentin 16. Landessynode Ev. Landeskirche in Württ.), Martina Grohmann (Die Vielen Wien), Bärbel Mauch (Flüchtlingsrat BW), Mersedeh Ghazaei (Migrantifa), Jess Jochimsen (Kabarettist), Jens Zimmerann (Moderator, 1. Vorsitzender Pro Stuttgart), AABS.
Tanzorchester Urbanstraße – Hajnal (Gesang) & Zura Dzagnidze (Gitarre) – Salamaleque Dance Company
Moderation: Maike Schollenberger (Verdi), Joe Bauer (Netzwerk)
Montag, 10. März, Stuttgarter Renitenztheater, 20 Uhr:
Wie bedroht sind unsere Kunst und Kulturarbeit?
Podiumsabend mit: Julia Schröder (Journalistin, Moderation), Petra Olschowski (Landesministerin für Wissenschaft und Kunst), Hasko Weber (Intendant, Nationaltheater Weimar), Fola Dada (Sängerin, Dozentin), Andreas Kämpf (Vorsitzender Laks BW, Verband der soziokulturellen Zentren). Fola Dada wird an diesem Abend auch Musik machen.
Eintritt wie immer frei, Anmeldungen wie immer hilfreich: kasse@renitenztheater.de
GASTBEITRAG
Hans D. Christ, Co-Direktor des Württembergischen Kunstvereins, hielt bei der Kundgebung für Demokratie am 22. Februar im Schlossgarten eine Rede, die hier ungekürzt zu lesen ist. Organisiert hatte die Aktion ein Stuttgarter Team aus dem kulturellen Veranstaltungsbetrieb.
Ich weiß in diesen Tagen eigentlich nicht, womit ich eine Rede beginnen soll, die sich mit der deutschen Realität einer wiedererstarkenden Verschränkung von Faschismus und Kultur befassen soll. Schließlich ist der Satz „Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins“ richtig, und der Holocaust bleibt historisch einzigartig, egal wie wir zu gegenwärtigen völkerrechtswidrigen Kriegen, Terror und Genoziden stehen. Innerhalb Europas könnte Deutschland sogar als moderate, freiheitliche Demokratie betrachtet werden, schließlich sind Orban (Ungarn), Wilders (Niederlande) oder Meloni (Italien) – um nur einige zu nennen – die eigentliche Projektionsfläche allen rechten Übels in Europa.
Diesmal, so könnten wir glauben, ist Deutschland nicht Vorreiter nationalistischer, völkischer Politik, sondern ein zum geistigen Provinzialismus geschrumpftes Territorium, in dem willfährig nachgeplappert wird, was anderswo längst Realität nationalistischer Macht- und Gewaltpolitiken ist. Der Provinzialismus zeitigt allerdings weitreichende Konsequenzen. Transnationale Verbindlichkeiten werden kontinuierlich untergraben, womit zugleich transnationale Rechtsräume, d. h., Gesetze, Verträge, schlicht durch nationale Interessen gebrochen werden. Dies zeigt sich insbesondere an einer menschenverachtenden Migrationspolitik, die jetzt entlang alter nationaler Grenzverläufe eben diese nach reiner Staatsräson jenseits europäischen Rechts schließt.
Die Kontinuität faschistischer Strukturen geht auch immer mit deren Normalisierung einher. Die Kontinuität in Deutschland ist die Kontinuität der Täter und Opportunisten des NS-Regime nach 1945, die auf allen Ebenen der Wirtschaft, Verwaltung, der Polizeibehörden, der Gerichtsbarkeit, der Wissenschaft, des Bildungswesens, der Kultur und der Politik weiter tätig waren und es z. B. in rechten Chat-Gruppen unter dem Titel NSU 2.0 in der Polizei weiterhin sind. Die gelobte deutsche Erinnerungskultur hat hier die Funktion, einen historischen Referenzpunkt überzubelichten, der in der Vergangenheit abgelegt werden kann – und in dessen überdimensionalem Schatten die gesamte Klaviatur von Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und Menschenverachtung bis heute fortbesteht. Dies steckt eigentlich hinter der Floskel „Nie Wieder“, die eigentlich mit „Immer noch“ übersetzt werden müsste.
(Es ist schon erstaunlich, dass schon in den 1980er Jahren Soziologen den rechten Gesinnungsanteil in Deutschland mit 20 Prozent bezifferten, was exakt den jetzt seit Monaten stabilen Prognosen für die AfD entspricht.)
Lange war es Konsens, diese gewalttätigen „Softskills“ – Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus – nicht offen vorzutragen. Heute heißt es, wenn diese ganzen Ressentiments offen ausbrechen: „Dass wird man/frau doch mal sagen dürfen.“ Hinter diesem scheinbar harmlosen Satz verbirgt sich eine Brutalisierung der Sprache, die jetzt vor der Wahl in allen Parteien der sogenannten Mitte offen zutage tritt.
Nach jedem Anschlag der letzten Monate konnten sich Faeser und Co in Härtesuperlativen kaum überbieten, und keiner merkte, dass sie nicht nur den eigenen Rechtsstaat demontierten, sondern die ganze Palette von rassistischen Stereotypen reproduzierten. Wer sich so sehr in Populismen hineinsteigert, ist längst auf das Niveau der AfD hinabgesunken. D. h., die Normalisierung der verfassungsfeindlichen AFD hat wesentlich mit dem Umstand zu tun, dass die sogenannte politische Mitte von einer Brandmauer spricht, um selber zu zündeln und rhetorisch am rechten Rand Stimmen abzugreifen.
Es scheint vergessen zu sein, dass dies dem CDU-Politiker Walter Lübcke das Leben kostete. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal den Satz, den er als Reaktion auf rechte Störer auf einer Veranstaltung sagte und der in rechten Netzwerken zu Mordaufrufen führte: „Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“
Später ergänzt er: „Ich wollte diese Zwischenrufer darauf hinweisen, dass in diesem Land für jeden und für jede, die diese Werte und die Konsequenzen aus unseren Werten so sehr ablehnen und verachten, die Freiheit besteht, es zu verlassen; im Gegensatz zu solchen Ländern, aus denen Menschen nach Deutschland fliehen, weil sie diese Freiheit dort nicht haben.“ Inzwischen müssten nicht nur Weidel und Co, sondern auch Friedrich Merz und sein Adlatus Carsten Linnemann zu den Deutschen gezählt werden, die zum Verlassen Deutschlands aufgefordert sind.
In der Statistik rechter Gewalttaten und deren Planung liegt Deutschland im alten Westen Europas einsam und allein an der absoluten Spitze. Inzwischen sprechen wir seit 1990 von über 200 Opfern rechter Gewalt.
Und es ist erst drei Tage her, dass sich die rassistischen Morde in Hanau zum fünften Mal jährten. Und seit gestern wissen wir auch, wie die Hanauer Koalition aus FDP, SPD und CDU das politische Versagen in der Tatnacht verarbeiten will: indem sie auf Emis Gürbüz, der Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz, rumtrappelt und ihr das Recht abspricht, das Behördenversagen in der Tatnacht und weit davor anzuklagen. Es ist widerlich.
Aus dieser Perspektive scheint es nun doch der Fall zu sein, dass Deutschland nicht nur die größte Volkswirtschaft in Europa ist, sondern zugleich der Vorreiter rechter Gesinnungsbildung, die auf einer historischen Kontinuität beruht, deren Gift nach wie vor durch die biodeutschen Adern wabert und sich jetzt wieder offen zeigt.
Was sagt uns dies alles, wenn ich hier als Vertreter einer Kunstinstitution auf einer Demonstration des Kultursektors spreche. Man kann es kurzfassen: Der Kultursektor hat gepennt. Er hat sich im Mantel neoliberaler Strukturen – der sogenannten Kulturwirtschaft – dem opportunistischen, reaktionären Liberalismus angedient, anstatt seinen demokratischen Auftrag ernstzunehmen. Dieser Auftrag entsteht durch den Umstand, dass auch dort, wo sich der Kulturbetrieb privatwirtschaftlich gebärdet, er immer auch auf öffentliche Subventionen aufsetzt. Dies ist nicht nur ein ökonomischer Fakt, sondern bedeutet eigentlich einen politischen Auftrag, immer mitzudenken.
Ich weiß sehr wohl, dass die Durchsetzung einer politischen Haltung in einer Kunstinstitution mit Risiko behaftet ist. Zurzeit wird dies bei der Kürzungswelle in Berlin – und die Institutionen, die es existenzbedrohend trifft – überdeutlich. Es wird abgeschafft und angegriffen, was sich gesellschaftskritisch auf Diversität, Fragen des Postkolonialismus und – jenseits der Anti-Deutschen oder Volker Beck – mit Antisemitismus und Rassismus beschäftigt. Ein kritischer Diskurs wird rückabgewickelt.
Wenn wir über Werte reden, die Rechte von „Minderheiten“ in der Dominanzgesellschaft Platz verschaffen sollen – wenn wir über die prekären Beschäftigungsverhältnisse in der Kultur reden – wenn wir über die gesellschaftspolitische Zukunft der Demokratie reden – wenn wir über unseren Auftrag im Bereich des Sozialen und der Bildung reden, dann müssen wir dies auch politisch einfordern. Und es gibt hier nur eine Ansprechpartnerin – dies ist die kommunale, regionale und nationale Kulturpolitik.
Naiv sollten wir als Kulturarbeiter*innen allerdings nicht sein und nur mit Forderungen nach einer gerechteren Umverteilung argumentieren. Zum einen hat die Kultursparte sich nicht wirklich politisiert. Zum anderen war die Stimmung aufseiten der Politik noch nie so reaktionär. Da wo reaktionär gedacht wird, werden alte Stereotype reproduziert, die sich in den Forderungen einer deutschen Leitkultur aufseiten der AfD völkisch-national gebärden. Hier zeigt sich deutlich die Sehnsucht nach der Gleichschaltung wie 1933. Wenn sich die Kultureinrichtungen nicht politisieren, werden sie defensiv darauf hoffen, irgendwie unter dem Radar operieren zu können. Oder, was äußerst wahrscheinlich ist, sich, wie der Württembergische Kunstverein 1933, bei seinen jüdischen Mitgliedern beschweren, dass sie mit ihrer Bewerbung um Ausstellungen im WKV die Institution gefährden. Ähnliches könnte man heute von Künstler*innen sagen, deren Name irgendwie nach globalem Süden klingt.
Dass die Angst schon umgeht, dass Kultureinrichtungen konkret von Rechten mit physischer und nicht nur rhetorischer Gewalt angegriffen werden, ist zurzeit unübersehbar. Wir können schon seit längeren den Zugriff auf Mittel und Fördertöpfe beobachten, die insbesondere auf kommunaler und regionaler Ebene zu Absagen von Projekten und Schließungen kleinerer Kulturvereine führen – meist in kleinen Kommunen, die von der AfD kontrolliert werden. Wenn wir uns folglich nicht weiter politisieren und solidarisieren, werden die Formen der Zensur wie Selbstzensur und der Rückbau kritischer Kulturräume weiter Umsichgreifen.
Gleichzeitig bedeuten Politisierung und Solidarisierung, dass wir uns nicht abspalten lassen von den Fragen des Sozialen und der Bildung, wie es z. B. in der Coronakrise überdeutlich wurde, sondern gesamtzivilgesellschaftliche Allianzen bilden müssen.
Wir haben die Räume. Wir haben die Subventionen. Wir hätten die Kapazitäten politische, antifaschistische Kulturarbeit zu machen. Jetzt lasst es uns angehen und auch nach dem morgigen Wahltag weiter forcieren.
Wie heißt es so schön: Die Hoffnung stirbt zuletzt – Glück Auf!